Entstehungsdaten:
USA 2014
Regie:
Gregg Araki
Darsteller:
Shailene Woodley
Eva Green
Christopher Meloni
Shiloh Fernandez
Angela Bassett
Thomas Jane
Gabourey Sidibe
Mark Indelicato
Dale Dickey
Sheryl Lee
Trailer
In Gestalt des 2014er Coming-of-Age-Dramas „White Bird in a Blizzard“ hat Kult-Regisseur Gregg Araki einen Film vorgelegt, der zwar weder so schräg noch provokant daherkommt wie die Mehrheit seiner bisherigen Veröffentlichungen – unter ihnen „the Doom Generation“ und „Kaboom“ – sich aber dennoch (auf der Basis spezieller Charakteristika) relativ homogen in sein bisheriges cineastisches Schaffen eingliedert. Weiterhin ein erfreuliches Stück weit abseits des Mainstreams zu verorten, hat der 1959 geborene Mitbegründer der „New Queer Cinema“-Bewegung die erzählte Geschichte (zum zweiten Mal nach seinem preisgekrönten 2004er Werk „Mysterious Skin“) nicht selbst erdacht, sondern stattdessen eine bereits existente literarische Vorlage adaptiert. Beim Verfassen des zugrunde liegenden Buchs hatte sich die amerikanische Dichterin und Schriftstellerin Laura Kasischke in einem gewissen Maße (spekulativ und relativ lose) von einer im Vorfeld geschehenen wahren Begebenheit inspirieren lassen – und auch Araki nahm wiederum die eine oder andere, teils markante, wohl jedoch jeweils zu ihm und seinem Stil passende Veränderung gegenüber ihrem 1999 erschienen Roman vor. Entstanden ist dabei ein an „Indie-affine Zuschauer“ gerichtetes, dem geneigten Betrachter eine Menge Schätzenswertes bietendes Endresultat – welches in bestimmten Bereichen so manche gehegte Erwartung allerdings nicht umfassend zu erfüllen vermag...
Es sind die Achtziger, in denen die kurz vor ihrem 18. Geburtstag stehende Katrina „Kat“ Connor (Shailene Woodley) gemeinsam mit ihren Eltern Brock (Christopher Meloni) und Eve (Eva Green) in einer dieser typischen US-Kleinstädte wohnt, die vor allem aus der Sicht eines Teenagers arg unaufregend anmuten. Während sie erste sexuelle Erfahrungen mit ihrem Freund Phil (Shiloh Fernandez) sammelt, verbringt ihre Mutter die meiste Zeit daheim mit Kochen und Putzen: Ihre Existenz hatte sich Eve definitiv anders vorgestellt – weit weniger spießig und langweilig – was bei ihr anwachsend zu Frust und exzentrischem Gebaren führt. Darüber hinaus widert sie die „gefällig-nette Persönlichkeit“ Brocks immer stärker an, welcher das Einkommen der Familie im Rahmen eines „Standard-Jobs“ sichert. Kat kann ebenfalls nicht verstehen, warum sich ihr Dad nahezu alles geradezu „rückgratlos“ gefallen lässt – entsprechend bekräftigt das ihren Wunsch, aus dieser deprimierend-eintönigen Umgebung so schnell wie nur möglich „auszubrechen“. Doch dann verschwindet Eve eines Nachmittags – was sich prompt in Form diverser (oftmals kompliziert einzuordnender) Emotionen auf sie auswirkt, die u.a. ihre nächtlichen Träume beeinflussen und welche sie fortan mit Hilfe einer Therapeutin (Angela Bassett) zu interpretieren und aufzuarbeiten versucht. Nicht nur da sich Phil zuletzt förmlich dagegen zu sträuben begonnen hat, mit ihr zu schlafen, fängt sie kurzerhand eine Affäre mit einem mehr als doppelt so alten Polizisten (Thomas Jane) an, der den Fall ihrer Mutter betreut, allerdings ohne eine konkrete Spur von ihr auftun zu können. Derweil unterstützen Brock und sie sich gegenseitig, die neue Situation so gut es geht zu meistern – bis sie schließlich ihren Wunsch wahr macht und in Richtung College aufbricht...
Bis zu diesem Punkt der Handlung ist nun knapp über eine Stunde vergangen: Regelmäßig eingebundene, per Voiceover kommentierte Flashbacks haben dem Publikum verschiedene Erinnerungen Kats an ihre Mutter aufgezeigt, die jeweils anschaulich-bezeichnende Einblicke in die Seelenzustände beider Frauen gewähren. Der Verlauf ihres Lebens nach ihrer Hochzeit hatte Eve maßlos enttäuscht: Statt die Welt zu sehen und an „vergnüglichen Dingen“ teilzuhaben, bestand ihr Alltag irgendwann nur noch aus kaum mehr als sich um den Haushalt zu kümmern – wobei es ihrer Ehe ebenso an Leidenschaft mangelte wie Brock an den klassischen (u.a. damit verknüpften) Virilitätseigenschaften. Kat´s Geburt bescherte ihr eine einnehmende Aufgabe samt der Gesellschaft des (in ihrer Kindheit etwas molligen) Mädchens – allerdings wandelte sich das erneut mit der fortschreitenden Selbständigkeit letzterer. Je inniger jene in ihrer Jugend – inzwischen frei der unvorteilhaften Pfunde – ihre Sexualität entdeckte, desto klarer realisierte ihre Mutter, was ihr selbst schon lange „gefehlt“ hat. Wuchernd vereinnahmten Eve die mit dieser Erkenntnis einhergehenden Gemütsbewegungen: Es ist unschwer nachvollziehbar, dass sie vieles vermisste, was diese besondere Altersphase so mit sich bringt – allerdings steigerte sie sich auf eine ins Krankhafte tendierende Weise in diese Gedankengänge hinein, was vorrangig eine schädlich gedeihende Verbitterung sowie ein wiederholtes Konsumieren alkoholischer Getränke zur Folge hatte. In der Pubertät sind Spannungen zwischen den Generationen ja absolut normal – diese aber gingen tiefer als üblich und mündeten nicht selten in unverhohlen geäußerten, gezielt verletzenden, von innerer Traurigkeit und nach außen getragener Verachtung gezeichneten Anfeindungen…
Der Film wartet mit einer Reihe eindringlicher konfrontativer Auseinandersetzungen auf, welche erfreulich bündig und prägnant gehalten wurden – unter ihnen eine Szene, in der Eve ihre Tochter dabei beobachtet, wie diese ihren Körper im Badezimmerspiegel mustert, oder eine andere, in der sie die Schlafende mitten in der Nacht aufweckt sowie gehässig-bloßstellend beschimpft. Als sie registriert, wie Kat und Phil miteinander umgehen, beginnt sie sogar aktiv mit ihm zu flirten – verwickelt ihn in Gespräche, trägt in seiner Gegenwart Mini-Röcke etc. – bemüht sich also um eine Bestätigung bei ihr noch vorhandener sexueller Ausstrahlung Schrägstrich Anziehungskraft und „konkurriert“ im Zuge dessen angrenzend „offen“ mit Kat um die Aufmerksamkeit des zwar physisch anziehenden, intellektuell allerdings nicht unbedingt reichhaltig gesegneten Nachbarn. Nicht selten ist Kindern das Auftreten und Verhalten ihrer Eltern unangenehm – im Vorliegenden ist es vor allem tragisch mit anzusehen. Plötzlich aber ist Eve weg – von einem Moment auf den nächsten – ohne ein Wort, einer hinterlassenen Zeile oder Hinweise auf etwaige Wünsche, Pläne oder Intentionen. Gerüchte über Untreue erkeimen – angesichts derer Kat mit der Zeit selbst Phil zu verdächtigen anfängt: Ein solcher Akt könnte ja sein mit einem Mal abgeebbtes Interesse an dem Vollziehen des Geschlechtsverkehrs mit ihr erklären. Simultan generiert ihr Unterbewusstsein eigenwillige Träume, in denen sie meist in einem Blizzard umherirrt und ihre Mutter schließlich nackt im Schnee liegend vorfindet. Nicht bloß in Anbetracht dieser Beispiele verwundert es wenig, dass Kat (aus einer Empfehlung heraus) therapeutische Beratung in Anspruch nimmt…
Die Abwesenheit Eves fungiert als eine Art „Katalysator“ hinsichtlich Kat´s Erwachsenwerden: Losgelöst ihres Einflusses und Einwirkens verfügt sie nun über den „Raum“, sich eigenständig zu entfalten – und so testet sie ihre sexuellen Reize prompt an dem „hochgradig maskulinen“ Detective Scieziesciez, welchen sie quasi als das Gegenteil ihres Dads ansieht und der sich im Grunde „widerstandslos“ von dem noch immer knapp minderjährigen Teen verführen lässt. Rasch überwindet sie ihre vorherige Unsicherheit und schlägt ein „neues Kapitel“ ihres Werdegangs auf: Fernab der Heimat treibt sie in diesem u.a. ihre akademische Ausbildung voran, datet andere Jungs und festigt ihren Charakter zugleich im Kontext ihrer Erfahrungen und resolut getroffenen Entscheidungen. Als sie 1991 zu Besuch nach Hause zurückkehrt, eröffnet ihr Brock, dass er inzwischen wieder eine Freundin hat – ihres Zeichens eine nette Dame namens May (Sheryl Lee) – was sie positiv überrascht und ihrem Vater wahrhaft gut zu tun scheint. Beherzt nimmt sie die Affäre mit Scieziesciez wieder auf und trifft sich mit ihren zwei „BFFs“ aus der High School (Gabourey Sidibe und Mark Indelicato), welche jenem Ort bislang noch nicht zu „entfliehen“ vermochten und sie entsprechend um ihre „Entwicklung“ beneiden. Schon bald aber veranlassen sie Gespräche mit Phil und ihrem Polizisten-Liebhaber dazu, sich doch noch einmal intensiver mit den genaueren Umständen von Eve´s Verschwinden zu beschäftigen: Nachdem zuvor primär die bis zu jenem besagten Tage hinführenden Ereignisse sowie die daraus hervorgegangenen Veränderungen und Auswirkungen im Zentrum der Beleuchtung standen, wird nun plötzlich ein konkretes Mystery-Element zunehmend stärker ins Spiel gebracht…
Der Gedanke, dass ihre Mutter ihrem bedrückenden Leben möglicherweise nicht einfach nur „den Rücken gekehrt“ hat, nagt an Kat und macht ihr deutlich, wie frisch die betreffenden „seelischen Narben“ eigentlich noch sind. Leider hatte Araki dieses finale Viertel nicht so prima im Griff wie die vorherigen – was die Auflösung des Ganzen mit einschließt: Es gibt einen wunderbar ambivalenten Augenblick des Abschieds, der sich im Prinzip perfekt als Schlussmoment geeignet hätte – bloß läuft der Film nach diesem noch ein paar Minuten lang weiter, in denen ein amüsant-schräger Story-Twist seine Preisgabe erfährt, der einem nahezu alle Antworten auf dem sprichwörtlichen „Silbertablett“ serviert und einen genau deshalb mit einem unbefriedigenden Beigeschmack in den Abspann entlässt. Mir wäre es lieber gewesen, wenn man gewisse Geheimnisse nicht dermaßen freigiebig aufgedeckt hätte – man also nicht über die bis dahin eingestreuten Andeutungen hinausgegangen wäre. Der Ausklang des Buches kommt übrigens anders geartet daher: Araki hat ihn hin zu einem abgewandelt, der nun unverkennbar seine „Signatur“ trägt. Zudem hat er die Geschichte kurzerhand in die 1980er verlegt – u.a. zum Zwecke der Einbindung einiger geschätzter Lieder aus jener Dekade: Demnach vermag man neben dem stimmigen Score Harold Budds („Denial“) und Robin Guthries („3:19“) eine wirklich nette Song-Auswahl von Bands á la the Cure, Depeche Mode, the Cocteau Twins, This Mortal Coil, New Order, the Jesus and Mary Chain, Tears for Fears, Siouxsie and the Banshees, Talk Talk, Echo and the Bunnymen sowie Everything but the Girl zu vernehmen, welche das anvisierte (nichtsdestotrotz nie vordergründig forcierte) „Eighties-Feeling“ dienlich anreichern…
Als Kat überzeugt die talentierte, aktuell u.a. als Star der „Divergent“-Franchise Boxoffice-Erfolge feiernde Shailene Woodley erneut in einer keineswegs leicht zu spielenden Rolle und beweist im Zuge dessen einmal mehr ihre ausgeprägte mimische Bandbreite – ähnlich wie bereits in „the Descendants“ und „the Spectacular Now“, vorliegend jedoch ergänzt um eine unkaschierte sexuelle Komponente, welche sie ebenfalls anstandslos (und freizügig) meistert. Die Geschehnisse werden aus der jugendlich-subjektiven Perspektive Kats heraus aufgezeigt – bieten also nur einen eingeschränkten Grad an Realismus. Wer ihre Voiceover-Kommentare demzufolge als „zu banal“ (oder so) kritisiert – der hat´s schlichtweg nicht begriffen. In ihrer Erinnerung war ihre Mom eine über-dramatische, psychisch instabile Frau, deren „lodernder Funke“ seitens der anhaltenden „Domestizierung“ seine fast vollständige „Erstickung“ erfuhr und welche die mit einer wunderbar dominanten Leinwand-Präsenz aufwartende Eva Green („Cracks“) angepasst unsubtil und „campy“ portraitiert: Eine feine, genau die richtige Balance zwischen bestürzend, ergötzlich, unsympathisch und bemitleidenswert treffende Performance. Christopher Meloni („Man of Steel“) ist klasse als die meiste Zeit über sowohl von seiner Gattin als auch Tochter aufgrund seines wenig standhaften (passiv-schwächlichen) Auftretens gleichermaßen geringgeschätzter Brock – worüber hinaus in Nebenparts Akteure wie Sheryl Lee („Vampires“), Angela Bassett („Olympus has fallen“), Thomas Jane („Deep Blue Sea“), Shiloh Fernandez („the East“), Gabourey Sidibe („Precious“), Mark Indelicato („Disposal“) und Dale Dickey („the Pledge“) als Phil´s blinde Mutter allesamt zufrieden stellend agieren…
Bei der Farbgestaltung der Ausstattung (Möbel, Kleidung, Wände etc.) hat man großen Wert auf spezielle Kontraste und punktuelle Übereinstimmungen gelegt, Cinematographer Sandra Valde-Hansen („Hello Herman“) hat alles ansprechend bebildert und die Darreichung der Traum-Sequenzen wurde bewusst sehr „künstlich-surreal“ gehalten. Eve wirkt förmlich wie „den 1950ern entrissen“ – von ihren Outfits, Gebarensweisen und sexuellen Frustrationen her – was einen unweigerlich (auch dank des injizierten abgründigen Humors) an das Oeuvre John Waters´ denken lässt. Araki greift diverse gewichtige Themen auf – wie z.B. die Selbstbezogenheit von Teenagern, die Entdeckung der „Macht“ ihrer Ausstrahlung und Handlungen, ihre Suche nach Glück, Liebe, Anerkennung und einer „eigenen Identität“, das Aufwachsen in einer dysfunktionalen Familie, die ernüchternden Enttäuschungen des Erwachsenwerdens, die Verarbeitung des Verlusts eines Nahestehenden ebenso wie die Ursachen und Symptome einer weiblichen Midlife-Crisis – dringt dabei aber nicht sonderlich weit in die „Tiefe“ der Materie vor, was schade ist und dem Film ein höheres Maß an Nachhaltigkeit verwehrt. Zusätzliche Therapie-Sessions Kats hätte es dafür allerdings nicht gebraucht – u.a. da jene ohnehin einen tendenziell unvorteilhaft „trockenen“ Eindruck heraufbeschwören. Überdies entpuppt sich „White Bird in a Blizzard“ als merklich „reservierter“ als die meisten Veröffentlichungen Arakis. Unabhängig dessen ist ihm mit dieser Roman-Adaption „unterm Strich“ ein durchaus unterhaltsam-reizvolles, einträglich gut besetztes sowie zwischen bedrückend und aufgelockert-amüsant variierendes Coming-of-Age-Indie-Drama gelungen, bei welchem er obendrein sein lang gehegtes Faible für David Lynch´s Kult-Serie „Twin Peaks“ mit einzuflechten vermochte...