Strange Days (1995)
OT: Strange Days
Technische Daten
Vertrieb: Kinowelt
Regionalcode: 2
Laufzeit: 139:13 Min.
Regie: Kathryn Bigelow
Darsteller: Ralph Fiennes,
Angela Bassett,
Juliette Lewis,
Tom Sizemore,
Michael Wincott,
Vincent D'Onofrio,
Glenn Plummer,
Brigitte Bako,
Richard Edson,
William Fichtner,
Josef Sommer,
Joe Urla,
Nicky Katt
Bildformat: 2,35:1 (anamorph / 16:9)
Sprachen: DD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte
Freigabe: FSK 16
Film
“Strange”, fremdartig ist etwas, wenn es von einer wahrscheinlichen Erwartungshaltung abweicht. Die “Strange Days” aus Kathryn Bigelows 1995er Milleniumsdystopie sind eine optionale Zukunft, die massiv vom diachronisch geregelten Menschenleben abweicht. Grund sind Progression und technische Revolution, die Digitalisierung von Erinnerungen und materielle Archivierung der Geschichte eines jeden Menschen, Bild für Bild. Wer zum Junkie der Videodroge wird, die so unendlich viele Einsatzmöglichkeiten birgt und in Bigelows High-Speed-Trip den Sündenbock für den Zerfall der Gesellschaft darstellt, erlebt eine anachronistische Invasion, welche die Sentimentalitäten aus der Vergangenheit, bereits gelebtes Leben an die Stelle des eigentlichen, gegenwärtigen Lebens setzt. Der technische Fortschritt führt zum Stillstand, ja gar zum Rückschritt der menschlichen Existenz.
Soweit zur Idee, ausgelegt auf den Jahrtausendwechsel, und aus heutiger Sicht kann die Lehre gezogen werden, dass trotz des gefühlt rasanten Fortschritts in digitaler Medientechnik bei anstehenden cineastischen Zukunftsvisionen besser längerfristig geplant werden sollte, denn jetzt, fast sieben Jahre nach den Ereignissen von “Strange Days”, ist dessen Inhalt immer noch Zukunftsmusik, die sich zwar im Empfangsradius abspielt, aber eben allenfalls mittelfristig als umgesetzte Realität zu erwarten ist.
“Strange” gemäß der vorangestellten Definition ist aber nicht zuletzt auch wieder mal Bigelows kommerziell gescheiterte Vision von dem von James Cameron mitproduzierten SciFi-Rollenspiel. “Strange Days” ist tatsächlich eine upgegradete, mutierte Version eines konventionellen Genrefilms. Die Standards sind zum Greifen nahe - Juliette Lewis, Tom Sizemore, Angela Bassett und Michael Wincott in ihren klassischen, nicht allzu tief gezeichneten Rollen, die Idee und dahinter steckende philosophische Ansätze alles andere als neu - soweit lässt alles auf einen beliebigen Science Fiction-Film der nahen Zukunft schließen. Doch es ist weit mehr als das. Lässt man sich ein Mal von der ersten bis zur letzten Minute darauf ein, die Paranoia mit der außer der Reihe tanzenden Identifikationsfigur Lenny Nero (Ralph Fiennes) zu teilen, so offenbart sich ein schier keine Grenzen kennender Trip, der tiefschürfende Emotionen vorgaukelt...
...aber doch im Grunde keine realen Emotionen bietet. Und hier beginnt das fremdartige, das ungewöhnliche, das im Endeffekt unberechenbare Element aus Bigelows Rezept, sich wie eine Hauptschlagader durch die blinkenden Lichterfassaden des Endneunziger-L.A.’s zu ziehen, eine anonyme Metropole der Sünde, ebenso emotional leer wie die komplette Darstellungsweise der Regisseurin. Dass sich die beiden Liebenden der Geschichte erst im Schlussakt öffnen, ohne irgendwann zuvor auch nur Anzeichen ihrer Gefühle gezeigt zu haben, ist dafür das beste Beispiel - als Nebeneffekt wird dann noch eben mal ein gesellschaftliches Tabu normalisiert, wie es kein Film oder keine Dokumentation je schaffen könnte, die ein solches Tabu zu ihrem Hauptmotiv macht.
Ansonsten ist “Strange Days”, sofern man dem hochkomplexen Storyverlauf Schritt auf Schritt folgen kann, über seine mehr als zwei Stunden eine Hochburg der Emotionalität, ein farbenprächtiger Orgasmus der Sinne, der niemals von seinem Klimax hinabsteigen möchte. Eine dramaturgische Direktive, die eigentlich jeder gewöhnliche Film braucht (und als solchen haben wir “Strange Days” an einigen Punkten ja schon festgemacht), baut Bigelow überhaupt nicht ein, und sie benötigt ihn auch nicht, bis kurz vor Mitternacht im Jahre 1999. Denn erst hier wird die wirkliche Emotionalität (sofern man eine Emotion, die von 24 Bildern pro Sekunde und einem akustischen Signal erzeugt wird, überhaupt “wirklich” nennen kann) in die Handlung eingebaut. Zuvor ist es lediglich ein falscher Hase. Eine vorgegaukelte Gefühlsregung, hervorgerufen durch rezeptive Stimulation der Sinne. Die kühlen Lichter der Discotheken aus L.A.’s Höllenschlund, die sich hastig bewegenden, unkoordinierten menschlichen Körper, die an einem Ort zu Massen aufeinandertreffen, der ohrenbetäubende Tech-Noir/Punk-Soundtrack (u.a. Skunk Anansie, Prong mit dem Titeltrack oder Juliette Lewis selbst mit PJ Harvey-Covers, die sie in ihre Filmrolle integriert auch persönlich vorträgt).
Den akustisch-visuellen Overkill, der die Spannungsmesse pausenlos auf dem höchstmöglichen Punkt stagnieren lässt, erreicht Bigelow durch das Aufbrechen filmischer Tabus mit dem Resultat, dass uns eine mehrdimensionale, genial gefilmte Welt geboten wird, die irgendwo in der Umlaufbahn des Saturn schwebt anstatt wie einige der überzeugenderen Kollegen allenfalls eine Mondlandung auf die Beine zu stellen. Das beginnt mit der an massiven Aufwand gebundenen First-Person-Perspektive, welche uns in den Film einführt, ohne dass uns zur Koordination des eigenen deiktischen Standpunktes zuvor einmal die gewöhnliche Third-Person-Perspektive gewährt wird. Zurückgeführt auf Robert Montgomerys kameratechnisches Experiment mit “Die Dame im See” (1947) gilt die Egoperspektive, die sogenannte “subjektive Kamera”, aufgrund der objektiven Starre des Darstellungsradius einer Kameralinse als ungeeignet, um dem Zuschauer effektiv eine solche Position auf die Handlung zu gewährleisten, als stünde er mittendrin. Ausgerüstet mit besseren Bedingungen als damals, das egozentrierte Sichtfeld des Zuschauers in diesen oft mehrminütigen Clips stärker der Rezeption des menschlichen Auges anzupassen (Lightstorm Entertainment steckte ein Jahr in die Entwicklung einer speziellen Kamera, um dieses Problem zu lösen), legt sich Bigelow bewusst mit der Problematik an - und gewinnt dabei. Oftmals wirken die Clips tatsächlich egoperspektivisch, was durch die Soundkulisse verstärkt wird, die eigens gesprochene Worte und Geräusche in unmittelbarer Nähe dumpf klingen lässt.
Erzählerisch lässt sich Bigelow auch nicht lumpen und bietet ein hochkomplexes Handlungsgeflecht, das durch die verschiedenen Perspektiven nochmals an Komplexität dazugewinnt und es erfordert, dass man mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache ist. Nebenher geht nicht, ohne inakzeptable Qualitätseinbußen in Kauf zu nehmen. Bleibt man am Ball, so entfaltet sich eine ungeahnte Dynamik. Obwohl Ralph Fiennes der unangefochtene Protagonist im Film ist und ausgesprochen intensives Identifikationspotenzial in sich birgt, erlebt man die Geschehnisse nicht wirklich aus seiner Warte - müsste ich sagen, aus wessen Sichtweise man die “Strange Days” miterlebt, würde ich sagen, aus derjenigen eines unsichtbaren elektronischen Spannungsfeldes, das sein Netz zwischen den interagierenden Figuren ausbreitet.
Und doch rührt die emotionale Achterbahnfahrt aus einer Identifikation mit Fiennes Charakter. In Anbetracht des Umstandes, dass dieser Lenny Nero eher ein bemitleidenswertes Charakterschwein ist, bleibt die Identifikation mit diesem Verlierertypen, einem Verticker von Drogenäquivalenten, eines der einprägsamsten Erlebnisse in den vollen zwei Stunden. Ralph Fiennes ist toll, er tanzt zwischen den abstoßenden und den liebenswerten Eigenschaften seiner Rolle, baut in das apokalyptische Flair gar oberflächlich gesehen unpassende ironische Töne ein, die so fehl am Platz sind, dass sie wahrhaftig besser nicht hätten präsentiert werden können als auf diese ungelenke Art. Noch mehr als Fiennes’ darstellerische Leistung trägt aber die Art und Weise dazu bei, wie er präsentiert wird durch Kameraperspektiven, durch Beleuchtung, durch Dialoge, durch Handlungsweisen. Es ist ein durch und durch ambivalentes Erlebnis, Lenny Nero zu sein. Vielleicht klinkt man sich als Zuschauer deswegen immer wieder aus seinem Geist aus und schlüpft in den anderer Filmfiguren, mit denen Lenny in Kontakt gerät.
Das Geheimnis von “Strange Days” ist nicht im Drehbuch zu suchen, nicht in den Nebendarstellern, die ausnahmslos alle mit dem Strich gecastet wurden und auch deswegen kaum über Charaktertiefe verfügen. Es ist nicht die Interpretation, die Suche nach einer moralischen Aussage oder nach einer Lebensphilosophie, auch wenn die Ansätze nicht unintelligent sind. Er sollte stattdessen als sensitiver Trip verstanden werden, den man auf sich einwirken lassen sollte, anstatt ihn mit dem Herzen zu fühlen. Den man schmecken, betrachten, spüren sollte, dem man lauschen sollte, anstatt ihn mit dem Verstand zu hinterfragen. Mit bildgewaltiger Opulenz führt Kathryn Bigelow durch einen ständigen Rollentausch, eine perspektivische Abfolge von immer neuen Stationen mit einer Abkehr von gängigen Genremechanismen... obwohl sie im Ansatz dankend angenommen werden. Ganz einfach ist es nicht, sich darauf einzulassen, aber wenn man den Willen und die Kraft dazu hat, sollte es funktionieren.
You can trust me, 'cause I'm your priest, I'm your shrink... I am you main connection to the switchboard of he soul. I'm the magic man... Santa Claus of the subconscious. You say it, you think it, you can have it.
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Bild
Ein Vergleich mit der alten VCL-DVD ist mir leider nicht möglich, aber wenigstens ist zu sagen, dass das Bild diesmal im anamorphen Format auf die Scheibe gepresst wurde. Auch sonst wirkt die Qualität recht gut erhalten. Die Farben, und das ist in diesem Film wohl die Hauptsache, wirken stets satt und kräftig; Kontrast und Schwarzwert sind auch im Rahmen. Zu bemängeln sind leider leichtes Grießeln, das sich nicht verdrängen lässt, und ein gewisser Grad an Unschärfe, der dem Bildmaterial sein Alter von 12 Jahren auf die Fahne schreibt. Dafür bleiben Bildverschmutzungen aus. Gut erhalten, aber das Maximum wurde nicht herausgeholt.
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Ton
Die Soundkulisse unterstützt einwandfrei die individuelle Wirkung bestimmter Szenen. Speziell die First-Person-Abschnitte überzeugen mit einer gigantischen Rundum-Kulisse; die Stimme derjenigen Person, die man in diesem Moment ist, ertönt aus den Rears, Effekte wie Motorengeräusch und Sitzerumpeln bei der Anfahrt ins Restaurant verteilen sich authentisch über die Kanäle. In regulären Dialogszenen kommen die Stimmen etwas dumpf herüber, die umfangreicheren Massenszenen sind fast immer mit hämmerndem Soundtrack und allerlei Hintergrundgeräuschen unterlegt und fordern den Bass aufs Stärkste heraus. Die direktionale Verteilung ist spitze, wobei Referenzen nicht erreicht werden, dazu müssten die Effekte noch klarer und besser lokalisierbar sein. Dennoch eine beeindruckende Untermalung der Stärken des Films.
Knapp:
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Menüs und Verpackung
Kinowelt brachte erstaunlicherweise eine attraktiv aufgemachte 2-Disc-Special Edition im aufwändigen Digipack zu einem vernünftigen Erstverkaufspreis von rund 13 Euro, und zwar außerhalb der “Premium Edition”-Reihe, in deren Gesellschaft dieses Produkt durchaus gut aufgehoben wäre.
Das Digipack ist zweifach aufklappbar. Auf drei Seiten sieht man die drei Darsteller Ralph Fiennes, Angela Bassett und Juliette Lewis mitsamt einer Beschreibung ihrer Charaktere. In die Mitte des dreigeteilten Digipack-Innenlebens wurde ein 14-seitiges Booklet geklebt, das mit ausführlichen Produktionsnotizen, Kapitelliste und Bonusmaterial-Auflistung glänzt, eingebettet in Filmimpressionen.
Das Hauptmenü protzt tonal schon mal mit dem, was einen dann im Hauptfilm erwartet. Skunk Anansie tönt mit den Geräuschen eines Massenauflaufs durch die Boxen, während der Schriftzug “Strange Days” sich stetig verändert und eine Montage von stylishen Filmszenen in den oberen drei Bildschirmvierteln abläuft. Die Menüs “Kapitel” und “Sprachen / Ton” sind leider unbewegt und stumm.
Das Menü der Bonus-DVD verfügt über die gleiche Soundkulisse, ist dabei allerdings nicht animiert.
Gesamt:
Extras
Die Bonusscheibe perfektioniert den Mehrwert gegenüber der alten Scheibe. Nach den obligatorischen Teasern und Trailern erfolgt ein Making Of in deutscher Sprache (23:26 Min.; von S & L Medienproduktion, vermutlich also produziert für ein Format wie Cinemaxx TV), das sich vor allem technischen Kriterien und Erläuterungen der Story-Ideen (Was ist Squid? Was bewirkt es? Etc.) Widmet, wobei u.a. auch James Cameron eine große Hilfe ist. Auch Darsteller und Regisseurin werden unter die Lupe genommen. Nebenbei wird fast eine komplette Inhaltsangabe gegeben...
Witzigerweise nennt sich das längste Feature (59:27 Min.) “Featurette”, ist dabei aber um einiges informativer als das vorhergehende Making Of. Kathryn Bigelow gibt hier tiefe Einblicke in die Entstehung der Technologien, die beim Filmen zum Einsatz kamen. Optisch ist das Ganze aber kein sonderliches Vergnügen, sieht man hier doch nur eine eingefrorene Grafik mit zwei Videoflächen, auf denen Filmpassagen und 3D-Modelle ablaufen, auf die sich Bigelow fast mit Radiostimme bezieht. Filmausschnitte und Beschriftungen sind dabei in Deutsch.
Die Featurette zu den visuellen Effekten (10:04 Min.) Verfährt nach dem gleichen grafischen Muster: Zwei “Monitore” und eine erklärende Telefonstimme, die informativ über die Effekte und ihre Entstehung aufklärt.
Zwei Deleted Scenes sind auch an Bord (“Signalverstärkung”, 4:24 Min.; “Ins Hotel Bonaventure”, 1:17). Ob die Szenen raus mussten, sollte man selbst entscheiden; sie hätten ob ihrer starken Intensität bzw. Hektik gut in den Film gepasst und sind wohl auch nur aus dem Endprodukt gefallen, um die Gesamtlaufzeit im Rahmen zu halten; unbedingt notwendig sind sie aber vermutlich nicht.
Skunk Anansie sind noch mit “Selling Jesus” am Start (3:49 Min.), es werden acht Interviews geboten (Ralph Fiennes, Angela Bassett, Juliette Lewis, Tom Sizemore, Kathryn Bigelow, James Cameron, Steven-Charles Jaffe, Lilly Milvert, Gesamt 19:34 Min.) sowie ein historisches Interview mit Kathryn Bigelow in Textform (14 Textseiten), außerdem eine Fotogalerie und Produktionsnotizen, ein Text über “Squid” und zum Abschluss diverse Trailer (Mr. & Mrs. Smith, Antikörper, Der ewige Gärtner, Half Light, Tristan & Isolde, Stay, Chaos, Boogie Nights, Saw 2, True Lies, eXistenZ). Insgesamt ganz nett und breitgefächert, leider aber nicht immer mit dem erhofften Unterhaltungsfaktor.
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Fazit
Hoffnungslos unterschätzter Cyberthriller aus den Mittneunzigern, der schon seine Erfahrung wert ist. Der ungemeine ästhetische Bildwert und der konsequente Verstoß gegen die Regeln des Spiels machen diesen Film so attraktiv. Kinowelt spendierte eine gelungene Neuauflage in hübscher Verpackung, gutem Bild und beeindruckendem Sound, dem ein gelungenes Extrapaket auf einer zweiten Scheibe entgegensteht, das vom Unterhaltungsfaktor her ein wenig zurückstecken muss.
Testequipment
TV-Gerät: Tevion 4:3
DVD-Player: Pioneer XV-DV313 5.1 Komplettsystem