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bzw.
Entstehungsdaten:
USA 2006
Regie:
Simon Brand
Darsteller:
James Caviezel
Barry Pepper
Greg Kinnear
Bridget Moynahan
Joe Pantoliano
Jeremy Sisto
Peter Stormare
Chris Mulkey
Clayne Crawford
Mark Boone Junior
Trailer:
http://www.apple.com/trailers/independent/unknown/
[/align][align=justify] Obwohl die Prämisse des Indie-Thrillers „Unknown“, dem Spielfilm-Debüt des erfahrenen Video-Clip-Regisseurs Simon Brand, im Grunde aus einer ganzen Reihe anderer Werke bekannt ist, bietet sie dennoch einen nicht von der Hand zu weisenden Reiz – schließlich erweckt sie augenblicklich Interesse und beinhaltet zugleich extrem viel Potential im Bereich der Spannungserzeugung, sowohl auf einer vordergründigen als auch psychologischen Ebene: Nach und nach erwachen fünf Männer aus ihrer Bewusstlosigkeit, nur um sich in einem verlassenen alten Industriegebäude (irgendwo in der kalifornischen Wüste) eingeschlossen wiederzufinden – sie können sich an nichts mehr erinnern, denn ein ausgetretenes Gas hat bei ihnen kollektiv eine Amnesie hervorgerufen. Wie in „Reservoir Dogs“ besitzen sie keine Namen – diese Tatsache resultiert keineswegs aus dem Bestreben, ihre Identitäten voreinander verborgen zu halten, sondern einfach daher, dass sie ihnen jeweils schlichtweg nicht (mehr) bekannt sind, weshalb sie in den Credits (u.a.) in Form von Umschreibungen aufgeführt werden…
„Jean Jacket“ (Jim Caviezel) kommt als erstes wieder zu sich. Beim Auskundschaften der Örtlichkeit entdeckt er zwei leere Stühle, an denen wahrscheinlich Menschen gefesselt waren, eine leckgeschlagene Gasflasche, vier andere ohnmächtige Männer, ja sogar eine Pistole. Ein Telefon klingelt, er nimmt ab – dank der schlechten Verbindung erkennt der Anrufer seine Stimme nicht (oder doch?) und teilt ihm mit, dass er gegen Abend dort eintreffen wird. Kurz darauf greift ihn „Rancher Shirt“ (Berry Pepper) an, nur stellt sich schnell heraus, dass beide in genau derselben Situation stecken – ein Zwangsbündnis entsteht. Alle Fenster und Türen sind gesichert bzw verriegelt, die Zustände der drei „Mitgefangenen“ liefern erste Hinweise auf denkbare Konstellationen im Vorfeld: „Bound Man“ (Joe Pantoliano) ist noch immer an einem Stuhl festgeschnallt, das Gesicht von „Broken Nose“ (Greg Kinnear) hat jemand (eventuell mit einer Schaufel) bearbeitet, „Handcuffed Man“ (Jeremy Sisto) hängt von einem Geländer des ersten Stocks, schwer verwundet, da ein Projektil seine Schulter zerriss. Kurz darauf finden sie eine Zeitung, deren Titel-Story den Ursprung der Geschehnisse offenbart: Vor zwei Tagen wurde ein reicher Geschäftsmann und dessen Partner entführt – dies würde bedeuten, dass zwei von ihnen Opfer, die drei anderen Kidnapper sind! Nur wer ist wer? Die Stimmung ist von Misstrauen geprägt, Spekulationen und Theorien machen die Runde, die Zeit bis zur angekündigten Rückkehr der anderen (Feinde oder Komplizen?) läuft allmählich ab. Spätestens als die Leiche eines Sicherheitsbeamten in einem Spind aufgefunden wird, ist klar, dass die Chancen gering sind, dass der Tag für alle gut endet – nur sieht sich keiner in der Rolle eines Täters. Die Entscheidung wird gefasst, gemeinsam einen Ausweg zu finden und zur Not die Eintreffenden auszuschalten – bis dato, inmitten der Vorbereitungen, kommen stückchenweise immer mehr Fakten, Einzelheiten und Erinnerungen zum Vorschein, da die Folgen der aus Versehen in die Luft entwichenen Chemikalie stetig nachlassen. Wem gelingt es zuerst, dass Puzzle zusammenzusetzen? Wird demjenigen gefallen, was er erfährt? Koalitionen werden geformt, hinterfragt, gebrochen und neu geordnet…
„Unknown“ gelingt es über weite Strecken, den Reiz der Ausgangsumstände vorteilhaft einzusetzen, so dass der Betrachter nicht permanent daran erinnert wird, vom Konzept her eigentlich „nur“ eine Kreuzung aus „Memento“, „Cube“, „Saw“ und Tarantino´s Erstlingswerk zu erhalten. Mit einer Reihe langsamer Kamerafahrten durch die den Protagonisten zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten setzt der Film ein, bestimmte Details (wie ein zerstörtes Handy, die regungslosen Körper) werden aufgezeigt, eine unheilschwangere Atmosphäre entsteht: Handelt es sich um die Ruhe nach oder vor dem Sturm? Der Verlust der greifbaren Identität ist zweifellos ein Albtraum, aber wie erst soll man es bezeichnen, wenn das auf eine ganze Gruppe zutrifft, die sich an einem isolierten Ort wiederfindet, an dem augenscheinliche Spuren klar auf ein bedrohliches Dilemma hinweisen. Hält man nun zusammen, bleibt für sich, verlässt sich auf sein Gefühl bzw der unsicheren Interpretation einzelner aufblitzender Gedächtnis-Fragmente? Jede (zurück-) gewonnene oder mühsam erarbeitete Information nährt das individuelle Bedrängnis zusätzlich: Was ist wichtig, kann bedenkenlos preisgegeben werden, lässt sich wohlmöglich zum eigenen Vorteil einsetzen? Die Uhr tickt unaufhörlich gen Sonnenuntergang, wer die Amnesie als erstes überkommt, gewinnt eine unschätzbare Überlegenheit, welche über Leben und Tod entscheiden kann. Die psychologischen Aspekte der Geschichte sind insgesamt gut ausgearbeitet worden, fördern die Anspannung und wirken der Vorhersehbarkeit entgegen, da zu jeder Sekunde eine neue Offenbarung alles nochmals auf den Kopf stellen könnte. Ferner treten interessante soziologische Ansätze bzw Fragen hervor: Angesichts der Gegebenheit, keine Rückgriffe auf bestehende Wesensmerkmale zu besitzen, ist es machbar, neue zu erschaffen sowie (zumindest begrenzt) im Einklang mit diesen zu leben? Definieren Erinnerungen unsere Persönlichkeit – und noch gravierender: Existiert die Option, selbst bei einem vollständigen Wiedererlangen, auf der Basis der neuen Impulse fortan einen anderen, unterschiedlichen Weg zu beschreiten?
Da es keine Fallen zu überwinden oder ausschweifende Erkundungen zu absolvieren gibt, fügten die Macher einen zweiten, sich parallel zu jenen Ereignissen entfaltenden Handlungsstrang hinzu, der bewusst gegensätzlich zur beinahe klaustrophobischen Enge gestaltet wurde (nämlich unter freiem Himmel am helllichten Tage) und zugleich etwas mehr Action in den primär Dialog-getriebenen Verlauf einbindet: Unter den observierenden Augen des FBI platziert Eliza Cole (Bridget Moynahan), Ehefrau des verschleppten Geschäftsmannes, das in einer Sporttasche verstaute Lösegeld in einem Schließfach am Bahnhof. Dem Drahtzieher der Entführer (Peter Stormare als „Snakeskin Boots“) gelingt es allerdings, dank geschickter Vorbereitungen die Scheinchenbündel an sich zu nehmen, das Gebäude zu verlassen und gemeinsam mit seinem Partner (Mark Boone Junior: „Bearded Man“) per Highway gen Wüste aufzubrechen – ein Detective (Clayne Crawford) war jedoch so aufmerksam, dass er und ein Kollege (Chris Mulkey) sich umgehend daran begeben, das andere Fahrzeug (aus sicherer Entfernung beschattend) zu verfolgen… Der gelegentliche Wechsel zwischen den Szenen innerhalb der Chemiefabrik und dem Katz und Maus Spiel ist zwar an sich recht clever konstruiert worden, u.a. weil auf diese Weise einige inhaltliche Lücken gefüllt werden, nichtsdestotrotz unterbricht er den straffen Fluss immerzu – das gewollte Gefühl, dass sich die Dinge in beiden Bereichen konstant zuspitzen, wird angesichts des fortwährenden Herausreißens aus dem jeweiligen Storystrang nie optimal erzielt. Schade, denn durch diese bewusste Abkehr von einer reinen Kammerspiel-Ausrichtung büßt das Werk einiges an Kraft ein.
Nicht nur aufgrund einer Budget-Höhe von unterhalb der 5 Millionen Dollar Marke sowie der Tatsache, dass unerfahrene Talente die Positionen Drehbuch und Regie bekleiden, fällt schon auf den ersten Blick die hochkarätige Besetzung ins Auge, welche keineswegs bloß mit bekannten Namen, sondern wahrhaftig begabten Vertretern der Schauspiel-Zunft aufzuwarten vermag. Da er als erstes erwacht, wird „Jean Jacket“ zum Anknüpfpunkt für den Zuschauer – seine Entwicklung erhält quasi automatisch die meiste Aufmerksamkeit. James Caviezel („the Passion“/„Deja Vu“) liefert, man kann schon sagen „as always“, eine überzeugende Performance ab: Er ist stets am besten, wenn es um eine subtile Präsentation gewichtiger Emotionen geht, siehe „the Thin Red Line“ oder „Angel Eyes“, was auf die hier abverlangten Gemütsverfassungen (Unsicherheit, auf welcher Seite er steht bzw stand, Verwirrung etc) natürlich genauso zutrifft. Berry Pepper („Saving Private Ryan“/„Battlefield Earth“), der seine Dialoge eindringlich vorträgt, ist mit Jim auf einer Höhe: „Rancher Shirt“ ist smart, gibt sich tough und schätzt die Sachlage beständig ab – er vertraut seinen Instinkten, eine vorschnelle Meinungsbildung auf der Basis von Annahmen lehnt er ab. Greg Kinnear („Auto Focus“/„Little Miss Sunshine“) schwankt glaubwürdig zwischen seinen Wünschen und Befürchtungen hin und her, aber die Art, wie seine Figur gestrickt ist (teils aufbrausend, zornig, hippelig), schottet ihn in gewisser Weise leicht vom Publikum ab. Joe Pantoliano („the Matrix“/„Bad Boys“) gefiel mir nicht ganz so gut, da er sozusagen seine Standard-Rolle abspult (anmaßend, etwas bösartig und humorig), Jeremy Sisto (TV´s „6 Feet Under“/„Wrong Turn“) hat aus den Reihen des Quintetts am wenigsten zutun (sein „Handcuffed Man“ erinnert unweigerlich an den ebenso angeschossenen „Mr.Orange“), allerdings sehe ich den charismatischen Kalifornier eigentlich immer gern. Die einzige Frau im Ensemble ist das ehemalige Model Bridget Moynahan („I, Robot“/„Lord of War“) – sie hat nicht gerade viel zutun, doch im Zuge ihrer (überwiegend melodramatischen) Auftritte bietet es sich an, zwischen den Zeilen zu lesen. Darüber hinaus runden etliche bekannte Gesichter in Nebenrollen den Cast-Gesamteindruck positiv ab: Peter Stormare (TV´s „Prison Break“/„Constantine“) ist mal wieder als Baddie zu sehen, was in seinem Fall nie schlimm ist, ihm zur Seite steht Mark Boone Junior („Batman Begins“/„Frankenfish“) – ihre direkten Gegenspieler werden von Clayne Crawford („A Love Song for Bobby Long“) und Chris Mulkey („North Country“) verkörpert, welche, obwohl ihnen die Vorlage kaum Raum zugesteht, das vorhandene Material dennoch einträglich ausfüllen.
Newcomer Matthew Waynee´s Skript ist gut ausgearbeitet und wartet mit etlichen intelligenten Dialogen auf, kann aber schlussendlich nicht ganz die nötige Souveränität aufbieten, um zu den großen Genre-Vorbildern (u.a. „the Usual Suspects“) aufzuschließen. Allgemein ist das leidige Thema „Flashbacks“ immer ein gutes, veranschaulichendes Beispiel: Langsam lichtet sich so der Gedächtnis-Schleier und fügt dem Geschehen simultan Kontext hinzu, die Umsetzung sowie jeweiligen Hinweis-Anteile wissen zu gefallen, nur dient ein Spiegel im Toilettenbereich hier mehrfach förmlich als Auslöser, denn ausgerechnet vor diesem kehren den Männern die meisten Erinnerungen zurück – spätestens nachdem ihn jemand zum zweiten Mal aufgesucht und dort einen neuerlichen Ruck in Richtung des Rätsels Lösung erfahren hat, ist ein klitzekleines Schmunzeln durchaus zulässig. Selbiges gilt übrigens gleichermaßen für die gefundene Zeitungsausgabe, die nicht einmal ein Foto des Entführten vorweist. Es wird sich viel angeschrieen, verbündet und entzweit, erneut beschuldigt (etc) – erfreulicherweise stimmt das Timing, so dass jene Abläufe nie vordergründig repetitiv anmuten, die knapp 80 Minuten Laufzeit forcieren und gewährleisten Kurzweil. Eine zusätzliche Viertelstunde (oder so), das muss ich im Gegenzug eingestehen, hätte allerdings wahrscheinlich eine bessere Wahl markiert: Da ja kein Thriller heutzutage ohne mindestens einer überraschenden Wendung im Finale auszukommen scheint, wäre es reizvoller gewesen, die Trumpf-Karte eines netten Doppel-Twists früher auszuspielen, um die aufgedeckten Realitäten noch aktiv in den Plot einzubinden, statt diese bloß für einen eher flüchtigen Aha-Moment kurz vorm Abspann zu verwenden. Cinematographer Steve Yedlin („May“) wählte ein ruhiges, der Materie angepasst nüchternes Herangehen, das den Protagonisten sowie bestimmten Details die nötige Aufmerksamkeit widmet, ohne mit Hilfe optischer Spielereien abzulenken – schnelles Editing wird dementsprechend nur bei Flashbacks und den wenigen Action-orientierten Sequenzen eingesetzt. Regisseur Simon Brand hat sein Debüt fest im Griff, selbst wenn man einigen Einstellungen anmerkt, dass ihm der finale Hauch Abgeklärtheit fehlt, um das Optimum aus allen verfügbaren Faktoren herauszukitzeln.
Fazit: „Unknown“ ist ein guter, nur letzten Endes halt kein überragender Streifen, der vornehmlich Freunden klassischer Thriller zusagen dürfte – ein nettes, relativ spannendes, gradliniges, stark besetztes cineastisches Puzzle-Spiel für Zwischendurch, das leider keinen sonderlich nachhaltigen Effekt zu hinterlassen vermag … [/align]
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