Undertow - Im Sog der Rache
Originaltitel: Undertow
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2004
Regie: David Gordon Green
Darsteller: Jamie Bell, Devon Alan, Josh Lucas, Dermot Mulroney, Kristen Stewart, Shiri Appleby, Robert Longstreet, Eddie Rouse, Patrice Johnson, Charles 'Jester' Poston, Mark Darby Robinson, Pat Healy
David Gordon Green. Diesen Namen sollte man sich vielleicht merken. Der in Texas aufgewachsene junge Filmemacher (geb. 1975) kann schon in seiner dritten Regiearbeit “Undertow” einige bekanntere Namen um sich versammeln und sichert sich zudem Terrence Malick als Produzenten, den Green als sein großes Vorbild auserkoren hat.
Diese dritte Arbeit ist die erste, die ich von ihm zu Gesicht bekomme, aber tatsächlich lässt sich Malick aus “Undertow” herauslesen. Weniger technisch; Malicks Filme sind langsamer und gediegener. Doch ist der Blick auf die Welt sehr ähnlich. Eine tragische Komponente, die im Mittelpunkt steht, jedoch nicht die Schönheit der Welt ignoriert.
Greens Metier ist bedingt durch seine Jugend das Familiendrama in einer amerikanischen Kleinstadt des Südens. Hier fühlt sich der Mann offensichtlich heimisch und zeichnet ein sehr authentisches Bild einer kleinen Familie um einen Vater und seine beiden Söhne, deren Leben sich durch das Auftauchen des Bruders vom Vater drastisch ändert. Was diese eigentlich altbekannte Konstellation vom Klischee trennt, ist wohl der Umstand, dass die Familie - im Gegensatz zu Beispielen wie “Kap der Angst” - ohnehin schon keine Idylle war. Probleme piesacken die drei auf sich alleine gestellten Menschen, die ohne ihre Mutter bzw. Frau weiterleben müssen, und etwas brodelt unter der Oberfläche, das nach dem klassischen Prinzip der Schuld und Sühne an die Oberfläche getrieben werden muss, damit endlich Ruhe gefunden werden kann. Der Katalysator macht sich bald in Form von Deel Munn (ein schmieriger Josh Lucas) in dem kleinen Holzhaus breit.
Ein märchenähnlicher Antrieb unterliegt den verschiedenen Charakteren, die das abseitige Isotop Georgias bevölkern. Einzig fehlt die dem Märchen eigene besondere Atmosphäre, die vermittelt, dass alles wieder gut werden wird. Die Wälder sind nass, kalt und dunkel, auf ihre Weise dabei auch schön, hochkontrastiert eingefangen vom Tim Orr, aber eben nicht leuchtend-geheimnisvoll wie in einer Erzählung, sondern realistisch, möglicherweise doch mit einem Tick Surrealismus. Vereinzelt wandelt sich das langsam erzählte, poetisch dialogisierte Drama zum Thriller, wenn die Charaktere aktiv werden und sich mit einer Gefahr konfrontiert sehen. Hier benutzt Green eigenwillige Stilmittel. Er friert kurz das Bild ein, wenn Deel ein Schwein auf dem Hof bei fallendem Regen rüde an den Hinterbeinen packt, oder im Vorspann, wenn ein Polizeiauto auf der Jagd nach dem fliehenden Chris (Jamie Bell) durch eine Pfütze rauscht - in dem kurzen Moment, als der Schlamm wie wild durch die Luft spritzt. Doch erscheinen diese Stilmittel nie selbstzweckhaft, werden sie doch sparsam und sinnvoll eingesetzt. Tatsächlich wird von verschiedenen Seiten gar moniert, “Undertow” sei Greens bis dato konventionellster Film, wo “George Washington” und “All the Real Girls” viel mehr in diese Richtung experimentierten.
Zumindest hinsichtlich der Story kann man dieser Einschätzung zweifellos beipflichten, da Überraschungen eher ausbleiben. Es handelt sich um ein klassisches Werk in Akten, das man angeblich dem literarischen “Southern Gothic”-Subgenre zuschreibt, das sich bewusst mit Stereotypen, also überraschungsfreien Charakteren befasst, die eher Erwartungen erfüllen als sie zu zerstreuen. Insofern ist “Undertow” im zeitgenössischen Kontext auch als anachronistisch einzustufen, insofern woanders eher Bemühungen auffallen, den Zuschauer möglichst hinters Licht zu führen.
Die Stereotypen zeigen sich dann besonders in der zweiten Filmhälfte. Von Protagonisten mag man bekannte Verhaltensmuster zumindest im Ansatz noch erwarten können, doch ein hilfsbereites kinderloses Paar wie dasjenige, das im letzten Drittel auftaucht, sieht man heutzutage nur noch selten mit voller Absicht in einen Film eingebaut.
Zusammen mit der kalten Atmosphäre hat dies jedoch Folgen auf die Empathie, die der Zuschauer in die Figuren zu investieren bereit ist. Es ist erwartungsgemäß schwer, sich in die Situation einzufühlen, zumal man nicht einmal recht weiß, welche Figur man als Medium auserwählt. Intuitiv wäre Jamie Bells älterer Bruder Chris die einzige Wahl, doch im Grunde bietet er sich nicht mehr zur Identifikation an als der kleine Tim (Devon Alan) mit seiner hilflosen Art oder der überrumpelte, passive Familienvater John (Dermot Mulroney). Nicht einmal Josh Lucas’ ekelhafte Darstellung des Bruders wäre in dieser Hinsicht ganz ausgeschlossen. Zwar ist er mit Haut und Haaren der Böse der Fabel, doch es fehlt die Möglichkeit, sich in eine der anderen Figuren besser hineinversetzen zu können. Hier ist “Undertow” bei aller Konventionalität nur schwer zugänglich und versagt dem Betrachter den Zugang.
Als dann die Geschichte angemessen an einem Flussbett beendet wird, entwickelt sich ein hyperminimalistischer Genrefilm aus Südkorea zum letztlich besten Vergleichsexemplar. Park Chan-wooks “Sympathy for Mr. Vengeance” besitzt denselben Tritt, die gleiche Stimmung und eine ähnliche Atmosphäre, wenngleich vor allem Malicks “In der Glut des Süddens” Pate gestanden haben soll. Es ist eine fröstelnde Geschichte mit dem urtümlichen Antrieb, eine innere Spannung abzubauen und mit dem Fade Off einen Ausgleich erschaffen zu haben.
Insofern kann man dem jungen Regisseur zu seiner Konsequenz nur gratulieren. Es ist erstaunlich zu sehen, wie unbeeinflusst von Trends auch solche Filmschaffende ihre Arbeit durchziehen können, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen. “Undertow” zeigt eine zeitlose, universell geltende Geschichte, die in einem halben Jahrhundert vermutlich immer noch ähnlich aufgenommen werden kann wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Nur fehlt der emotionale Zugang zu den ansonsten hervorragend gespielten Figuren. Sollte David Gordon Green dieses Niveau beibehalten und vielleicht noch ein wenig Luft nach oben hin haben, kann er irgendwann einmal sehr stolz auf sein Gesamtwerk zurückblicken.
,5