Der Krieg des Charlie Wilson
Originaltitel: Charlie Wilson's War
Produktionsjahr: 2007
Herstellungsland: USA
Regie: Mike Nichols
Darsteller: Tom Hanks, Amy Adams, Julia Roberts, Philip Seymour Hoffman, Terry Bozeman, Brian Markinson, Jud Tylor, Rachel Nichols, Shiri Appleby, Ned Beatty u.a.
Der Afghanistankonflikt, der im Dezember 1979 mit dem Einmarsch der Russen in Afghanistan begann, war der zweite große Stellvertreterkrieg aus der Zeit des Kalten Krieges. Unter einem Stellvertreterkrieg versteht man im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg eine kriegerische Auseinandersetzung, bei dem der Konflikt zwischen Sowjetunion und USA nur indirekt ausgetragen wurde. Der Vietnamkrieg war dahingehend der erste große und bedeutsame Clash zwischen Kommunismus und Kapitalismus, trafen hier doch die aktiv involvierten Amerikaner auf Vietnamesen, die ihre Waffen aus russischen Geldquellen finanzierten. Im Afghanistankonflikt war es nun genau andersherum. Denn während die Russen in dem Land wüteten, unterstützten die USA und Saudi-Arabien in diesem Konflikt die Mudschahidin, die sich gegen das sowjetische Regime in einem Guerillakrieg aufbäumten, mit umfangreichen finanziellen Beiträgen, die es jenen ermöglichte, sich von den Staaten China, Ägypten, Israel, Großbritannien und weiteren Staaten Waffen zu kaufen.

Genau dieses Kapitel des Kalten Krieges wird in "Der Krieg des Charlie Wilson" aufgegriffen und mit viel satirischem Gespür angegangen. Genauer gesagt geht es um Charlie Wilson, seines Zeichens Kongressabgeordneter und Vertreter des zweiten Distriktes von Texas und Mitglied des Verteidigungsausschusses. Im Großen und Ganzen geht er aber lieber seiner Genusssucht nach. Frauen, Alkohol ... nichts, was Charlie jemals auslassen würde. Da wird er von einer seiner Gönnerinnen und ehemaligen Geliebten Joanne Herring aufgefordert, sich in den Afghanistankonflikt einzuschalten. Eher beiläufig erhöht er darum den Etat für verdeckte Operationen in Afghanistan von fünf auf zehn Millionen Dollar. Daraufhin bahnt Joanne Herring ein Treffen zwischen dem Präsident von Afghanistan und Charlie an. In diesem Treffen "haut ihm der afghanische Präsident die Keulen um die Ohren wie das russische Variete" und macht Charlie klar, dass er sich mit diesem Konflikt genauer wird beschäftigen müssen. Zum Schlüsselerlebnis wird dabei ein Besuch in einem Flüchtlingslager in Pakistan. Charlie Wilson wird nun zum vehementen Streiter für das Volk von Afghanistan und er leitet die verschiedensten politischsten Winkelzüge ein, um letztendlich die Geldleistungen für die afghanischen Freiheitskämpfer von zehn Millionen auf eine unglaubliche Summe von einer Milliarde Dollar pro Jahr aufzustocken. Diese Aktion gerät zu Charlie Wilsons größtem Triumph und gleichzeitig zu seiner größten Niederlage ... "Charlie did it" wird es am Ende heißen. Sein lakonischer Kommentar:
"Diese Ereignisse sind wirklich geschehen und sie waren glorreich und wichtig ... aber dann haben wir das Endspiel versaut!"
Dieses vor den Abspann gesetzte Zitat trifft den Zuschauer dann wirklich da, wo es weh tut. Denn spätestens jetzt bauen sich im Kopf der Zuschauer Bilder auf von Ground Zero und die immer wieder aktuellen Terrorwarnungen schnellen einem durch den Kopf. Denn was hier in 100 Minuten mit soviel Sinn für wundervollen Humor vor unseren Augen mit enormen Tempo aufgedröselt wurde und so blendend unterhielt, ist freilich nichts anderes, als der Beginn des Zusammenbruches der UdSSR und des Aufbegehrens des zunehmend militanter werdenden Islamismus. Charlie Wilson geht an die Wurzeln der heutigen Terrorangst und zeigt gleichzeitig auf, wer auch und vor allem Schuld an der ganzen Misere ist. Denn als Charlie Wilson "seinen" Sieg gegen die Russen gewonnen hat, muss er feststellen, dass mit diesem indirekten Sieg der Amerikaner das Interesse der amerikanischen Bevölkerung und der amerikanischen Regierung an diesem Land komplett versiegte. Wilson wird es in der Folgezeit nicht einmal schaffen, eine winzige Million für den Wiederaufbau von Schulen in Afghanistan vom amerikanischen Kongress loszueisen. Und so oft Charlie Wilson in dem Streifen auch diverse Reden vor der amerikanischen Flagge halten mag, so wenig patriotisch ist der gesamte Film. Hier wird vor der gestreiften Flagge Tacheles geredet und wird das Verhalten der amerikanischen Regierung in ihrer Außenpolitik aufs Schärfste angegangen! Nur eben immer unterhaltsam verpackt!
Aufgrund dieser wirklich launigen Aufmachung von "Der Krieg des Charlie Wilson" ist man nach dem Filmgenuss wirklich geneigt, das Gesehene zu einer wundervoll aufgemachten Fiktion zu erklären. Man kann sich nämlich so gar nicht vorstellen, dass ein einzelner Mann - und dann auch noch ein derartiger Lebemann - zu derartigen Leistungen in der Lage gewesen sein soll. Doch tatsächlich greift "Der Krieg des Charlie Wilson" auf das Leben des Kongressabgeordneten Charlie Wilson zurück! "Der Liberale von Lufkin" wurde er genannt und machte sich in seinem Staat Texas stark für die Frauenrechte, die Steuerbefreiung von Senioren, befürwortete das Recht auf Abtreibung, hatte eine unglaublich große Lobby an schwarzen Wählern und trat gegen eine Waffenkontrolle ein, wofür ihn sein Wahlbezirk abgöttisch liebte. Am Capitol Hill war Wilson eher wegen seiner Persönlichkeit als für seine politischen Entscheidungen bekannt, liebte er es doch sich mit wunderschönen Frauen zu umgeben (seine Sekretärinnen erhielten den Spitznamen "The Angels", im Film heißen sie "Pressepussys" und tragen diesen Namen mit aller Würde vor sich her), frönte Freund Alkohol und war eine ewig witzelnde Charmemaschine, die mühelos alle Sympathien auf sich vereinen konnte.

Mit genau diesen Attributen versehen, war die Rolle des Charlie Wilson eine Rolle wie maßgeschneidert für Tom Hanks, der augenblicklich zwar eher selten auf der großen Leinwand präsent ist, dafür aber ein nach wie vor untrügliches Gespür für großartige Rollen beweist, die ihn sowohl auf der Ebene seines gewohnt grandiosen komödiantischen Timings als auch auf Charakterdarstellerebene richtig fordern. Hanks ist als Charlie Wilson einfach ideal besetzt, zumindest nach Ansicht der deutschen Fassung, denn in den USA gab es auch Kritik zu hören, sei er doch als Texaner nicht sonderlich überzeugend. In der deutschen Synchronisation merkt man von derartigen dialekttechnischen Problemen freilich nichts. Flankiert wird Hanks von einem hervorragenden Cast, der bis in die Nebenrollen hinein absolut stimmig besetzt ist und teils grandiose Leistungen abzuliefern versteht. Allen voran Philip Seymour Hoffman als CIA Mitarbeiter Gust Avrakotos, der zum engsten Vertrauten von Charlie Wilson mutiert und dementsprechend viel Screentime zusammen mit Tom Hanks hat. Und in genau diesen Momenten sprüht die Leinwand vor Wortwitz und bleibt wahrlich kein Auge trocken. Mit welcher Leichtigkeit und Unbekümmertheit sich die Beiden die Bälle zuspielen, das hat absolute Klasse, ist einer der wichtigsten Garanten für das Gelingen des gesamten Streifens und macht auch vor offener Medienschelte nicht halt:
"Mit Sex und Drogen in der linken Hand kann man hinter der Rechten ganze Flugzeugträger verstecken, ohne dass es irgendwen interessiert."
Die literarische Vorlage für "Der Krieg des Charlie Wilson" lieferte Journalist George Crile. Dieser hatte bereits 1988 die außergewöhnlichen und vor allem komplett unbekannten Leistungen des Charlie Wilson mit einem Portrait in der TV Reihe "60 Minutes" gewürdigt und kurz darauf ein Buch über die Ereignisse geschrieben. Dieses Buch wurde von Drehbuchautor Aaron Sorkin in ein vor Wortwitz und teils lakonischem, teils satirisch beißendem Humor berstendes Drehbuch umgewandelt und bot Regisseur Mike Nichols (Hautnah) alle Freiheiten für ein vor zitationswürdigen Mono- und Dialogen nur so strotzendes, wortgewandtes und wortgewaltiges Filmvehikel.

Dieses präsentiert Mike Nichols fernab jeglicher optischer Spielereien. Sein Hauptaugenmerk liegt offensichtlich auf einer zeitlich stimmigen Ausstattung und einer atmosphärischen, ungemein flotten und edlen Inszenierung, die ordentlich 80er Jahre Flair atmet. Einzig in den Szenen in und um Afghanistan schaltet der Regisseur einen braunen Farbfilter vor und bietet einige wahnwitzige Momente, in denen russische Kampfhubschrauberpiloten wie in einem Videospiel Menschen auf dem Erdboden mit ihren Geschossen zerplatzen lassen und sich nebenher vollkommen gelangweilt über anstehende Hochzeiten unterhalten. Fernab jener Momente gibt es aber kaum optische Entsprechungen für das satirische Sujet. Wer sich hier also einen "Lord of War" Wiedergänger erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden, da "Der Krieg des Charlie Wilson" ausschließlich verbal angreift. Auch musikalisch findet man kaum Entsprechungen des satirischen Grundtones. James Newton Howard stellt seinen Score einzig und allein in den Dienst des Filmes, ohne das Geschehen irgendwie zu ironisieren oder zu brechen. Dabei steht er absolut auf der Gewinnerseite, ordnet er sich doch so dem sehr intelligenten Ansatz des Filmes unter.
Denn eines ist klar: Der Krieg des Charlie Wilson ist bei allem offenherzigen Amüsement einer der intelligentesten Vertreter seines Genres. Wortgewaltig und äußerst unterhaltsam verpackt er sein wichtiges Thema und regt vor allem im Nachhinein zu einer ausführlicheren Beschäftigung mit dem Filmthema an. Getragen wird der Streifen von dem großartigen Darstellerduo Philip Seymour Hoffman und Tom Hanks, die hier selbst Oscarpreisträgerin Julia Roberts gnadenlos an die Wand spielen. Was bleibt ist ein Glücksfall für den Zuschauer, der zum einen wirklich Spaß an dem Film haben kann und zum anderen viele Denkanstöße geboten bekommt, wenn er sie denn sucht. Ein großartiger Film, dem man eigentlich nur einen Vorwurf machen kann, nämlich dass er in seiner Fokussierung auf Charlie Wilson insgesamt ein wenig oberflächlich wirkt. Wir erleben die Winkelzüge des Charlie Wilson, die seltsamerweise auch immer problemlos funktionieren, und bekommen so den Eindruck, dass nur dieser eine Mann den Afghanistankrieg gewonnen hat. So bleiben Einblicke in die ganz großen Zusammenhänge oder eben belanglose Begleiterscheinungen komplett aus. Ein Umstand, den man dem Streifen aber nicht allzu negativ anlasten will, da er ja im Sinne einer Satire funktioniert und als solche vermutlich auch dringend so eng fokussieren muss, um wirklich zu funktionieren.
In diesem Sinne:
freeman