Miami Vice
An der Südspitze Floridas stellt die ca. 2,2 Millionen Bewohner starke US-Metropole Miami mit ihrem Strandviertel Miami Beach eines der größten Tourismus-Zentren in der USA dar. Trotz scheinbar unendlich langen, weißen Sandstränden, malerischen Kanälen, Palmenalleen und karibischen Sonnenuntergängen vor der Kulisse einer typisch amerikanischen Großstadt mit imposanten Wolkenkratzern wissen wir spätestens seit einem gewissen Herrn Tony Montana, dass unter der paradiesischen Oberfläche wie in fast allen US-Großstädten die Kriminalität unkontrolliert zu wuchern scheint. Mit jährlich ca. 70 Morden, 100 Vergewaltigungen, 2700 Raubüberfällen, 6000 Einbrüchen, 16.000 Diebstählen und fast 5000 geklauten Autos erreicht die Kriminalitätsrate in Miami einen Index von 891,2 Punkten, der den US-Landesdurchschnitt um über 550 Punkte übertrifft.
So stellt die Metropole mit ihrer Nähe zu Kuba auch einen der Hauptumschlagsplätze für Drogen da, die von Südamerika über Miami in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gelangen. Für diese Thematik interessierte sich auch Michael Mann, Regisseur von „Collateral“ & „Heat“ und ganz nebenbei einer der Männer hinter der TV-Serie „Miami Vice“, welche mit ihrem Stil die Mode der 80er entscheidend prägte. Aufgrund zahlreicher gesammelter Fakten rundum Drogenkartelle und Undercover-Ermittler entschied sich Mann schließlich, wieder in die Stadt zurückzukehren, wo seine Karriere in der Film- und Fernsehen-Industrie begonnen hatte und reanimierte auch gleich das Cop-Duo Tubbs & Crockett, welches die Gangsterwelt von Miami in den 80ern aufgemischt hatte. Während Philip Michael Thomas (Tubbs) und Don Johnson (Crockett) mittlerweile vor allem damit beschäftigt sind, gegen die Zwangsversteigerung ihres Besitzes zu kämpfen, setzte Michael Mann auf neue Gesichter in Form von Oscar-Preisträger Jamie Foxx und Colin Farrell…
Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein Spitzel verrät einige Undercover-Cops, die dann bei einer Übergabe erschossen werden. Die Drogencops Sonny Crockett und Ricardo Tubbs wollen herausfinden, wer für den Tod der FBI-Ermittler verantwortlich ist, stoßen auf ein weitreichendes Netzwerk und beginnen selbiges schließlich als Undercover-Ermittler zu ergründen.
Zunächst direkt die Warnung: Wer ein wirkliches Remake der poppig-bunten Serie erwartet, wird ebenso enttäuscht, wie alle, die einen unterhaltsamen Action-Kracher a la „Bad Boys“ sehen wollen.
Schon in den ersten Minuten werden Sehgewohnheiten des Mainstream-Publikums arg strapaziert, in dem Mann mit wackeliger Handkamera das Geschehen in einer Disco verfolgt. Scheinbar ohne hochwertige Beleuchtung entwickelt sich ein Look, der aussieht, als hätte ein Tourist mit einem Camcorder das Geschehen aufgenommen.
Der erste kurze Shootout, der bis zum Showdown übrigens der einzige nennenswerte bleiben wird, überträgt seine beinahe fühlbare Wucht hervorragend auf die Leinwand. Unterstützt wird die Wirkung von einem umwerfenden Sounddesign, welches den Zuschauer regelrecht in den Sessel drückt, ähnlich wie die Insassen des Chryslers 300c, die von Maschinengewehrsalven zersiebt werden. Dabei findet man einen ungewöhnlich hohen Realitätsgrad vor, so dass sich nach einigen Einschüssen schon mal ein Arm lösen kann. Entgegen der streckenweise schon recht makaberen und selbstzweckhaften Gewaltdarstellung in „Bad Boys 2“ übertreibt Mann es hingegen nicht, legt zu keiner Zeit den Fokus auf einen besonders blutigen Einschuss (allenfalls am Ende) und zeigt spritzendes Blut und Schusswunden eher nebenbei, nicht als Zentrum einer Schießerei sondern einfach als unangenehmen… - oder sollte ich aus Sicht der Actionfans sagen - angenehmen Nebeneffekt.
Als die Cops dann Undercover eingeschleust werden, entwickelt sich das „Bewerbungsgespräch“ zu einem cleveren verbalen Konflikt, bei dem beide Cops charakterisiert werden, sich Crockett als Hitzkopf und Tubbs als schlichtender Partner herausstellt. Entgegen der letzten Michael Mann-Filme beginnt er nach dieser hervorragenden Szene allerdings die Charaktere zunehmend zu vernachlässigen. Anstatt weiter nah an seinen Figuren zu bleiben, schraubt er die Dialoge auf ein Minimum herunter und lässt stattdessen Geschichte und Bilder sprechen.
Sein anfangs erwähntes Interesse an Drogenkartellen ist dem Film nämlich in beinahe jeder Minute Laufzeit anzumerken. Er schafft es, den Zuschauer parallel zu seinen beiden Akteuren in diese gefährliche Welt einzuschleusen, ihn Details wahrnehmen zu lassen, Zusammenhänge begreifen lassen. So ausführlich er das gefährliche Netzwerk beleuchtet, so viel bleibt gleichzeitig noch im Dunkeln. Nachdem Film hat man das Gefühl nur die Spitze des Eisbergs zu Gesicht bekommen zu haben, was Mann’s Aussage, er hätte noch Stoff für 12 weitere Filme bestätigt. Gerade zu perfekt gerät dabei die Ausgewogenheit der Geschichte. Mann verheddert sich zu keinem Zeitpunkt in unnötigen Details, geht aber auch durchaus unter die kriminelle Oberfläche. So bleibt der Film zu jedem Zeitpunkt für den Zuschauer interessant.
Daran ist auch die Art der Inszenierung sozusagen mit Schuld. Durch den stellenweise amateurhaften Look, macht die gebotene Szenerie den Eindruck, man wäre selbst bei Übergaben und Verhandlungen dabei. Die Gefahr wird durch geschickte Kameraführung regelrecht spürbar. Anstatt durchgehend auf den Mitten-Drin-Look zu setzen, bekommt man in anderen Szenen übergroße Big Budget-Shots geboten, die jeden Hobby-Fotographen angesichts der gezeigten Pracht auf die Knie fallen lässt. So fliegt die kleine Transportmaschine des Cop-Duos auf einer ihrer Undercover-Mission durch die umwerfendsten Wolkengebilde. Über die Leinwand flimmern Luftaufnahmen von selten gesehener Schönheit und wenn die Cops zu Wasser unterwegs sind fliegt die Kamera hinter dem Speedboot her, während am Horizont die Sonne in einem unbeschreiblich starken Farbenspiel aus Orange in fantastischen Wolkenformationen versinkt.
Die Cops, mittlerweile fest in die illegalen Transporte eingespannt, schaffen es nicht ihr Privatleben vom Beruf zu trennen. Crockett verliebt sich in die Frau des Drogenbosses und es entwickelt sich eine heiße Affäre. Farrell und Gong Li finden nach kleinen Startschwierigkeiten schnell in ihrem Spiel zusammen und bringen den elektrisierenden Kontrast zwischen Gefahr und Leidenschaft äußerst glaubhaft auf die Leinwand, was auch zu großen Teilen wieder auf die Regie zurückzuführen ist, welche die Beziehung mit verspielten Tanzaufnahmen, die beinahe schon ein wenig an „M:I-2“ erinnern, aber viel besser ins Filmbild eingewoben sind, einführt. Beinahe komplett vernachlässigt wird die Partnerschaft zwischen Tubbs & Crockett. Jamie Foxx bekommt so gut wie gar keine Gelegenheit sein ohne Zweifel vorhandenes schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen, da Colin Farrell’s Erzählstrang von nun an dominiert und er sich zur zentralen Filmfigur emporarbeitet. Trotz heißer Nächte auf Kuba und der nun komplett festgefahrenen, vor Gefahr beinahe zerberstenden Situation liegt über allen Figuren dennoch eine gewisse unnahbare Kühle, die keiner so wirklich abschütteln kann. Die Chemie zwischen Farrell & Foxx existiert eigentlich gar nicht, die meist belanglosen Dialoge der beiden können die menschliche Leere in der Partnerschaft nicht mal ansatzweise füllen. Was selbst in dümmsten Buddy-Movies der Marke Bud Spencer/Terence Hill funktioniert, bekommt Michael Mann nicht in seinem Film umgesetzt. Auch wenn aus der Serie nur noch die beiden Hauptcharaktere und die schnellen Vehikel übernommen wurden, krankt gerade die Beziehung, die einen Buddy-Film, egal ob ernst oder lustig, ausmacht. Für sich allein spielen die beiden ihre Rollen gut, v.a. Colin Farrell legt seinen Charakter im Zuhälter-Look als so richtig coole Sau an.
Tatsche ist, dass Mann im Schneideprozess wohl noch größere Änderungen vorgenommen hat, so verschwand u.a. die im Trailer imposant vorgeführte Bootszene, in der 10 Rennboote durch den Hafen von Miami rasen. Somit keimt der Verdacht auf, dass Mann den Film ähnlich wie Ridley Scott bei seinem „Königreich der Himmel“ zurechtschneiden musste und damit womöglich Schäden angerichtet hat, die im Ursprungsfilm noch nicht vorhanden waren. Ob auch Mann einen Director’s Cut, eine Extendet Edition oder was auch immer von „Miami Vice“ machen wird ist unklar, denkbar wäre es angesichts des recht mauen US-Einspiels auf jeden Fall, um noch mithilfe mehrerer DVD-Veröffentlichungen Profit einzufahren. Die eben angesprochenen Schäden halten sich dennoch in Grenzen, denn der Film funktioniert trotz unterkühlter Figurenkonstellationen ungewöhnlich gut.
Im letzten Filmdrittel fährt Mann schließlich den Actionanteil nach oben und lässt dem Zuschauer erneut den Atem stocken. So kurz vor dem Ende hat dann auch Jamie Foxx noch einmal die Gelegenheit seinem Charakter ein wenig Farbe zu geben, bleibt aber dennoch verhältnismäßig blass. Dafür gibt’s eine ungemein plastische Explosion zu sehen, deren Druckwelle den Zuschauer sowohl visuell als auch ton-technisch in den Kinosessel drückt und schließlich kommt der Film in ein Finale, welches sich gewaschen hat.
Das Mann Spezialist für genial realistische Shoot-Outs ist, weiß man spätestens seit „Heat“, aber der Showdown in „Miami Vice“ kann es locker mit der Schießerei in den Straßen von Downtown L.A. aufnehmen. Erneut greift man sich hier die Handkamera und der Zuschauer zieht zusammen mit Crockett und Tubbs in das finale Feuergefecht, welches so real und ungeschönt auf die Leinwand übertragen wird, dass jeder Actionfan begeistert Deckung hinter dem Kinosessel seines Vordermanns suchen wird. Die Kamera ist permanent an den Akteuren dran, geht mit ihnen in Deckung, schwenkt zum Kollegen, richtet sich wieder hinter der Deckung auf. Bad Guys fallen mit blutenden Einschusslöchern unmittelbar vor der Kamera um, welche sich im nächsten Moment sofort weiter durch’s Gefecht bewegt. Die kompromisslose Umsetzung dieses Showdowns hat jede Menge blutiger Details zu bieten, auch zeigt sich hier mal in einem Hollywood-Film, welchen Schaden eine Pumpgun wirklich anrichtet….hossa die Waldfee. 😉 Um das Geschehen stets glaubhaft zu halten, verzichtet Mann auf eine überlange Actionorgie, beendet das Finale recht schnell und lässt den Film schließlich mit dem dominanten Crockett-Strang ausklingen.
Schlussendlich ist der erwartete Überfilm ausgeblieben. Michael Mann liefert in seiner Inszenierung eine neue optische Referenz ab. Wie ein Kind experimentiert er mit vollkommen unkonventionellen Kameraperspektiven, filmt scheinbar unwichtige Details, rückt Dinge in den Mittelpunkt, die sonst kein Regisseur in den Mittelpunkt rücken würde und kreiert somit einen innovativen, völlig neuen Look, welcher stellenweise regelrecht amateurhaft wirkt, aber den Zuschauer grandios ins Geschehen mit einbindet. „Miami Vice“ ist entgegen dem ungemein stylishen Trailer, der noch ein hochstilisiertes, obercooles Actionvehikel a la „Bad Boys“ vermuten lies, alles andere als ein typischer Hochglanz-Hollywood-Streifen. Mann spart sich Skyline-Rundflüge und filmt nur das, wo sich seine Geschichte wiederspiegelt. Allenfalls in der Anfangsszene, die gleich mit typischem Chart-Hip-Hop von Jay Z feat. Linkin Park loslegt, blitzt noch das durch, was viele nach dem Trailer erwarteten. Aber zusammen mit der todernsten Geschichte entfernt die Inszenierung den Zuschauer systematisch von den üblichen Sehgewohnheiten und entführt ihn in eine düstere, dreckige, skrupellose Welt, auf die die wenigsten Zuschauer gefasst waren. Auch der Soundtrack unterstützt dies, hat er nach der chart-effektiven Einführung weder orchestrale Bombast-Klänge noch die neueste Single irgendeines Newcomer-Rappers zu bieten, sondern konzentriert sich darauf, dass Geschehen angemessen, aber immer sehr dezent zu untermalen. Das funktioniert bestens und unterstützt die Atmosphäre des Films grandios, der nicht nur musikalisch vom Sound lebt.
Wenn der Abspann über die Leinwand flimmert, weiß man selbst nicht genau, was man von dem Film zu halten hat. Ohne Frage hätte man vor allem aus den Charakteren viel mehr herausholen können, die andere Frage ist aber, ob Michael Mann das überhaupt wollte. Ohne viele Dialoge lässt er vor allem seine Bilder sprechen und spannt den Zuschauer als Beobachter ein, welcher in eine Welt eintaucht, die der normale Bürger nicht mal erahnen kann. Die Faszination, die von „Miami Vice“ ausgeht, ergibt sich aus der Optik und den gut recherchierten Hintergründen, langweilig wird der Trip in eine Welt voller Kriminalität zu keinem Zeitpunkt, kann sich aber auch nie vollkommen aus der unterkühlten Figurenkonstellation lösen. Weg vom Mainstream entfaltet sich so ein Film, der weder den reinen Action- noch den Serienfans gefallen wird und damit der finanzielle Beinahe-Genickbruch eigentlich vorprogrammiert war. Wenn man mit diesem Wissen in den Film geht, erlebt man einen optisch überragenden, faszinierenden Trip in die Unterwelt von Miami…