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Entstehungsdaten:
Kanada 2006
Regie:
John Fawcett
Darsteller:
Kathleen Robertson
Andrea Roth
Noah Bernett
Linden Ashby
Ben Bass[/align]
[align=justify]Bei „Last Exit“ handelt es sich um ein überraschend unterhaltsames und starkes „Made for TV“-Movie des kanadischen Regisseurs John Fawcett („Ginger Snaps“/„the Dark“) aus dem Jahre 2006, welches einen Werktag zweier vollkommen voneinander unabhängiger Frauen beleuchtet, deren Leben sich in Gestalt eines morgendlichen Vorfalls im Straßenverkehr zufällig überschneiden und in Folge dessen in nicht gerade zum Positiven hin veränderten Bahnen entwickeln. Als sich ihre Wege gegen Abend schließlich wiederum akzidentell kreuzen, resultiert das in einer Kurzschlussreaktion, die quasi als Ventil des gesamten angestauten Frusts fungiert – mit fatalen Konsequenzen…
Beth Welland (Kathleen Robertson) ist eine alleinerziehende Mutter, die nach der Scheidung zusammen mit ihrem gehbehinderten Sohn Benji (Noah Bernett) in einem kleinen Appartement gleich neben dem Freeway wohnt. Das Geld, das sie als Anwaltsgehilfin nach Hause bringt, reicht gerade mal so aus – aber wenigstens haben sie einander, und genau das ist ihr am wichtigsten auf der Welt. An seinem Geburtstag ist der Stress nun besonders groß, auch weil ihr Wagen, ein betagter Honda, selten noch zuverlässig anspringt. Ohnehin schon nicht mehr pünktlich, bringt sie ihn zur Schule, bevor sie sich durch die Rushhour gen Innenstadt kämpft, verpasst dabei allerdings ihre Ausfahrt, da sie ein rücksichtslos fahrendes SUV auf der Schnellstraße unmittelbar davor schneidet. In jenem Fahrzeug sitzt die erfolgreiche PR- und Werbefachfrau Diana Burke (Andrea Roth), Mutter zweier jugendlicher Kinder sowie Ehefrau eines Mannes (Linden Ashby), der seit einiger Zeit arbeitslos ist, was sie zur alleinigen Ernährerin der an einen gewissen (höheren) Lebensstil gewohnten Familie macht – eine Verantwortung, die mit einem Balanceakt einhergeht, zumal sie gerade erfahren hat, erneut schwanger zu sein, was natürlich kaum in ihre aktuelle Lage hineinpasst. Darüber hinaus steht heute eine wichtige Präsentation an, die zugleich über eine lukrative Beförderung entscheidet...
Aufgrund des Zwangsumwegs kommt Beth viel zu spät im Büro an und hat deshalb den Kurier verpasst, der immer zu Dienstbeginn die aktuellen Unterlagen vorbeibringt. Ihr Chef ist alles andere als begeistert, zumal er eine bestimmte Akte unbedingt bis Mittag für eine Verhandlung benötigt. Sie muss sich nun also beeilen, den Fahrradkurier schnellstmöglich ausfindig zu machen, was ihr tatsächlich binnen weniger Stunden gelingt – nur ist es da bereits zu spät: Bei ihrer Rückkehr erwartet sie die Kündigung. Um das Wunschgeschenk ihres Sohnes überhaupt bezahlen zu können, verpfändet sie kurz darauf ihre Lieblingskette und trifft sich mit ihm und ihrem Ex (Ben Bass) zum Geburtstagsessen – als letzterer jedoch von ihrem Jobverlust hört, nutzt er die Gelegenheit, ihr anzukündigen, nun das (Haupt-) Sorgerecht vor Gericht beantragen zu wollen. Die Schule suspendiert derweil Andrea´s Sohn, weil dieser eine Waffe aus der Sammlung seines Vaters in der Klasse zur Schau gestellt hat, und sie muss ihn persönlich aus dem Büro des Rektors abholen, da sich ihr Gatte gerade unerreichbar auf dem Golfplatz herumtreibt – zudem stehen die Chancen, den anstehenden Deal abzuwickeln, durch eine Reihe Umstände plötzlich ungemein schlecht. Beide Frauen erleiden an diesem Tag noch weitere Rückschläge sowie an der Substanz zehrende Erlebnisse – bevor sie sich bei Anbruch der Dunkelheit per Zufall an einer Kreuzung erneut begegnen: Die Nerven liegen inzwischen ohnehin blank, und dies ist nun der Tropfen, welcher das Fass zum Überlaufen bringt – die Situation eskaliert, und im Anschluss ist nichts mehr, wie es vorher mal war…
„Last Exit“ eröffnet mit dem Ende – inmitten eines Wolkenbruchs, der Unmengen an Regen auf das Stadtgebiet niederprasseln lässt: Die blutverschmierte Beth ruft, in ihrem schwer beschädigten Kleinwagen sitzend, per Handy um Hilfe – etliche Meter entfernt liegt das Wrack von Diana´s SUV auf dem Dach, sie selbst ist verletzt im Innern eingeklemmt. Während Rettungskräfte am Unfallort eintreffen und mit der Erstversorgung sowie dem Bergen der Opfer beginnen, erhält der Zuschauer die vorangegangenen 12 Stunden in ausführlichen Flashbacks stückchenweise aufgezeigt, welche zugleich die letzten einer länger andauernden Hitzewelle markierten. Dieses erzählerische Stilmittel funktioniert sehr gut – es verrät genügend, um den Ereignissen einen unheilschwangeren Schatten zu verleihen, ohne das Interesse an dem Plot zu gefährden. Obwohl man diesen Teil des Ausgangs von Minute eins an kennt, wird eine gravierende Information bis kurz vorm Schluss zurückgehalten – das Preisgeben erwischt einen unvorbereitet, wie ein unerwarteter Schlag. Die fortan verbleibende Zeit bis zum Abspann gehört dann den Familien der Betroffenen – man realisiert bzw ahnt zumindest, was für Auswirkungen dieser Vorfall wohl künftig auf sie haben dürfte.
Eine zweifellose Stärke des Films ist, dass er keine Seite dämonisiert. Zugegeben, die Sympathien tendieren gen Beth, schließlich kümmert sie sich rührend um ihr behindertes Kind und führt eine Existenz, mit der man sich vermutlich eher identifizierten kann, doch auch Diana ist eine sorgende Mutter und hart arbeitende Person, die ihre Familie ebenfalls über Wasser halten muss. Sie versucht, all das mühsam Aufgebaute zu bewahren – und das keineswegs aus egoistischen Motiven heraus. Ja, sie wirkt angesichts ihrer kontrollierten Art etwas kalt, was aber wahrscheinlich ein notwendiges Übel ist, wenn man als Frau in einer derartigen Position innerhalb der noch immer männlich dominierten Geschäftswelt bestehen will, und ja, sie ist keine sonderlich gute Autofahrerin – nicht, weil ihr die umgebenden Geschehnisse egal sind, sondern aufgrund der Tatsache, dass sie von den vielen Dingen, die sie (zwangsweise) ständig beschäftigen, permanent an die Grenze zur Überforderung gedrängt wird. Beth´s Leben bewegt sich genauso am Limit ihrer Belastbarkeit – nur halt auf einem anderen Level. Die Verzweiflung unter ihrer nach außen hin soliden Oberfläche ist eigentlich offensichtlich, bloß kann sie sich keine Pause genehmigen, denn Geldverdienen plus Kind ergibt eine Vollzeitbeschäftigung, bei der kein Platz fürs Nachdenken über persönliche Bedürfnisse oder die eigene Befindlichkeit bleibt – zwangsweise resultieren daraus Fehler. Als sie Benji „verliert“, reicht ein einziger Funke aus, der alles Aufgestaute kanalisiert und zur explosionsartigen Entladung bringt – dementsprechend erschrocken nimmt sie das Getane nach dem „Unfall“ zur Kenntnis, als sie wieder einen klaren Gedanken zu fassen vermag…der „reinigende“ Regen nach der drückenden Hitzperiode symbolisiert das entsprechend. Beide stehen jeweils unter einem enormen Druck. Die Umstände, in Verbindung mit einem Gefühl der persönlichen Isolation, lassen sie zunehmend die Kontrolle sowie die damit verbundene Sicherheit der eigenen Souveränität verlieren – veranschaulicht wird das vom Bild der Individuen in ihren abschottenden Fahrzeugen, welche beim Zusammenspiel der einzelnen Elemente des dichten, stressenden, anonymen Verkehrflusses zwangsweise gelegentlich aneinander geraten. Reines Schwarz und Weiß gibt es hier nicht – nur Grauschattierungen. Es wäre zu simpel und geradewegs falsch, Diana zur Schuldigen zu benennen, nur weil sie Beth geschnitten hat und diese sich daher verspätet – sie ist nicht rein deshalb gefeuert worden, sondern da das schon des Öfteren vorgekommen ist, es sich demnach erneut nur um die Spitze eines Eisbergs handelte.
Die Leads tragen eine Menge zum Gelingen des Werkes bei, indem sie überzeugende, authentisch anmutende Leistungen abliefern. Kathleen Robertson (TV´s „Beverly Hills 90210“/„Scary Movie 2“) verleiht Beth einen zarten Kontrast zwischen ihrem gefassten Äußeren und dem, was hinter der Fassade brodelt. Sympathien und fast sogar männliche Beschützerinstinkte werden geweckt, doch es ist ihr Spiel an sich, das den schmalen Grat zwischen Stolz, Stärke, Angst, Trauer, Wut und Verletzlichkeit eindrucksvoll veranschaulicht – besonders in bestimmten Augenblicken, in denen ihre Mimik (ohne unterstützende bzw ablenkende Worte) kraftvoll Bände spricht, etwa als ihre Kreditkarte im Beisein einer alten Schulfreundin zurückgewiesen wird oder sie von ihrem Mann erfährt, dass dieser das Sorgerecht einklagen will, worauf sie plötzlich umfassend erkennt, welch harmonisches Dasein er im Grunde, nicht nur im Vergleich zu ihr, inzwischen führt (guter Job, neue Beziehung, schönes Haus in der Vorstadt etc). Andrea Roth („the Untold“), bestbekannt für ihre Rolle an der Seite von Dennis Leary in TV´s „Rescue Me“, ist Robertson beinahe ebenbürtig – es gelingt ihr, dass Diana dem Betrachter nicht vollkommen egal ist, allerdings wirkt ihre Figur geringfügig weniger komplex, weshalb sie meiner Meinung nach ihrer Kollegin im direkten Vergleich minimal unterliegt. Noah Bernett („Gothika“) ist glücklicherweise einer der besseren Kinderdarsteller da draußen, Linden Ashby („Mortal Kombat“) und Ben Bass („Bride of Chucky“) vervollständigen die Besetzung mit unerheblicheren, dennoch zufriedenstellenden Auftritten.
Russell Cochrane´s Drehbuch inhaliert ähnliche Luft wie Roger Michell´s „Changing Lanes“, verbunden mit einem Hauch „Falling Down“ und/oder „Bad Day on the Block“. Inspiriert von einem Zeitungsartikel, der von einem Vorfall handelte, bei dem eine aggressive Fahrweise zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zweier Mütter führte, trug er seine Idee den Verantwortlichen bei „CTV“ vor, welche sich interessiert zeigten und die Realisierung des Skripts fortan im Zuge ihres „Writer Only Drama Development“-Programms finanziell und kreativ unterstützten. Im Prinzip ist die Story nicht allzu reichhaltig – sie besteht aus diversen Situationen zweier Ereignisketten, welche durchaus im Bereich des Möglichen liegen und die Gutgläubigkeit des Publikums daher nicht zu sehr strapazieren. Ich möchte gar so weit gehen, einen Vergleich zur Hit-TV-Serie „24“ heranzuziehen, denn auch jene Show lebt von derartigen inhaltlichen Abfolgen und kaschiert die Tendenzen gen Unglaubwürdigkeit dank einer packenden Inszenierung sowie des vorhandenen hohen Tempos. Die beiden Geschichten verlaufen parallel, teils in direkter örtlicher Nähe, schneiden sich nur am Anfang und Ende – zwar wird keine Uhr (vordergründig) eingeblendet, aber die Termine, welche jeweils eingehalten werden müssen, erhöhen die Spannung ebenfalls in Gestalt kleinerer Wettläufe gegen die Zeit. Cinematographer Norayr Kasper („Time of the Wolf“) wählte einen ähnlichen Stil wie bei den Abenteuern des Jack Bauer: Die Optik ist hochwertig, der Handkamera-Einsatz bewegt sich ständig ganz nahe am Geschehen, ein roher, dokumentierender Eindruck entsteht. Die generierte Energie wird zusätzlich von Brett Sullivan`s („Ginger Snaps 2“) Editing-Arbeit unterstützt, welcher die Hektik mit schnellen Schnitten (in Kombination mit diversen unruhigen Perspektiven) wirkungsvoll visualisiert. Der zentrale Crash wurde aufwändig arrangiert und in Szene gesetzt, insgesamt finden (in diesem Fall) allgemeine Vorurteile in Bezug auf kostengünstige kanadische Fernseh-Produktionen keinerlei Nährboden oder Bestätigung.
„Last Exit“ thematisiert verschiedene Zustände, welche die heutige Gesellschaftsstruktur mit sich bringt – wie Stress, Arbeitslosigkeit, Existenzängste, persönliche Isolation, finanzielle Knappheit, Folgen einer Scheidung und/oder Erfolgsdruck. Nicht erst eine Kombination dieser Punkte kann einen Menschen an sein Limit (und darüber hinaus) pushen. Jeder hat mal einen schlechten Tag und muss angesichts der Redewendung „Murphy´s Law“ ungemütlich schmunzeln – nur variiert die Anzahl der Schläge, die jeder persönlich einzustecken vermag, individuell, die Folgen eines (nervlichen/psychischen) Zusammenbruchs sind ebenso verschieden. John Fawcett´s straffe Regie vermittelt diese sich permanent zuspitzenden Emotionen (hauptsächlich Frustration, die langsam in Verzweiflung und Wut umschlägt) sehr gut – geschickt wandelt er sie in Suspense um: Der Verlauf packt einen von Beginn an und bewahrt die Aufmerksamkeit bis zum Abspann, das Finale überrascht und verärgert in gewisser Weise zugleich – aber das Leben ist nunmal erfahrungsgemäß nicht immer fair. Jeder macht Fehler, trifft falsche Entscheidungen: Die Charaktere wirken vertraut, das Aufgezeigte erscheint menschlich. Perfekt ist dieses Drama, das schon fast an einen Thriller grenzt, keineswegs – u.a. vollzieht sich die finale Verfolgung etwas zu zügig, tatsächliche Originalität sucht man (genau genommen) auch vergebens – nichtsdestotrotz haben wir es hier mit einem toll gespielten, über die meiste Zeit ziemlich fesselnden TV-Film zutun, der gut unterhält und dementsprechend auf jeden Fall einen Blick wert ist … [/align]
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„7 von 10“
(nahe der Schwelle zur „8“)

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