Entstehungsdaten:
USA-GB 2013
Regie:
Park Chan-wook
Darsteller:
Mia Wasikowska
Matthew Goode
Nicole Kidman
Dermot Mulroney
Jacki Weaver
Phyllis Somerville
Lucas Till
Alden Ehrenreich
Harmony Korine
Trailer
Gesegnet mit drei hervorragenden „Leads“, nämlich Mia Wasikowska, Matthew Goode und Nicole Kidman, u.a. produziert von Ridley Scott und seinem kürzlich ja leider verschiedenen Bruder Tony sowie auf einem Skript des „Prison Break“-Hauptdarstellers Wentworth Miller basierend, welches jener
mit ein wenig Unterstützung von Erin Cressida Wilson („Secretary“) verfasste, lieferte der koreanische Regisseur Park Chan-wook („Oldboy“) in Gestalt der hier nun zur Besprechung vorliegenden britisch-amerikanischen Co-Produktion „Stoker“ 2013 sein englischsprachiges Filmdebüt ab: Herausgekommen ist dabei eine abgründige, ungewöhnliche, exquisit in Szene gesetzte Kombination aus Familien-Drama, Mystery-Psycho-Thriller und „Coming of Age“-Geschichte – angereichert mit diversen klassischen „Gothic Horror“-Elementen sowie einer ganzen Reihe von Anspielungen und Ehrerweisungen, hauptsächlich an Sir Alfred Hitchcock bzw. (sowohl inhaltlich als auch stilistisch) in Richtung einiger seiner bis heute ja weiterhin recht einflussreichen Werke…
India Stoker (Wasikowska) ist eine stille, zurückhaltende, begabte Teenagerin, welche zusammen mit ihrem geliebten Vater Richard (Dermot Mulroney) und ihrer distinguierten Mutter Evelyn (Kidman), zu der sie bereits des längeren ein „entfremdetes“ Verhältnis hegt, in einer schönen, alten, abgelegenen Villa aufwächst – bis ersterer eines Tages (ausgerechnet an ihrem 18. Geburtstag) im Zuge eines Autounfalls ums Leben kommt. Nicht bloß da die genauen Umstände der Tragödie „ein wenig mysteriös“ anmuten, spekulieren einzelne Bedienstete des Hauses
hinter vorgehaltener Hand über einen eventuell vollzogenen Selbstmord. Auf seiner Beerdigung fällt India dann (geradezu unweigerlich) ein „geheimnisvoller Fremder“ ins Auge, welcher die Beisetzung aus einiger Entfernung heraus beobachtet und ihr beim nachfolgenden Leichenschmaus schließlich als ihr Onkel Charlie (Goode) vorgestellt wird – von dessen Existenz ihr zuvor noch nie jemand auch nur ein einziges Wort erzählt hatte. Seines Zeichens ein ebenso attraktiver wie charismatischer Mann, der in den vergangenen Jahren
die weite Welt bereist hat, zeigt sich Richard´s jüngerer Bruder nun daran interessiert, seine verbliebene Familie besser kennen zu lernen. Argwöhnisch beäugt India sein Verhalten und generelles Auftreten – vor allem als sie bemerkt, dass sich Evelyn zunehmend
zu ihm hingezogen fühlt, was schon bald darin resultiert, dass sich beide
auch körperlich näher kommen. Erregt und verunsichert von bislang noch nicht empfundenen Emotionen, welche u.a. der „reizvollen Aufmerksamkeit“ Charlies entkeimen, wird India fortan mit unterschiedlichen gewichtigen (zu treffenden) Entscheidungen konfrontiert – denn nicht nur angesichts dessen, dass bestimmte Personen in ihrem Umfeld auf einmal
spurlos zu verschwinden beginnen, die über ihren Gast offenbar
mehr (als Mutter und Tochter) zu wissen scheinen, wird ihr relativ rasch bewusst, dass ihr Onkel (aller Wahrscheinlichkeit nach) über ein „dunkles Geheimnis“ verfügt…
Die Eröffnungssequenz von „Stoker“ – dargereicht in einer an Terrence Malick erinnernden Ästhetik sowie mit einem „hintersinnigen“ Voiceover Indias unterlegt – vermittelt einem auf Anhieb einen exzellenten Ersteindruck der ausgebildeten unheilschwangeren Atmosphäre des gesamten anschließenden Verlaufs. Gedreht im ländlichen Tennessee und ohne Frage in der aktuellen Gegenwart angesiedelt, entzieht sich das Gebotene in vielerlei Bereichen dennoch einer klaren
zeitlichen wie geographischen Einordnung: Von der Kleidung und Erscheinung her kommt einem die Familie eher wie eine aus den amerikanischen '50ern bis '70ern vor, die Villa und ihre Einrichtung „erstrahlt“ förmlich in ihrem edlen traditionellen Stil und selbst die Dialoge wirken (von der Wortwahl, Betonung und dem präsentierten Rhythmus her) auf eine gewisse Weise „eigen“ – u.a. da sie anstelle einer
gängigen umgangssprachlichen Artung meist
deutlich literarischer klingen. Diese erzeugte, angrenzend schon fast surreale Impression markiert eine für das Werk sehr kennzeichnende Eigenschaft – und das sowohl inszenatorisch (durch die gewählte Bildersprache und das speziell arrangierte Sounddesign) als auch auf inhaltlicher Ebene. Hier nur mal zwei Beispiele aus der „frühen Phase“ des Films: Jedes Jahr erhält India neue Schuhe derselben Sorte geschenkt, von denen sie alle Paare (in den verschiedenen Größen seit ihrer Kindheit) noch immer säuberlich aufbewahrt – worüber hinaus einem mitgeteilt (ebenso wie
subtil veranschaulicht) wird, dass sie einen „übernatürlich ausgeprägten Gehörsinn“ besitzt. Das Skript aus der Feder Wentworth Millers, welches 2010 sogar auf der „Black List“ der
besten unrealisierten Drehbücher Hollywoods erschien und an welchem auch die talentierte Autorin Erin Cressida Wilson als „Contributing Writer“ (zumindest ein wenig) beteiligt war, ist reich an ungewöhnlichen Situationen und Verhaltensweisen, die zum Teil der subjektiven Deutung des Publikums überlassen werden: Eine beachtliche Leistung für einen Debütanten auf diesem Gebiet, der seine Arbeit ursprünglich übrigens unter einem Pseudonym
in Umlauf brachte, um auf diesem Wege eine „unvoreingenommene Reaktion“ zu erzielen…
Miller´s Vorlage umfasst eine Vielzahl an (mehr oder minder offensichtlichen) Einflüssen und Allusionen: Angefangen bei dem als „Wink“ in Richtung des irischen Schriftstellers Bram Stoker (dem
Schöpfer von „Dracula“, 1897) zu verstehenden Titel – bis hin zu so einigen Hitchcock-Ehrerbietungen, aus dessen Oeuvre einem seine '43er Veröffentlichung „Shadow of a Doubt“ wohl am schnellsten ins Gedächtnis gelangt, da es in jener ja auch schon einen
Uncle Charlie gab. Und nein – unabhängig des literarischen Verweises sowie der Tatsache, dass der betreffende Verwandte u.a. großen Wert auf eine „Einladung“ der Familie legt, bei ihnen im Hause verweilen bzw. bleiben zu dürfen, sowie er regelmäßig exquisite Gerichte zubereitet, diese aber selbst nie isst, handelt es sich bei ihm keineswegs um einen „Vampir“ (nur für den Fall, dass irgendjemand
kurz mal dran gedacht hat). Mit einer „geheimnisvollen Aura“ behaftet, ist Charlie ein kultivierter, zuvorkommender und ungemein charmanter Mann, der zwar (merklich)
etwas seltsames an sich hat sowie gezielt auf der Basis (lange Zeit unbekannter) „verborgener Motive“ agiert – was einem als Zuschauer recht zügig gewahr wird, nicht nur in Anbetracht der Reaktionen zweier Damen, die ihn noch „von früher her“ kennen – er nichtsdestotrotz aber sowohl India als auch ihre Mutter nahezu umgehend (jeweils aufgrund individueller Faktoren, wie z.B. Sehnsüchte)
in seinen Bann zu ziehen vermag. Matthew Goode, bestbekannt aus Tom Ford´s „A Single Man“ und Zack Snyder´s „Watchmen“, verkörpert den Part vorzüglich: Seine Blicke, Mimik und Gestik, sein
verführerisches Verhalten sowie die Darbietung der „düsteren Tiefen“ unterhalb seines „adretten Erscheinungsbilds“ – einfach perfekt. Auf unterschiedlichen Ebenen ist Charlie der „Katalysator“ der Geschichte – was entsprechend damit harmoniert, dass man „Stoker“ (aus dem Englischen heraus) ja auch mit
„(An-)Heizer“ übersetzen kann. Erotische Empfindungen, Motive und Spannungen sind allgegenwärtig, intensivieren sich stetig. Sexualität, Begierde, Gewalt und Tod – obgleich hier in einem anderen Kontext, im Prinzip nicht allzu viel anders als seinerzeit beim zuvor genannten „transsilvanischen Grafen“…
Geschickt werden letztere Elemente in einer hervorragend konzipierten Schlüssel-Sequenz (in bzw. unter einer Dusche) miteinander vereint, welche auf überraschende Weise (entgegen der eigentlich gehegten Annahme) ausklingt und eine entscheidende „inhaltliche Veränderung“ kennzeichnet, welche sich zuvor (mal aktiv, mal indirekt)
von Charlie ausgehend innerhalb von India´s Gefühlswelt und Verhalten (Schritt für Schritt) vollzogen hatte. Eingangs ein eher in sich gekehrtes „Außenseiter-Mauerblümchen“, löst ausgerechnet die Ankunft ihres Onkels das
sexuelle Erwachen der Teenagerin aus – wodurch sie u.a. selbstbewusster wird, die
Macht der Verführung für sich entdeckt sowie aus dem Widerfahrenen und Erlebten heraus schließlich
einen Pfad einschlägt, der wiederum (genüsslich) mit der Erwartungshaltung des Publikums „spielt“. Gleichsam wie in der 2011er Adaption des Charlotte Brontë Klassikers „Jane Eyre“, liefert Mia Wasikowska im Vorliegenden eine genauso beeindruckende wie vielschichtige Performance ab, welche ihrem Talent bestens gerecht wird. Während India ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater pflegte, war das zu ihrer Mutter schon „früh erkaltet“: Anstatt ihre Tochter
selbstlos zu lieben, hatte jene von ihr immerzu
Zuneigung eingefordert – und so hat sich Evelyn (im Laufe der Jahre) Richard und India gegenüber regelrecht „ausgegrenzt“, was irgendwann dann zu Selbstmitleid, Einsamkeit und Alkoholkonsum führte. Durch die Aufmerksamkeit Charlies wird ihre Leidenschaft „neu entfacht“ – umso größer ihre (überwiegend verinnerlichte) Rage, als dieser sich India (später)
zunehmend annähert. Nicole Kidman („Rabbit Hole“) meistert den Part mit Bravour: Von einer frühen Szene, in der sie einigen Gästen der Beerdigung erklären muss, warum sich India von ihr nicht gern berühren lässt, bis hin zu einem tollen Monolog gegen Ende – trotz manch schwächeren Projekts in jüngster Zeit ist sie noch immer eine starke Schauspielerin. In Nebenrollen treten überdies u.a. noch Dermot Mulroney („the Grey“), Jacki Weaver („Animal Kingdom“), Phyllis Somerville („Little Children“), Lucas Till („X-Men: First Class”), Alden Ehrenreich („Twixt”) sowie gar Harmony Korine („Gummo“) jeweils
frei eines Anlasses zur Klage auf…
Untermalt seitens eines feinen, von Clint Mansell („Black Swan“) komponierten Scores, schuf Park Chan-wook ein hochwertiges, streng „kalkuliert-stilisiertes“ Werk, welches
viel (in den Bereichen Emotionen, Erkenntnisse und Atmosphäre) über seine angrenzend makellose Bildersprache „transportiert“, für die sich hier wiederum sein Stamm-Cinematographer Chung Chung-hoon („Thirst“) verantwortlich zeichnet. Einige subtile Kamera-Bewegungen dienen u.a. dazu, eine gewisse „Intimität“ zu den Figuren zu erzeugen – während andere
deutlich hervorstechender daherkommen, wie im Rahmen zweier Abendessen, im Zuge derer auf jenem Wege spezielle „Dynamiken“ zwischen einzelnen Protagonisten illustriert werden. Edel und schick ausgestattet, reich an sorgsam platzierten Details, ein ansprechendes optisches (Licht-, Schatten- und Farb-) Konzept aufweisend sowie um inspirierte Schnitt-Folgen und punktuell verwendete (akzentuierende) „Freeze-Frames“ ergänzt, markiert der gesamte Film ein
anregendes audio-visuelles Erlebnis. Unweigerlich hinterlassen diverse Images und Set-Pieces einen nachhaltigen Eindruck – wie die erwähnte Szene im Bad, ein
berauschendes Klavier-Duett, eine Rückblende in die Kindheit der beiden Brüder (Stichwort:
Schnee-Engel im Sand), die „Färbung“ einer Blumenblüte sowie verschiedene Einstellungen mit
psycho-sexuellen Motiven, á la eine Spinne, die an India´s Bein hinauf krabbelt, zwischen ihre Füße hinab tropfendes Regenwasser oder ein Bleistift mit einer blutigen Spitze. Es gibt aber auch Momente, in denen es Park
ein wenig übertreibt – zum Beispiel in Gestalt einer Überblendung, bei welcher ein Ei genau die Position eines der Augen Indias einnimmt – worauf einem dann stets (zumindest kurzzeitig) bewusst wird, dass man bei dem Streifen ja eigentlich ungleich mehr Wert auf „Style“ anstelle von „Substance“ gelegt hat. Sich in einem angepassten Tempo entfaltend sowie relativ „reserviert“, wenn es ums
direkte Aufzeigen von Gewalt geht, verliert das Gebotene allerdings nie an Reiz und Anziehung: Durchweg ansehnlich wird der geneigte Zuschauer unterhalten – „kleinerer Schönheitsfehler“ zum Trotz, wie etwa die
nicht gerade unvorhersehbare Natur des Finales, an dessen Ende sich die Schluss-Credits übrigens von oben nach unten über die Leinwand bzw. durchs Bild bewegen…
Fazit: „Stoker“ (2013) wurde von „Rolling Stone“-Autor Peter Travers als
„a Thriller of savage Beauty“ bezeichnet – eine überaus treffende Charakterisierung. Das englischsprachige Debüt Park Chan-wooks ist eine unheilschwangere, elegant inszenierte Kombination aus einer unkonventionellen „Coming of Age“-Geschichte und dem stimmungsvoll-düsteren Portrait einer (in erster Linie auf psychologischer Ebene) dysfunktionalen Familie – mit vertrackten Mystery- und vereinzelten „Gothic Horror“-Anteilen sowie hervorragenden darstellerischen Leistungen von Wasikowska, Kidman und Goode. Kurzum: Sehenswert!