Entstehungsdaten:
USA 2014
Regie:
Stewart Thorndike
Darsteller:
Gaby Hoffmann
Ingrid Jungermann
Rebecca Street
Kim Allen
Michael Che
Trailer
Ursprünglich als Web-Serie konzipiert, feierte das von Stewart Thorndike verfasste und in Szene gesetzte psychologische Horror-Drama „Lyle“ seine Premiere letzten Endes als ein rund einstündiges Werk auf dem 2014er „Outfest“ in Los Angeles, bevor man den Film im August jenes Jahres dann der „breiteren Öffentlichkeit“ auf seiner offiziellen Internetseite zum kostenfreien Ansehen präsentierte – und zwar synchron zur laufenden „Kickstarter“-Kampagne des angedachten Nachfolgeprojekts Thorndikes, welches den Titel „Putney“ trägt und den zweiten Beitrag eines Trios Frauen-zentrierter Genre-Produktionen markieren soll. Auf der einen Seite stellt diese Vorgehensweise eine interessante wie kreative „Werbe-Aktion“ dar – auf der anderen bietet sie eine feine (im Einklang mit einigen gespendeten Dollars von mir dankend angenommene) Gelegenheit, sich diesen an insgesamt nur acht Drehtagen realisierten Micro-Budget-Indie einfach mal „ganz unverbindlich“ anzuschauen...
Leah (Gaby Hoffmann) ist eine junge, sensible werdende Mutter, die unmittelbar zu Beginn der Geschichte gemeinsam mit ihrer Kleinkind-Tochter Lyle (Eleanor Hopkins) und ihrer „beruflich gerade durchstartenden“ Lebensgefährtin June (Ingrid Jungermann) in ein geräumig-schönes Altbau-Apartment in Brooklyn einzieht. Alles scheint sich bestens zu entwickeln – auch wenn June stets etliche Stunden des Tages (ihrem Job geschuldet) „außer Haus“ unterwegs ist und ihre Enttäuschung kaum verbergen kann, als sie erfährt, dass Leah (entgegen einer ursprünglichen Aussage ihrer Ärztin) nun doch keinen Sohn, sondern ein weiteres Mädchen erwartet. Sich des Öfteren durchaus ein wenig einsam fühlend, verbringt die Schwangere die Zeit fortan in erster Linie damit, auszupacken, sich um Lyle zu kümmern sowie die Wohnung einzurichten. Dabei macht sie schon bald jedoch eine „verwunderliche“ Entdeckung, als beim Abkratzen einer der Tapeten plötzlich eine zu einem Kinderzimmer gehörende darunter zum Vorschein gelangt – und das obgleich ihre Vermieterin Karen (Rebecca Street) bei ihrem Einzug noch davon berichtete, dass bislang noch niemand mit Nachwuchs dort gelebt hätte...
Zunehmend beschleicht Leah „ein merkwürdiges Gefühl“ in dem Gebäude: Lyle verhält sich auf einmal „leicht eigenartig“ (u.a. als hätte er einen „imaginären Freund“), trotz ihres Alters von fast 60 äußert Karen offen den Wunsch nach einem Baby – worüber hinaus sie gelegentlich gar so tut, als würde sie tatsächlich eins bekommen – und im Hinblick auf das Model im Obergeschoss (Kim Allen) ist sich Leah ebenfalls nicht unbedingt sicher, was genau sie von der redescheuen Raucherin eigentlich halten soll. Just dann geschieht jedoch eine Tragödie: Lyle verstirbt. In den folgenden Monaten hilft ihr June redlich, mit Selbstvorwürfen und der Trauer so gut es nur geht fertig zu werden – Therapie inklusive. Je näher der Geburtstermin rückt, desto überzeugter wird sie allerdings, dass Verschiedenes um sie herum „nicht mit rechten Dingen“ zugeht: Angst und Paranoia erkeimen – was von ihrem Umfeld mit Sorge begegnet sowie den Hormonen plus dem ihr Widerfahrenen zugesprochen wird. Deutet so manches wirklich auf einen „realen Schrecken“ hin – oder ist das alles nur „ein Auswuchs ihres angeschlagenen Verstands“...?
Was bei „Lyle“ auf Anhieb (angenehm) auffällt, ist wie authentisch und selbstverständlich die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft Leahs und Junes portraitiert wird, zu der ja auch Kinder zählen: Sie werden von ihren Mitmenschen umfassend akzeptiert und geschätzt, ihre Homosexualität findet keinerlei direkte Thematisierung – ebenso wenig wie die Frage nach dem Erzeuger (bzw. ggf. den biologischen Vätern) der zwei Mädchen. Unabhängig dessen ist diese Gegebenheit an sich ohnehin unbedeutend für die konkrete Handlung – und dennoch fällt es einem als Zuschauer unweigerlich auf, dass diese in der heutigen Zeit beileibe nicht unverbreitete Form einer Beziehung in Filmen nahezu nie derart „natürlich“ dargeboten wird. Simultan vermag man zu registrieren, dass die „klassische Rollenverteilung“ in diesem Fall im Grunde „in identischer Weise“ auszumachen Schrägstrich vorhanden ist: Als Mutter und erneut Erwartende bleibt Leah zuhause, während June ihre erfolgreiche Karriere als Musik-Produzentin weiter vorantreibt und somit das Geld verdient, welches es ihnen u.a. ermöglicht, sich eine solche Wohnung in jenem beliebten Stadtteil New Yorks zu leisten...
Leah ist sich bewusst, dass zwischen ihr und June „nicht alles perfekt“ läuft. Letztere hätte gern einen Sohn – was eventuell mit daran liegt, dass sie generell eher „den männlichen Part“ bekleidet – ist häufig unterwegs und verfügt (dementsprechend) über einen stattlichen Bekanntenkreis. Sie dagegen kennt kaum jemanden, wäre ansonsten weitestgehend mittellos und verweilt die meiste Zeit des Tages (zwangsweise) allein in ihren neuen „vier Wänden“ – sich eingangs noch um Lyle sowie das Auspacken und Einrichten kümmernd, später dann ihren Verlust verarbeitend und sich auf das neue Baby vorbereitend. Parallel dazu verhalten sich die Leute um sie herum eigenwillig „passiv“ ihr gegenüber: June geht nur bedingt auf sie ein und ist eh kaum noch zugegen, Model Taylor ist recht schweigsam und gibt sich zudem auch (zumindest anfangs) relativ reserviert, ihre Therapeutin überlässt ihr die Wahl, ob sie die empfohlenen Medikamente einnimmt oder nicht – und als sie auf einer Party eine Art Nervenzusammenbruch erleidet, kümmert sich keiner so richtig um sie, sondern scheinen sich alle stattdessen (nicht bloß im übertragenen Sinne) förmlich „von ihr zu entfernen“...
Die vorrangig in hellen Farbtönen gehaltenen, mit noch nicht allzu vielen Möbeln bestückten Altbau-Räumlichkeiten (hohe Decken, großzügig geschnittene Flächen etc.) spiegeln die von Leah empfundene Isolation und Beklemmung (auf jener „Ebene“ des Werks) gleichermaßen wieder wie der vergleichsweise „schlicht und unaufdringlich“ gehaltene, nichtsdestotrotz bestimmte Gegebenheiten „atmosphärisch effektiv“ untermalende Score Jason Falkners („Off the Grid“). Ihren Ängsten ausgesetzt, begibt sich Leah u.a. daran, Karen zu beobachten, Kontakt zu Taylor aufzunehmen sowie (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) eigene Recherchen anzustellen – auch mit Hilfe des Internets, in welchem sie schließlich auf so einige wahrhaft unheimliche, beunruhigende (primär die Historie des Gebäudes betreffende) Informationen stößt. Aber bedeutet das nun, dass sich gewisse Personen aus ihrer Umgebung (aus bislang ungeklärten Motiven heraus) tatsächlich „gegen sie verschworen“ haben, dass unter Umständen sogar noch anderweitige „finstere Mächte“ mit im Spiel sind – oder die intensiven Belastungen der vergangenen Wochen bei ihr nicht vielleicht doch eine „psychische Störung“ ausgelöst haben...?
In der Hauptrolle beeindruckt die in jüngeren Jahren ja als Kinderdarstellerin in Filmen wie „Field of Dreams“, „Sleepless in Seattle“ und „Volcano“ zu sehende Gaby Hoffmann (TV´s „Girls“) mit einer überaus kraftvollen, emotionalen Performance, für die sie auf dem „Outfest“ auch prompt mit dem „Grand Jury Best Actress Award“ ausgezeichnet wurde. Von Trauer und Verzweiflung über Paranoia und Verunsicherung bis hin Hysterie und Schrecken: Hoffmann meistert „die volle Bandbreite“ mit Bravour. Als ihre Screen-Partnerin June steht ihr Ingrid Jungermann („See you next Tuesday“) zur Seite, welche wesentlich „herber“ und „bodenständiger“ in Erscheinung tritt und genauso wenig einen Anlass zur Klage hervorruft wie Rebecca Street („Lily“) als Vermieterin Karen, bei der man nie sicher weiß, ob „ernsthafte Sorgen“ berechtigt sind oder man die ältere Dame mit Kinderwunsch nicht doch vor allem bemitleiden müsste. Und dann wäre da noch Kim Allen (TV´s „Army Wives“) als nur schwer einzuschätzendes Model zu erwähnen, zu der sich Leah durchaus ein Stück weit hingezogen fühlt, ebenso wie Michael Che (TV´s „the Daily Show“) als Musiker-Kollege Junes...
Angelehnt an Ira Levin´s „Rosemary´s Baby“ bzw. Roman Polanski´s 1968er Adaption jenes berühmten Romans, entfaltet sich der Verlauf überwiegend gradlinig entlang keineswegs unvorhersehbarer Bahnen – was in Anbetracht all des versammelten Talents (vor und hinter der Kamera) wirklich schade ist. Cinematographer Grant Greenberg („Sick Sex“) hat die Geschehnisse sehr „intim“ und „unprätentiös“ ins rechte Licht gerückt, das Sound-Design David Forshees unterstreicht die generierte unheimliche Stimmung und Regisseurin Thorndike beweist ein klares Gespür für ihr Handwerk. So wie im Falle einer erstklassig arrangierten „Skype“-Session, bei der geschickt mit der Erwartungshaltung des Publikums „gespielt“ wird, hätte ich mir an zwei anderen Stellen eine ähnliche „Zurückhaltung“ gewünscht – und zwar bei der Gestaltung einer Website sowie im Bereich eines „visuellen Phänomens“ auf einigen gefundenen Fotos: Zweifellos creepy, aber unbestreitbar konventionell. Alles in allem denke ich, dass einzelne gezielte Veränderungen (bereits beim Ausarbeiten des Skripts) mit Sicherheit dazu hätten führen können, speziellen Sequenzen (unter ihnen das etwas zu „gehetzt“ und „knapp gefasst“ anmutende Finale) ein merklich höheres Maß an Nachhaltigkeit zu verleihen...
Fazit: „Lyle“ (2014) ist ein ruhiger, kompetent realisierter Micro-Budget-Indie, dessen Drama-Anteile jedoch (nicht zuletzt dank einer grandiosen Gaby Hoffmann) einen deutlich überzeugenderen Eindruck heraufbeschwören als seine leider weder sonderlich originellen noch „gehaltvollen“ Horror-Elemente...