Mal wieder nen büschn Stoff, der eh keinen interessiert. 😁
Jenseits von Eden
Originaltitel: East of Eden
Erscheinungsjahr: 1955
Regie: Elia Kazan
Darsteller: James Dean, Julie Harris, Raymond Massey, Burl Ives, Richard Davalos, Jo Van Fleet, Albert Dekker, Lois Smith, Harold Gordon, Nick Dennis
Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, siedelten sie dem 1. Buch Mose gemäß “im Lande Nod, jenseits von Eden” an. Ein Exil, bewohnt von Sündern, die Unrechtes getan hatten. Eine Dimension fern der absolut reinen Rechtschaffenheit von Gottes Reich. Ein Ort, an dem Gut und Böse verschmolzen, denn auch wenn die Schlange Adam und Eva dazu verführt hatte, von den Früchten zu kosten, so ist Adam immer noch ein Geschöpf Gottes, und Eva wurde aus der Rippe Adams geschaffen.
John Steinbeck entlieh dem Alten Testament den Titel für einen auf den Ersten Weltkrieg datierten Familienroman, gespickt mit religiösen Parabeln. Eine direkte Anwendung religiöser Werte auf die Lebensweise einer Familie zwischen Moral und wirtschaftlichem Überleben. Ethische Werte in einer Konfrontation mit realistischen Situationen, die zu einem Familiendrama ausarten mussten. Denn vorprogrammiert sind Generationenkonflikte, epochenspezifische Veränderungen durch Ereignisse wie den Ersten Weltkrieg, der die Menschheitsgeschichte erschütterte, und Einwirkungen größerer, wirtschaftlicher Dimensionen auf das Überleben des Einzelnen innerhalb seiner Primärgemeinschaft.
Elia Kazan verarbeitete Steinbecks Werk 1955 zu einem knapp zweistündigen Leinwandepos und verpackte die tragische Geschichte der Familie Trask in malerische Bilder der Küstenstadt Salinas Valley. Minutenlang wird unter pompöser Musik nur eine Ouvertüre in Form eines Blickes auf die Ränder der Stadt geboten; unter einer nur langsam und zaghaft schwenkenden Kamera schlägt die Gischt in die Steilküste ein und benetzt die Felsen mit Wasser, während sich ein düster-blauer Himmel kühl über die Landschaft ausbreitet. Ein Bild von Schönheit, das zugleich aber drohendes Unheil ankündigt. Wir befinden uns jenseits der fröhlich-bunten, unbeschwerten Screwball-Comedy einer Doris Day. Beziehungskisten und Charakteranalysen werden zwar auch geboten, sie fallen aber beileibe nicht so unbeschmutzt aus. Salinas Valley liegt eben jenseits des Paradieses.
Folgende Konstellation ist nun gegeben: Adam Trask (Raymond Massey) ist alleinerziehender Vater zweier Söhne, die kurz vor dem Erwachsenwerden stehen, Aron (Richard Davalos) und Cal (James Dean). Aron kommt ganz nach seinem Vater, einem streng gläubigen, rechtschaffenen Mann, der sich als absolut sündenfrei betrachtet und davon überzeugt ist, ein guter Mensch zu sein. Diesem Ideal strebt Aron mit Leichtigkeit nach: Er hat eine Freundin (Julie Harris), die er in Kürze zu heiraten gedenkt, und genießt die ganze Aufmerksamkeit seines Vaters.
Cal ist da ganz anders. Er versteht die Ideale seines Vaters nicht und ist für diesen deswegen das Sorgenkind. In seinem Bemühen, dem erziehenden Vorbild alles recht zu machen, tritt er mehrfach ins Fettnäpfchen und sieht nicht, wie er alles nur noch schlimmer macht. Aus guten Absichten wird Böses geboren, woraufhin er später gar dazu bereit ist, seinem Vater der im Affekt ausgesprochenen Äußerung zuzustimmen, dass er der Böse der beiden Brüder ist.
Die Grundeinstellung zum Leben und den Zielen, die man im Leben haben sollte, sind von der Wurzel an unterschiedlich, ja meist entgegengesetzt. Eine Ahnung, weshalb dies so ist, kommt zum Vorschein, als Cal seine Mutter ausmacht, die überhaupt nicht tot ist, wie Adam es seinen Söhnen erzählt hatte...
Ausgesprochen charakterintensiv steigt Elia Kazan in die Geschichte ein und legt sichtbar alle Anstrengungen darauf, die emotionale Breite einer jeden Figur auszudehnen und sie zueinander in Beziehung zu setzen. Die Handlungen der Figuren sind oft widersprüchlich in sich und gegenüber den anderen, trotz der bedacht realistischen Handlung nicht immer komplett natürlich, sondern auch mal mit religiöser Symbolik versehen. Die Trasks filtern jeder für sich Teile der biblischen Werte, in einem Körper und Geist vereint mit den Werten einer kapitalistischen Gesellschaft, die selbst den Krieg zu einer Quelle ökonomischen Nutzens macht. Stadt- werden von Landbewohnern unterschieden, alte von neuen Generationen. Inmitten dieses Pfuhls aus moralischer Uneinigkeit stehen fünf Menschen und haben mit der ungewöhnlichen Situation und miteinander umzugehen.
Cal ist das antreibende Moment der Geschichte, denn ohne ihn wäre jede andere Figur bis zum Ende ihres vorgegebenen Weges gegangen. Ohne Cal hätte Adam nach der missglückten Geschäftsidee mit der Eiskühlung einfach weitergemacht, Aron und seine Freundin Abra hätten geheiratet und niemand hätte jemals wieder den Kontakt zu Adams früherer Frau Kate (Jo Van Fleet) gesucht.
Indem James Dean diesem Cal nun sein Gesicht lieh, wurde er sehr schnell zum definitiven Symbol für die unverstandene Jugend der 50er Jahre. Diese erste seiner drei großen Rollen prägte Dean mit einer derartigen emotionalen Wucht, dass rückwirkend auch die Rolle ihn prägte und er selbst in seinem letzten Film “Giganten”, wo er im letzten Drittel einen in die Jahre gekommenen Ölmagnaten spielt, unter der Maske noch mit seiner Jugendlichkeit kokettiert. Wer weiß, wie Dean sich ohne den tödlichen Unfall als Schauspieler weiterentwickelt hätte; so jedenfalls ist er nach nur drei großen Filmen zur Legende geworden, einem Sinnbild für die ewige Jugend, denn ihn hat man in den letzten Jahrzehnten nicht altern sehen können. James Dean starb jung und jung behielt die Welt ihn in Erinnerung.
Das intensiviert seine großartige Leistung in “Jenseits von Eden” nochmals beträchtlich. Ursprünglich sollen Marlon Brando und Montgomery Clift für die Rollen der beiden Brüder vorgesehen gewesen sein, waren jedoch beide etwas zu alt für die Darstellung eines Geschwisterpaares im Teenager-Alter. Es lässt Rückschlüsse zu, dass dann Dean derjenige war, den der Autor der Romanvorlage sogleich mit dem Ausruf “Jesus Christ, he IS Cal!” adelte, denn Brando und Clift gelten als die Darsteller, deren Arbeitsweisen mit am meisten der von Dean glich.
So achtet er eigentlich weniger auf besonders treffende Mimik, die punktgenau eine Gefühlsregung imitieren soll, sondern verhält sich schlicht menschlich. Er kreiert eine Figur, die nicht unbedingt vorbildhaft cool ist, aber extrem identifikationswürdig. Hampelt unberechenbar umher, weiß nicht wohin mit seinen Händen, ob in die Hosentasche oder nicht, weiß nicht, ob er nun eine Grimasse des Lächelns aufsetzen oder seine Gesichtszüge einfrieren soll. Bewundert seinen Vater, sorgt sich um ihn, stellt bei jeder Gelegenheit die Frage nach seinem Wohl, obwohl er ihn innerlich vermutlich für seine Abneigung hasst, dafür, dass er ihm seine Liebe verwehrt. Ein Mensch voller Dissonanzen, hin- und hergetrieben zwischen der eigenen Persönlichkeit und dem Wunsch nach der natürlichen Anerkennung seines Vaters. Die besten Momente hat Dean gar, wenn er improvisiert und gegen die Drehbuchvorgaben anspielt: Die Szene, in der Cal seinen Vater krampfhaft umarmt, anstatt davonzulaufen, ist an Intensität kaum zu überbieten und stand dabei nicht einmal im Skript. Sie ist so intensiv, weil man sie nicht erwartet. So wie man Cals Charakter lange Zeit nicht einschätzen kann.
Wegen Deans hervorragendem Spiel funktionieren überhaupt erst die anderen Charaktere, weil er eben der antreibende Rückkopplungsfaktor im Gefüge ist. Arons Freundin Abra beispielsweise macht ihre persönliche Entwicklung erst anhand der Tatsache durch, dass sie sich vor Cal zunächst wegen seiner Unberechenbarkeit ein wenig ängstigt, ihre Neugier sie jedoch dazu treibt, den Bruder ihres Freundes besser kennen- und verstehen zu lernen. Auch Adam ist zur Reaktion auf seinen Sohn verdammt, wünscht er sich doch sehnlichst, dass Cal so sein möge wie Aron. Das macht Adams Figur gerade so interessant. Er ist kein Dämon, dem daran gelegen ist, den einen Sohn zu demütigen, während er den anderen liebt. Im Gegenteil ist er ein Mensch, der sich für ein universelles Ideal hält und in seiner Ehrfurcht vor seinen eigenen Dogmen vergisst, dass jeder Mensch fehlbar ist, ihn eingeschlossen. Was von seiner Vorstellung eines ehrbaren Lebens abweicht, sieht er als Bedrohung an und versucht es auszulöschen. Es sind die kleinen Gesten und Worte zwischendrin, die diese Vater-Sohn-Beziehung nicht zum Klischee ausarten lassen. Nach dem Wutanfall entschuldigt er sich bei Cal, nach dem verheerenden Geschenk, das Cal ihm am Ende macht, bedankt er sich zumindest noch für die guten Absichten. Schwarzweißmalerei zugunsten der Erregung des Verständnisses für die Identifikationsfigur wird nicht betrieben. Wir nehmen zwar den Standpunkt des missverstandenen Teenagers ein, übersehen aber auch nicht, dass Adam ein Mensch mit guten Eigenschaften ist und umgekehrt Cal auch grobe Fehler macht.
Entlarvt wird das missgebildete Familienkonstrukt dann mit dem Auffinden von Jo Van Fleets Kate, der Familienmutter, die sich vor Jahren abgesetzt hat. Dieser letzte Kniff verleiht der Story ihre Einzigartigkeit und dreht alles Bisherige um 180 Grad. Es ist schlichtweg genial, was mit diesem Clou ausgelöst wird und vor allem wie es geschieht. Interpretiert werden kann das Folgende nun auf mehrfache Art: Man kann die Bibel heranziehen, aber auch die Erbschaftslehre. Verhaltensbiologie und Erziehungspsychologie. Soziologie und Historizismus. Es ist fantastisch, was John Steinbeck aus einem schlichten Familiendrama zu ziehen wusste und wie Elia Kazan dies nun zu adaptieren versteht.
In diesem Zusammenhang ist besonders der historische Hintergrund von Interesse. Angesiedelt im Jahr 1917, werden gesellschaftliche Faktoren dieser Zeit auch deutlich in den Plot integriert. Von wirtschaftlichen Möglichkeiten, Profit zu schlagen, wird erzählt. Der Krieg wird dargestellt als ein Hort der Möglichkeiten, so schnell wie möglich zum Gewinner der Wirtschaft zu werden. Die Kriegswirtschaft war ein Roulettespiel aus dem Schoße der außergewöhnlichen Umstände, Inflation und Aufstieg bestimmter Marktbereiche, während andere einbrachen. All das wird hier mit dem Familiendrama verknüpft und an die Werte der Familie Trask gebunden, mit religiösen Motiven gleichgesetzt (Die Ökonomie als die in Versuchung führende Schlange, das erfolgversprechende Bohnengeschäft als die verbotene Frucht, Adam - welch Ironie, dieser Name in dieser Funktion - als Gott, der sich gezwungen sieht, seinen Sohn aus dem Paradies zu vertreiben) und zum Ausgangspunkt für das Familiendrama gemacht.
Doch funktioniert das Werk eben nicht nur als historischer Stoff, vor allem dient er als Parabel auf die damalige Gegenwart, das Amerika der Fünfziger Jahre. Hier befreit von den wirtschaftlichen Aspekten, steht der Generationenkonflikt im Fokus. Die unverstandene Jugend hatte hier endlich eine Perspektive vorfinden können, mit der sie sich identifizieren konnte, weshalb die Personifikation dieser Perspektive, James Dean, zum besagten Idol wurde.
Etwas im Sande verläuft der Handlungsstrang um Abra, die sich zunehmend für Cal zu interessieren beginnt. Unter der Wucht der Beziehung zwischen Cal und seinem Vater geht die Wirkung einfach unter und gewissermaßen wird auch dramaturgisches Potenzial verschenkt. Dabei hätte es davon noch gebraucht, denn obwohl der Film bis zum Ende spannend bleibt, sind dramaturgische Indikatoren kaum auszumachen. Dass ein gewisser Zeitraum vergeht, in dem Cal gleich ein ganzes Geschäft im Bodenfruchtgewerbe aufzieht, nimmt man kaum zur Kenntnis.
Auch das Band zwischen Cal und seinem Bruder Aron ist sehr dünn. Zwar wird damit verdeutlicht, wie entfernt die Geschwister voneinander sind, doch vollkommene Isolation voneinander kann nicht im Sinne des Erfinders gewesen sein.
Der Erfinder hat weiterhin insofern die Nase vorn, als dass im Roman noch die Vorgeschichte des Vaters erzählt wurde und die Generationenproblematik damit noch viel weitere Stränge schlug, ja dadurch beinahe eine komplett andere Aussage mittrug. Dies soll aber nicht das Problem der Verfilmung sein, denn auch so funktioniert die Geschichte, die sich eben stärker auf das letzte Drittel des Romans konzentriert und diesen entsprechend ausarbeitet, damit gar von der Vorlage abnabelt. Kazan produziert kein reines “Imagining” des literarischen Stoffes, sondern ein eigenständiges Werk mit einer eigenständigen Botschaft.
“Jenseits von Eden” ist in letzter Konsequenz ein sehr intensives, hervorragend gespieltes Familiendrama, das weit über die Grenzen seines Genres hinausgeht und der epischen Inszenierung inhaltlich alle Ehre macht. Wie der Regisseur historische Bezüge mit zeitlosen Werten, Genre-Regeln und aktuellen gesellschaftlichen Diskursen gleichermaßen verknüpft, ist beispiellos. Nebenbei wurde James Dean durch seine überragende Leistung und durch die Tatsache, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, zur unsterblichen Ikone für die missverstandene Jugend der damaligen Zeit. Dieses Bild hat sich bis heute gehalten. Kleinere dramaturgische Unzulänglichkeiten verblassen letztendlich durch die nachvollziehbare Geschichte und die liebevoll ausgearbeiteten Charaktere irgendwo zwischen Natürlichkeit und Symbolik. In jedem Fall jenseits dessen, was man erwarten würde.