Zurück zu Flimmern und Rauschen
Kein Respekt vor der Kinogeschichte: Warner Deutschland testet den Markt und bietet Filme in Ramschqualität auf DVD an
Von Thomas Klingenmaier
Alles dämliche Yuppies, fluchten einst die Freunde des warmen, durchgeknisterten Rumpelklangs der Vinylplatte, als die CD-Käufer in den achtziger Jahren zur wichtigsten Kundengruppe am Musikmarkt wurden. Die glänzende Silberscheibe, so giften Fans von Nadel, Rille und designfreundlichem Großcover bis heute, klinge kalt und steril, aber der Besitzer könne beim Musikauflegen wenigstens den Sitz seiner Frisur kontrollieren.
An diesen Spott erinnern wir, weil es bei der Einführung der Spielfilm-DVD erhellenderweise keine vergleichbaren Fiesheiten gab. Die technische Überlegenheit der DVD, ihre Informationstreue und Informationsvielfalt standen von Anfang an - es war 1996, als erstmals vereinzelte Filme auf dem neuen Träger angeboten wurde - außer Frage. Ton und Bild einer digitalen Abtastung waren um vieles klarer als jene analoger Abtastungen für Videobänder, zudem reichte der Speicherplatz für mehrere Sprachfassungen, für Untertitel und eventuell auch noch für Zusatzmaterial aus. So klar erkennbar war der Unterschied, dass die Videoepoche mit Flimmern und Grieseln, mit Farbschwankungen und Tonrauschen über Nacht wie ein dunkles Zeitalter der Medienkultur erschien. Hinzu kam, dass die Magnetbänder einem unaufhaltsamen Verschleiß ausgesetzt waren, die DVD dagegen versprach lange Haltbarkeit.
All das löste bei den Filmkäufern mehr als einen Formatwechsel aus, einen Kaufrausch nämlich. Die DVD im Regal schien ein Symbol dafür zu sein, dass man Träume und Schäume, Dramen und Erleuchtungen dauerhaft ins eigene Leben eingebaut hatte. Die Filmindustrie macht heute mehr Umsatz mit DVDs als mit Kinostarts.
Ein schöner, nein, sagen wir"s ruhig großmäulig, ein kulturhistorisch bedeutsamer Nebeneffekt des DVD-Booms lag in der neuen Bedeutung ihrer Archive für die großen Studios. Die digitalen Abtastungen sowie der Ruf der DVD als Qualitätsmedium erforderten eine mehr oder weniger umfangreiche Restauration des historischen Materials sowie eine sorgfältige Nachbearbeitung des Ergebnisses. Die DVD schien einem Akt kultureller Barbarei, der Verrottung eines Großteils der Filmgeschichte, ein Ende zu setzen.
Viele Filmfreunde mögen daher gejubelt haben, als Warner Home Video Germany, die deutsche Tochter des US-Branchenriesen Warner Bros. Entertainment, unter dem Titel "Endlich auf DVD" 117 Klassiker aus den Beständen des Studios beziehungsweise Titel, an denen Warner die deutschen Verbreitungsrechte hält, für 2006 ankündigte. Umso wütender waren die Reaktionen in DVD-Foren im Internet ("Gammel-DVDs", "Endlich auf DVD - egal wie!"), die als erste Vorankündigungen Böses ahnen ließen. Seit einigen Tagen nun sind die ersten Produkte der "Endlich auf DVD"-Reihe im Handel - und die schlimmsten Befürchtungen sind übertroffen worden. Warner legt hier keine Sparvarianten digitaler Abtastungen vor, sondern hat alte analoge Master auf Silberling gebrannt. Mit anderen Worten: die VHS-DVD ist da. "Vater der Braut" von Vincente Minnelli aus dem Jahr 1950, "Die drei Musketiere" von George Sidney aus dem Jahr 1948, "Ivanhoe - Der schwarze Ritter" von Richard Thorpe aus dem Jahr 1952 etwa tragen auf DVD sogar noch den Firmenvorspann ihres früheren Videocassettenauftritts - auch wenn es die betreffende Firma längst nicht mehr gibt.
Immerhin, weil es bei den genannten Titeln keine Schnittabweichung zwischen alter deutscher Synchronfassung und Originalfassung gibt, hat man den grieselnden Bildern wenigstens noch den Originalton beigegeben. Glaubt man der Vorankündigung, hat man sich das bei John Fords Western "Cheyenne Autumn" von 1964 aus nahe liegenden Gründen gespart. Der lief in Deutschland unter dem Titel "Cheyenne" um rund achtzehn Minuten gekürzt und soll so jetzt auch auf DVD erscheinen.
Mit dem neuen Respekt vor der Filmgeschichte hat es sich nun also. Wieder einmal hat das Bewusstsein gesiegt, Film sei nichts als ein beliebig verstümmelbares Konsumangebot, also kein zu pflegendes Kulturzeugnis, sondern nur Partikel einer Umsatzbilanz. Marktwirtschaftlich leuchtet sofort ein, was Warner hier versucht. Einerseits will der Anbieter mit sinkendem Herstellungsaufwand auf den dramatischen Preisverfall am DVD-Markt reagieren. Andererseits soll der Kunde schon mal auf die Technik der Zukunft eingestimmt werden. Gelingt es heute, die VHS-DVD durchzusetzen, kann man morgen eine ganz normale digitale Abtastung als Triumph der neuen konkurrierenden Formate Blue-Ray und HD-DVD präsentieren.
Dass die erstmals zu verzeichnenden Umsatzrückgänge am DVD-Markt allein den Raubkopierern geschuldet seien, glaubt die Industrie nicht einmal selbst. Sie verkauft nämlich immer noch von Jahr zu Jahr mehr DVDs. Nur wagt kaum noch ein Kunde, bei den Einstandspreisen zuzugreifen. Schon nach ein paar Wochen kommt er sich veräppelt vor, rutschen doch DVD-Preise ständig in den Keller. Diese Verunsicherung des Verbrauchers lasten die Anbieter dem Druck der großen Handelsketten an. Damit haben sie nicht ganz unrecht, verschweigen aber ihr eigenes Zutun zum Marktverfall. Es gehört nämlich zum Gebaren der Branche, Filme regelmäßig in neuen Luxuseditionen auf den Markt zu werfen. Die Luxusausgabe von heute signalisiert dem Kunden, er habe gestern wieder einmal nur Ramsch gekauft.
Zu diesem Ärger gesellt sich der Unmut über die Fertigungsqualität der DVDs und ihrer Umhüllungen. Leimausdünstungen und Innenringrisse nerven die Verbraucher, werden von der Industrie aber gelassen gesehen. Ihr ist der Gedanke nämlich unheimlich, eine DVD könne dem Kunden lebenslang zur Verfügung stehen. Den gleichen Film immer wieder zu verkaufen, ist natürlich lukrativer.
Nun könnte man tatsächlich auch bei Filmen über andere Verteilmodelle nachdenken, wie sie im Musikbereich derzeit Napster und Emusic offerieren. Der Kunde wird Abonnent eines Dienstes und kann entweder für eine Flatrate eine unbegrenzte Zahl Songs herunterladen, diese aber nur hören, so lange er Abonnent bleibt - oder er kann gegen abgestufte Pauschalzahlungen eine begrenzte Zahl Songs laden und auf Dauer nutzen. Nur: die Filmindustrie ist noch nicht einmal in den Anfängen eines kreativen Umdenkens. Die Reihe "Endlich auf DVD" von Warner leistet nur jenen Piraten Vorschub, die lange schon behaupten, aus Gründen moralischer Notwehr gegen eine unverschämte Industrie illegal zu brennen. Wer sich heute über eine VHS-DVD ärgert, fühlt sich morgen im Recht, wenn er von einem Freund einen aktuellen Spitzentitel leiht und auf seinem neuen Zweischicht-Brenner vervielfältigt. Man kann sich seine Probleme auch selbst schaffen - die Rohlinghersteller wird das sehr freuen.