Vince
Hier noch meine Kritik nachgereicht:
Geishas sind für den Westen wohl eines der vielen verbliebenen Kulturgeheimnisse dieser Welt. Die östliche Kultur fasziniert seit jeher mit ihrer märchenhaften Fremdartigkeit, die kaum nachzuvollziehen ist, wenn man sich nicht ausgiebig mit ihr beschäftigt. Vor Augen hat man das Bild einer geisterhaft anmutigen hübschen Frau, gehüllt in prunkvolle, farbenfroh schillernde Gewänder und ein blütenweiß geschminktes Gesicht, dem alle Konturen abhanden gekommen sind, mit Ausnahme der tiefdunklen Mandelaugen und dem betont kontrastreich gezeichneten dunkelroten Mund.
Doch was verbirgt sich hinter dieser optischen Täuschung, diesem Gemisch aus Unnahbarkeit und Erotik?
Zunächst einmal eine sehr lange Geschichte. Ursprünglich nur von Männern im Sinne der Unterhaltung ausgeübt, waren seit dem 17. Jahrhundert auch Frauen im Beruf der Geisha vorzufinden, vorerst noch zur Abtrennung mit dem Zusatz “onna” (weiblich) versehen. In der Edo-Zeit Japans (1603 - 1868), der längsten Friedensepoche eines Landes aus der Neuzeit, entwickelte sich der Neo-Konfuzianismus und mit ihm eine immer weltlichere Fokussierung auf Mensch und Gesellschaft. Es wurde Wert auf Qualitäten gelegt, die den Lebensstandard und damit die Arbeit beeinflussten. Hier insbesondere die Kunst als besonders dehnbare Art der Beschäftigung, die durch zunehmende Aufmerksamkeit qualitativ an Wert gewinnen musste. Geishas waren neben Musik, Malerei, Puppenanfertigung und anderen Formen der Kunst eine Facette der neuen kulturellen Ausrichtung Japans, die mit zunehmender Zeit immer weiter an Anerkennung gewinnen würde.
Die Edo-Zeit war in sexuellen Aspekten im Vergleich mit dem damaligen Europa deutlich freizügiger, weshalb die Geishas ihre Ursprünge auch in der Prostitution wiederfinden. Eine Trennung wurde erst viel später vorgenommen. Erotische Aspekte sind nach wie vor ein zentraler Gegenstand des Berufes, beschränken sich aber schon auf das Vorzeigen des nackten Handgelenkes, kunstvolle Symbolik im Nacken und das Streifen mit den Beinen beim Einschenken des Tees im Teehaus.
Das Wort “Geisha” hat seinen Ursprung in Tokio und setzt sich aus den japanischen Wörtern für “Person” und “Kunst” zusammen. Wenn man so will, sind Geishas lebende Kunstwerke, “angefertigt” in jahrelanger Ausbildungsarbeit von der “Maiko” ab dem sechsten Lebensjahr bis zur vollständig ausgebildeten Geisha, zu einer Frau, die nach strikten Regeln in Kalligrafie, Blumensteckkunst, Musik, Tanz und Konversation ausgebildet wurde. Das perfekte Beherrschen dieser Fähigkeiten und das dogmatische Richten der ganzen Lebensphilosophie nach diesem Weg in Kombination mit der für unsere Augen beinahe geisterhaften Erscheinungsweise lässt die Geisha jenes Mysterium sein, das Arthur Golden dazu inspiriert hat, seinen Roman zu schreiben.
Alles nur Fußnoten, die man von einem Film wie diesem nur sekundär erwartet. Hinter der hochinteressanten Geschichte verbergen sich aber Spannungen, die es wert gewesen wären, verfilmt zu werden und die sich manchmal auch im Off-Kommentar der inzwischen deutlich hörbar ergrauten Geisha Sayuri (Zhang Ziyi, im Off gesprochen von Shizuko Hoshi) andeuten. Was bedeutet es, eine Geisha zu sein? Eine einfache Frage, die im Mittelpunkt stehen sollte. Die feine Trennlinie zwischen dem Verkauf des eigenen Körpers und der körperlichen Fähigkeiten, die einzuhaltenden Dogmen. Metaphorische Bilder, gesellschaftshistorische Bezüge in dieser Geschichte einer Geisha, die im Japan des Jahres 1929 von ihrer Familie an ein Geisha-Haus verkauft wird. Wahrhaft eine Möglichkeit, dem Westen ein Mysterium näherzubringen, das man, wie Sayuri selbst betont, auch ergründen kann, wenn man möchte. Die amerikanischen Soldaten sind nicht so sehr daran interessiert, suhlen sich lieber oberflächlich in der Unterhaltung. Der Zuschauer hätte gegebenenfalls mehr erfahren wollen, doch diese Möglichkeit wird ihm mit Rob Marshalls Verfilmung von Arthur Goldens Bestseller nicht geboten. “Memoirs of a Geisha” begnügt sich damit, ein opulent ausgestattetes und perfekt inszeniertes Prunk-Epos zu sein, mit vielen Bildwerten, aber ohne Antworten. Weitgehend bleibt die Erzählung eine Legende.
Dabei ist das bildgewaltige Werk in jeder erdenklichen Hinsicht auf den Westen zugeschnitten. Golden selbst ließ sich zum Roman durch ein für ihn faszinierendes Treffen mit dem unehelichen Sohn eines wichtigen Geschäftsmannes und einer Geisha inspirieren, nachdem er in den USA japanische Kunst und Geschichte studiert und dann längere Zeit in Japan gelebt hatte. Schon die Faszination, aus der die Vorlage geboren wurde, ist die eines Amerikaners mit der Vorliebe für ein Land der Geheimnisse; Rob Marshall führt diesen Weg fort und wählt einen sehr westlich geprägten Erzählstil.
Auch die Vorzeichen deuten auf eine Konzentration auf den westlichen Markt hin. Mit der hierzulande längst populären Hauptdarstellerin Zhang Ziyi und den beiden Nebendarstellerinnen Gong Li und Michelle Yeoh wurden gleich drei gebürtige Chinesinnen (bzw. im letzteren Fall chinesisch-stämmige Malaysierinnen) als japanische Geishas besetzt - ein Skandal in China. Aus Angst vor anti-japanischen Ausschreitungen wurde Marshalls Film aus den chinesischen Kinos verbannt, dem Regisseur selbst wurde “kulturelle Ignoranz” vorgeworfen. Eine Chinesin könne nun einmal keine japanische Geisha spielen und darüber hinaus sei es aus historischer Sicht eine Schande: Zur Zeit, in der die Handlung von “Die Geisha” angesiedelt ist, fand ein Handel mit chinesischen Sexsklavinnen statt und japanische Besatzer hatten Tausende von Chinesinnen vergewaltigt.
Inwiefern Marshall nun bewusst ignorant mit der Geschichte Japans und Chinas umgegangen ist, sei mal dahingestellt. Tatsache ist aber, dass er sich unzweifelhaft an den westlichen Markt richtet. Und unter dieser Prämisse betrachtet bleibt jegliche Intention absolut schleierhaft.
Aufgrund der langjährigen traditionellen Ausbildung berücksichtigt Marshall zwar die komplette relevante Historie des Mädchens von Kindesbeinen an, doch gelingt es ihm dabei zu keinem Zeitpunkt, dem Zuschauer die Absicht wirklich begreiflich zu machen, weshalb sich jemand für den Weg entscheidet, eine Geisha zu werden. Die Abschnitte mit der kleinen Chiyo (Suzuka Ohgo) bewegen sich in den üblichen Bahnen eines Dramas um die Entwicklung eines Kindes, vermögen darüber hinaus aber keine weiterführenden Gedanken beim Betrachter zu provozieren. Reine Kausalfolgen recht simpler Natur sind Gegenstand der Ereignisse: Chiyo bekommt vom Direktor auf einer Brücke ein Eis spendiert und verfällt ihm in diesem Augenblick. Sie malt sich mit dem roten Eis den Mund an und sagt freudestrahlend, sie sei jetzt eine Geisha, fasst im Unterbewusstsein bereits den Entschluss, wirklich diesen Weg zu beschreiten. Momente der simplen Logik, die uns aber nicht in das Innenleben des kleinen Mädchens blicken lassen.
Wenn Zhang Ziyi in den Handlungsverlauf einschreitet, steht endgültig das Geisha-Haus isoliert von allen äußeren Einflüssen im Vordergrund. Künstlich geschaffene Konkurrenzkämpfe und der karriereähnlich aufbereitete Werdegang bestimmen die Handlung. Menschliche Konflikte der universellen Natur, Neid und Missgunst sind es, die inszeniert werden und gewissermaßen für sich betrachtet auch Interesse wecken können, die Marshall aber nicht mit seiner Thematik zu verbinden imstande ist. Es bleibt beim unreflektierten Kammerspiel. Ein Drama um des Dramas wegen, es steht aber nicht im Dienste der kulturellen Prämisse.
Zwar werden immer wieder Manierismen aufgezeigt und die Ausbildung erklärt, was aber kaum über den reinen Informationsgehalt einer Dokumentation hinausgeht. Dafür braucht es keiner Romanverfilmung, wenn die erklärten Dinge für sich alleine bestehen müssen und nicht durch weiterführende Semantik auf neue Felder gehoben werden. In der Folge bleibt der Gedanke zurück, dass man letztendlich doch schrecklich wenig über den zentralen Gegenstand erfahren hat. Memoiren sollten bei allen objektiven Kriterien eigentlich immer von einem subjektiven Standpunkt aus erschaffen werden. Die Geschehnisse sind aber nichts weiter als neutrale Beobachtungen, Erinnerungen an Ereignisse, nicht jedoch an Gefühle oder weiterführende Gedanken.
Dass sich Marshall regietechnisch so konsequent auf das Geisha-Haus konzentriert und selbst die gelegentlichen Ausflüge ins Teehaus oder zu einem Sumo-Ringkampf perspektivisch so eingeschränkt wirken, führt schließlich zu einer totalen Ignoranz des historischen Hintergrundes rund um den Zweiten Weltkrieg, der mit Sicherheit eine gigantische neue Dimension hätte einbringen können... ja vielleicht müssen. Und zwar insofern, als dass die Geisha-Kultur letztendlich ein Begleiteffekt ihrer gesellschaftlichen Umstände sein muss. Man kann Marshalls Wahl dagegen insofern verteidigen, als dass er so gesehen die Perspektive der Geisha einnimmt, aus deren Munde die Geschichte ja schließlich erzählt wird. Ihre Welt ist nun mal isoliert von der Außenwelt, ein fragiles Gefüge mit eigens geregelten Grenzen. Die offiziellen Anlässe, in denen die Geisha ihre Künste vorträgt, werden daher ebenfalls aus einer reduzierten Perspektive wahrgenommen. Recht faszinierend kommt dabei noch der Versuch Sayuris daher, beim Sumoringkampf weltliche Anlässe wie das Treffen von Geschäftspartnern oder eben den gerade stattfindenden Kampf mit ihrer Ausbildung zu vergleichen und Gemeinsamkeiten zu entdecken. In kleinen Momenten, ebenso im Off-Kommentar der Erzählerin, blitzt auf, was aus dem Stoff herauszuholen gewesen wäre; im Ganzen bleibt aber alles zu sehr auf die Geschehnisse gerichtet.
Keinerlei Kritik müssen sich die dezenten bis prachtvollen Bilder unterziehen, die hier mit sicherer Hand zu einem optischen Gesamtkunstwerk aneinandergereiht werden, das streckenweise leicht an “Last Samurai” erinnert. Zu einem hypnotisierenden Höhepunkt erhebt sich der Schneetanz, umringt von düsteren bis hellen Szenenfolgen von außerhalb und innerhalb des Geisha-Hauses. Die fast 140 Minuten vergehen im Flug, weil man sich in einer alternativen Welt wähnt und jeden Moment, der einem gegeben wird, voll auskostet. John Williams’ Score und Yo-Yo Mas himmlisches Cellospiel vervollständigen die Bilder zu einem Traum. Edle Optik und dahingleitende Bilder mit einer beispiellosen Ruhe und Selbstbeherrschung, die sicherlich ihresgleichen suchen, ohne sich in farbenprächtige Superlative der Marke “Hero” verlieren zu müssen.
Kritikfrei zumindest in meinen Augen auch die Darstellerinnen, allen voran die verehrungswürdige Zhang Ziyi. Ob sie aus Sicht der Chinesen durch ihre reine Besetzung eine Demütigung ist, wage ich nicht zu urteilen, ebensowenig, ob sie als Chinesin, wie ein Kritiker aus ihrem Land feststellte, tatsächlich überhaupt den Wandel zur japanischen Geisha vollziehen könne. Fest steht, jede motorische Veränderung ihrer Position und jede Bewegung ihrer Gesichtsmuskeln wirkt beabsichtigt und kalkuliert, womit sie dem unbegreiflichen, rätselhaften Wesen, das eine Geisha in meinem Vorstellungsvermögen ist, ungemein nahe kommt. Kudoh Youki (Kürbisköpfchen), Gong Li (Hatsumoto), Momoi Kaori (die Hausmutter) und Michelle Yeoh (Mameha) stehen dem kaum in etwas nach. Auch die männliche Garde hat ein paar hervorragende Leistungen vorzuweisen, seien es nun Ken Watanabe (Chairman), endlich mal wieder Cary-Hiroyuki Tagawa (Baron) oder Kenneth Tsang (General).
Es läuft auf ein “Style over Substance” der etwas anderen Sorte hinaus. Basierend auf einem Gegenstand, der nach wie vor danach schreit, entmystifiziert zu werden, um ihn in aller Pracht schätzen zu können, gelang es Rob Marshall allenfalls, durch eine wunderschöne Optik und gediegene Erzählung das Wesen der Geisha noch weiter zu mystifizieren - ein Effekt, welcher der amerikanisch geprägten Narration zuwiderläuft. Leider bleibt die Substanz zu seicht, um in diesen “Memoiren einer Geisha” mehr zu finden als einen wunderschönen Ausstattungsfilm der Unterhaltung wegen. Sein können hätte es für die westliche Welt die Lösung eines weiteren Rätsels der östlichen Kultur; geworden ist es nur wenig mehr als eine opulente Werbeplattform für einen Lippenstifthersteller. Aber immerhin dies mit einer Schönheit, die dem Vorstellungsvermögen einiges abverlangt.
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