The Verdict - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit (Cinema Premium)
Originaltitel: The Verdict
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 1982
Regie: Sidney Lumet
Sprecher: Paul Newman, Charlotte Rampling, Jack Warden, James Mason, Milo O'Shea, Lindsay Crouse, Ed Binns, Julie Bovasso, Roxanne Hart, James Handy, Wesley Addy, Joe Seneca
Technische Daten
Vertrieb: 20th Century Fox
Regionalcode: 2
Laufzeit: 123:40 Min.
Bildformat: 1,85:1 (anamorph / 16:9)
Sprachen: DD 2.0 Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Dänisch, Finnisch, Norwegisch, Schwedisch, Audiokommentar
Freigabe: FSK 6
Verpackung: Amaray im Pappschuber
Film
Der Rechtsanwalt ist in der großen amerikanischen Zirkus- und Stuntshow “Gerichtsdrama” für gewöhnlich ein Werkzeug. Es erfüllt unsere Herzen mit Zorn, wenn der Winkeladvokat auf Seiten des Feindbildes, meist eine von Repräsentanten vertretene anonyme Firma, das Rechtssystem verdreht und somit die Ungerechtigkeit Einzug erhält in die US-Justiz. Wir werden von einer warmen Woge der Genugtuung überschwemmt, wenn “unser Mann”, der heimliche Held der Geschichte, den Spieß umdreht und dem kleinen Mann von der Straße schließlich doch noch Gerechtigkeit widerfährt. Er, der sich anschließend wie ein Cowboy dem Sonnenuntergang zuwendet und den Mandanten seinem Glück überlässt.
Das Spiel mit der zweifelhaften Dichotomie von “richtig” und “falsch” (eine Vorstellung, die in den Kommunikationswissenschaften schon seit Wittgenstein überholt ist, und das Rechtssystem funktioniert schließlich durch nichts anderes als argumentative Kommunikation) birgt stets die Gefahr der Vereinfachung von Sachverhalten, verführt zu dem Gedanken, es müsse die “Guten” und die “Bösen” im Spiel geben. Und unter dem Strich geht es eigentlich immer nur ums Gewinnen. Gewinnt das Böse, so im Namen der Kritik am amerikanischen Rechtssystem; gewinnt das Gute, so um es anhand seiner Geschworenen als Triumph zu feiern.
Sydney Lumet (“Die zwölf Geschworenen”) hingegen befreit den Anwalt - also unseren Anwalt - von der Werkzeugfunktion und befördert ihn vom funktionalen Partikel des staatlichen Apparates zum Menschen. Er bringt den erfahrenen Charakterdarsteller Paul Newman ausgerechnet mit einer Anwaltsrolle an den Rande seiner schauspielerischen Möglichkeiten und schöpft sie bis zum Boden aus, denn Paul Newmans Frank Galvin ist eine Filmfigur, die ganze Welten von Variablen beinhaltet; sie unterhält komplexe Beziehungen, sie ist abgründig, voller Probleme und Selbstzweifel, und vor allem macht sie eine Selbsterkenntnis durch, wo viele andere Filmanwälte allenfalls mal eine Erkenntnis in bezug auf den Fall erleben, den sie bearbeiten.

Ungewöhnlicherweise liegt die Filmeröffnung nicht beim Fall selbst, sondern bei dem am Boden liegenden Frank Galvin vor dem Knockout. Das erste Bild zeigt eine Kneipe, einen Billardtisch und einen Mann, der offenbar vergessen hat, wer er ist. Später wird er sich würdelos auf Beerdigungen herumdrücken, um den Verbliebenen seine Visitenkarte unterzujubeln.
Das Opfer des Streitfalls, eine Frau, die während einer Operation einen Sauerstoffmangel am Gehirn erlitt und seither im Koma liegt, tritt kaum ins Bild, in aktiver Form nie; einmal sitzt Galvin an ihrem Bett und man darf einen Blick auf sie erhaschen, doch auch diese Szene dient bloß der Erkenntnisreise Galvins; sie selbst ist für den Film so unwichtig, wie sie für Galvin im Laufe des Falls wichtig werden wird.
“The Verdict” steht in Opposition zu seinem eigenen Genre. Die auf Paul Newman fokussierte Erzählung ist extrem langsam, analytisch und auch unmanipuliert, da nie an der Erscheinung des Protagonisten gefeilt wird. Der Figur wird ein ungefilterter, gewaltiger Facettenreichtum zuteil: man sieht sie trinken, man erkennt ihre Kompetenz vor Gericht und auch den Mut, sich der Subjektivität des Richters mit aller Macht entgegenzustellen; man sieht die Zweifel am System, für das sie selbst von Berufs wegen einsteht und man sieht die vielen Schwächephasen, inklusive der Schlüsselszene, in welcher Galvin mit einem Druck belastet wird, der mit einem Mal alles erklärt, was vorher mit ihm geschah und wie sich die Geschichte nun wenden wird.

In letzter Konsequenz wird Frank Galvin für Regisseur Lumet ein Medium, anhand dessen die Motive hinterfragt werden, die hinter dem Justizsystem stehen. Und die Antwort ist interessant: es gibt die Möglichkeit der Verteidigung. Die Möglichkeit. Zu Ende gedacht bedeutet dies: unterschiedliche Menschen werden vor unterschiedliche Richter gestellt mit unterschiedlichen Verteidigern - und unterschiedlich behandelt. Die “Recht und Unrecht”-Dichotomie löst sich in ihre Bestandteile auf.
Freilich, ganz mag man auch hier nicht darauf verzichten, das Bedürfnis des Publikums nach Gerechtigkeit zu befriedigen. Der Richter sorgt mit seinem parteiischen Verhalten für die erste und einzige große Empörung beim Zuschauer und ist damit ironischerweise jenes alte Relikt, das eine Offensichtlichkeit heraufbeschwört, was rechtens ist und was nicht, deren Existenz Lumet eigentlich mit seiner Arbeit eigentlich schon widerlegt hatte. Auch Newmans direkter Gegner James Mason verkörpert eine Gegnerfigur von altem Schlag, mit der erfolgsorientierten “Wall Street”-Philosophie der 80er Jahre, die im Gerichtssaal jedoch Zeitlosigkeit beansprucht. Dass sie das nicht zwangsläufig tun muss, zeigt “The Verdict” auf eindrucksvolle, mitunter aber auch etwas zähe Art und Weise auf, indem der Berufsauffassung der Anwälte eine Vielfalt von Philosophien vorgeschlagen wird - damit die Vielfalt der (nicht immer moralischen) Wege zum Prozessgewinn eine ebenbürtige Grundlage bekommen.
Bild
Ein minimales Grießeln sowie nicht immer optimale Schärfe speziell in den Totalen (wobei letzteres von Szene zu Szene differiert) waren nicht zu vermeiden, doch im Gesamteindruck besticht die Bildqualität mit satten Farben in den Spektren Blau und Braun und einem Minimum an Verschmutzungen. Für einen 25 Jahre alten Film eine zufriedenstellende Leistung.
Ton
Ein Film, der über keinerlei Turbulenzen verfügt, sollte selbstverständlich nicht an seinen tonalen Effekten bewertet werden. Dazu ließe “The Verdict” auch nicht viel Fantasie übrig. Beim vorliegenden Stereoton spielt sich alles über eine Richtung ab. Die deutschen Stimmen wirken zudem etwas blechern.
Verpackung und Menüs
Cinema Premium-DVDs sind zwar jeweils “nur” Amaray Cases in Pappschubern, wissen aber dennoch durch ihr ansprechendes Äußeres zu bestechen. Das liegt zum einen an dem einheitlichen und doch individuellen Design, zum anderen an der Qualität der stets sehr stabilen Pappschuber, der ausführlichen Booklets und der Amaray Cases, die meines Erachtens zu den besten ihrer Art gehören.
Von diesen Standards abgesehen gehört die “The Verdict”-DVD - nach der “Special Edition” die zweite deutsche Auflage - zu den äußerlich eher unspektakulären Ausgaben der Reihe. Der Pappschuber ist stabil, aber einfach gehalten (derjenige von “Butch Cassidy & Sundance Kid” ist da ein anderes Kaliber), das Booklet ist diesmal nur zweieinhalbseitig; immerhin aber mit dem hübsch anzuschauenden Effekt, dass die Front Paul Newman zeigt und sie an dessen Silhouette entlang formschön ausgeschnitten wurde.
Die Menüs sind stumm und musikalisch nicht untermalt.
Extras
Disc 1 hat einen Audiokommentar von Regisseur Sidney Lumet und Hauptdarsteller Paul Newman zu bieten.
Auf der Bonusscheibe verbergen sich alle weiteren Specials, die gegenüber der Erstauflage, die nur 11 Minuten an Bonusmaterial bot, einen Mehrwert verspricht.
Neben dem Original-Kinotrailer und einer 8-teiligen Fotogalerie befinden sich fünf Hauptpunkte auf der Scheibe: Das “Making Of” (9:06 Min.), ein Special über Paul Newman und seine Schauspielerei (“Paul Newman: The Craft of Acting”, 8:44 Min.), ein äquivalentes Special über Regisseur Lumet (“Sidney Lumet: The Craft of Directing”, 10:46 Min.), eine Einordnung von “The Verdict” in den filmhistorischen Kontext, angereichert mit Anekdoten Beteiligter zur Produktion (“Milestones in Cinema History: The Verdict”, 23:13 Min.) So wie ein effekthascherisches, in TV-Making Of-Manier präsentiertes Feature (“Hollywood Backstories: The Verdict”, 22:05 Min.).
Fazit
Sehenswerter Klassiker des Gerichtsdramas, der anhand seiner Charakterdarstellung eine Ausnahmeposition in seinem Genre halten kann. Nicht jedoch geeignet für Zuschauer, die Filme wie “Die Jury” wegen ihrer reißerischen Aufmachung genossen haben. Die DVD ehrt das Werk mit einer für die Reihe typisch edlen Aufmachung und einigen Extras, auch wenn es bei “Cinema Premium” wesentlich beeindruckendere Veröffentlichungen gab.
Testequipment
TV-Gerät: Tevion 4:3
DVD-Player: Pioneer XV-DV313 5.1 Komplettsystem
[/quote]