Entstehungsdaten:
GB-Belgien 2015
Regie:
Ben Wheatley
Darsteller:
Tom Hiddleston
Jeremy Irons
Sienna Miller
Luke Evans
Elisabeth Moss
James Purefoy
Keeley Hawes
Peter Ferdinando
Sienna Guillory
Reece Shearsmith
Stacy Martin
Trailer
Als der 1930 in London geborene Kultautor James Graham Ballard 1975 seinen dystopischen, hierzulande 1982 und 1992 unter den Titeln „der Block“ und „Hochhaus“ erschienen Roman „High-Rise“ veröffentlichte, sicherte sich Produzent Jeremy Thomas („Eureka“) umgehend die Adaptionsrechte an dem düster-satirisch-eigenwilligen Klassenkampf-Opus. Ausgiebiger Bemühungen zum Trotz – inklusive mehrerer Anläufe mit verschiedenen Regisseuren (unter ihnen Nicolas Roeg und Vincenzo Natali) – dauerte es im Folgenden jedoch noch stolze vier Jahrzehnte, bis das Projekt schlussendlich „das Licht der großen Leinwand“ erblickte. Auf der Grundlage eines von seiner Gattin und „kreativen Partnerin“ Amy Jump verfassten Drehbuchs basierend sowie mit einer namhaften Besetzung und einem ausreichend hohen Budget gesegnet, hatte sich der zuvor dank Werke wie „Kill List“, „Sightseers“ und „A Field in England“ als ein „aufstrebendes Talent“ gerühmte britische Filmemacher Ben Wheatley dieser ambitionierten Herausforderung gestellt: Eine reizvolle, mit Neugier und Anklang begegnete Wahl. Obgleich mich Wheatley´s Schaffen bis dato noch nicht wirklich zu überzeugen vermochte, war mein Interesse dennoch geweckt. Um der Facetten-reichen Materie Ballards gerecht zu werden, war auf jeden Fall ein unkonventioneller Verantwortlicher mit „cineastischem Mut“ und einer „klaren Vision“ von Nöten – so wie David Cronenberg damals bei seinem kontroversen 1996er Drama „Crash“…
Mitte der '70er in dem „retro-futuristischen Ambiente“ eines neuen, stylish-modernen vierzig-stöckigen Wohngebäudes angesiedelt, lernt der Zuschauer den manierlichen, gut aussehenden Doktor Robert Liang (Tom Hiddleston) kennen, der nach einem Schicksalsschlag gerade dabei ist, sein geräumiges, in der 25. Etage gelegenes Appartement zu beziehen. Während die verbliebenen oberen (jeweils ein Stück weit zu einer Seite hin versetzt angeordneten) Ebenen noch größere, luxuriösere Zimmerfluchten aufweisen, wurden die unteren dagegen für deutlich mehr Parteien aufgegliedert, weniger umfangreich ausgestattet (ohne Terrassen, Panorama-Fenstern etc.) und sind preislich entsprechend kostengünstiger zu haben. Zudem gibt es einen Wellness-Bereich, Supermarkt, ein Schwimmbad und Fitness-Studio – was die generelle Notwendigkeit eines Verlassens des Komplexes gewichtig minimiert. Im Penthouse, welches über eine riesige begrünte, im Stile eines „Gartens auf dem Lande“ angelegte Terrasse verfügt – komplett mit satter Vegetation und einer Reihe Tiere – residiert indes der Architekt der Anlage, Anthony Royal (Jeremy Irons), gemeinsam mit seiner Angetrauten Ann (Keeley Hawes). Ziel seiner „Schöpfung“, zu der noch weitere (noch nicht vollendete) Bauten in identischer Form gehören, welche um einen zentralen Parkplatz herum angeordnet wie die gekrümmten Finger einer Hand anmuten, ist es, dass sich alle Bewohner als Teil eines „kollektiven Ganzen“ verstehen…
Royal schwebte ein souverän funktionierendes, die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten verantwortungsvoll miteinander verknüpfendes Gefüge vor – allerdings unter Beibehaltung der seit jeher existierenden, primär auf etwaigen individuellen Vermögenslagen beruhenden „Hierarchien“: Reichtum im oberen Drittel, Familien und Einkommensschwächere im unteren sowie der in seinem Berufsfeld anständig verdienende Junggeselle Liang (samt anderer „ähnlich aufgestellter“ Nachbarn) im mittleren. Nicht nur im Rahmen regelmäßiger Partys findet Robert schnell einen gewissen Anschluss: U.a. schläft er mit der in dem Stockwerk über ihm lebenden attraktiven allein-erziehenden Mutter Charlotte (Sienna Miller), lädt ihn Royal zu sich sowie zum Squashspielen ein und kommt er wiederholt mit dem unzufriedenen, von Arbeitslosigkeit bedrohten, eine Menge Wut in sich hegenden Dokumentarfilmer Richard Wilder (Luke Evans) und dessen (erneut) hochschwangeren Ehefrau Helen (Elisabeth Moss) ins Gespräch. Robert strebt einen „sozialen Aufstieg“ an – wird seitens der „alteingesessenen Obrigkeit“ allerdings bloß eingeschränkt akzeptiert – wohingegen er sich „nahe des Straßen-Levels“ merklich wohler fühlt, da die grundlegende Atmosphäre dort spürbar „geselliger“ ist. Häufig wird auf Sex und Alkohol zurückgegriffen, um die Eintönigkeit des Alltags (zumindest temporär) zu „übertünchen“ – worüber hinaus es registrierbar ist, dass bestimmte kommunizierte Ansichten immenses Konfliktpotential in sich bergen…
Wie in den hinteren Kisten eines Ladens (auf den ersten Blick nicht erkennbar) schimmelndes Obst, so stellt sich allmählich heraus, dass wiederholte Stromausfälle und Probleme mit der Müllentsorgung keineswegs nur „Kinderkrankheiten“ des Neubaus sind, sondern konkrete „Fehler im Konstrukt“, von denen die oberen Etagen (verdächtigerweise) fast vollständig verschont bleiben. Soziale Ungerechtigkeit wähnend, wachsen die Konflikte bzw. „vertikalen Spannungen“ immer weiter an. Als die verfügbaren Güter im Supermarkt knapp werden – was nun auch die Reichen direkt betrifft – führen Besitzneid und Verlustängste zu Aufruhr und Abschottung sowie zu Diebstählen und rabiaten Übergriffen – worauf der Zorn irgendwann in Gewalt umschlägt und so ziemlich alles (letztendlich) „im Chaos versinkt“. Selbst im Zentrum dieser wüsten Entwicklungen behält Liang (teils unfreiwillig) die Position eines Außenseiters bei: Er ist ein passiver, emotionsarmer, oft gleichgültig wirkender Zeitgenosse, der vornehmlich auf sich selbst aufpasst und dabei angrenzend soziopathische Züge aufweist. Elegant, gebildet und begehrenswert – nichtsdestotrotz unscheinbar und nicht gerade „aufregend“: Seine Wandfarbenwahl und das Nicht-Auspacken seiner Umzugskartons spricht da Bände. Tom Hiddleston („Only Lovers left alive“) verkörpert ihn mit feinen Nuancen und weiß durchgehend zu überzeugen – allerdings verhindert die „kühle Distanz“ der Figur, dass jemals echte Sympathien für ihn und/oder sein Schicksal erkeimen…
Luke Evans („Dracula Untold“) portraitiert den kontinuierlich manischer auftretenden Wilder dagegen mit viel „roher, nach außen gekehrter Energie“: Richard treibt den „Aufstand der Arbeiterschicht“ voran und agiert maßgeblich auf der Basis von Perspektivlosigkeit und Frust – nicht etwa aus „löblichem Idealismus“ heraus. Schade, dass sein Bestreben, die Geschehnisse per Kamera fürs Fernsehen zu dokumentieren, nur recht beiläufig abgehandelt wurde. In der Rolle seiner sich nach ein Stück weit Ruhe und Abwechslung sehnenden Gattin ruft Elisabeth Moss (TV´s „Mad Men“) keinerlei Anlass zur Klage hervor – was ebenfalls für Sienna Miller („American Sniper“) als Charlotte Melville gilt, welche ihrem „unbekümmerten Dasein“ (häufiges Feiern, keine festen Partner-Bindungen etc.) offenbar höhere Priorität und Aufmerksamkeit einräumt als ihrem Sohn, dessen Vater übrigens „kein geringerer“ als Mr. Royal ist. Jener betagte Star-Architekt, der die Situation „unter seinem Dach“ lange unterschätzt (bzw. einfach nicht wahrhaben will) sowie parallel dazu stetig den Respekt seines erwählten Umfelds verliert, mimt „Oscar“-Preisträger Jeremy Irons („Batman v Superman“) gewohnt ausdrucksstark – während Akteure wie James Purefoy („Momentum“), Reece Shearsmith („the Cottage“), Keeley Hawes („the Bank Job“), Peter Ferdinando („300: Rise of an Empire“) und Sienna Guillory („Resident Evil: Retribution“) sichtlich Freude am Darbieten ihrer „zum Karikaturesken hin tendierenden“ Parts hatten…
Es fällt einem schwer, sich mit diesen oberflächlich gezeichneten Charakteren in irgendeiner ergiebigen Form zu identifizieren – entsprechend wenig „Mitgefühl“ empfindet man für sie. Die meisten von ihnen sind sowohl Opfer als auch Täter, die sich selbst am nächsten stehen. Dem Film mangelt es zudem an etlichen subtil-fokussierten Details, mit denen Ballard´s Vorlage aufzutrumpfen vermochte – u.a. im Bereich des im Gebäude vorherrschenden bzw. von Grund auf eingerichteten „Kasten-Systems“. Unweigerlich gerät einem da Bong Joon-ho´s (deutlich Action- und CGI-lastigerer – die in ihn gesetzten Hoffnungen in ähnlicher Weise jedoch nur bedingt erfüllen könnender) 2013er Streifen „Snowpiercer“ in Erinnerung. Im Vorliegenden feiern die Reichen extravagante Partys wie am Hofe des französischen „Sonnenkönigs“ damals – und wer im Publikum das nicht auf Anhieb (von sich aus) erkennt, dem wird gar noch eine dekadente Kostüm-Veranstaltung mit einem eben solchen Motto präsentiert. Als sich das Chaos in den unteren Etagen anwachsend weiter ausbreitet, verbarrikadieren sich die „Aristokraten“ in Royal´s Penthouse, feiern berauschte, enthemmte Orgien und versuchen Taktiken (zu ihrem Vorteil gegenüber dem „Pöbel“ – so wie einst zu Zeiten der Revolution) zu entwerfen – denn auch ihre Vorräte neigen sich allmählich dem Ende entgegen (selbst Ann´s Pferd landet zuletzt „auf dem Teller“). Auf beiden Seiten lösen sich die sozialen Normen und Strukturen auf – entwickeln sich zurück zu einer Art „primitiven Stammesgemeinschaft“...
Frei der „Vorgaben der Zivilisation“ werden sie quasi wieder zu „Jägern und Sammlern“ – u.a. mit den verbliebenen Konserven in den Verkaufsregalen oder mal auch nur mit einem Cocktail-Mixer als Ziel – legen sozusagen ihre Humanität ab und geben sich der „kreativen Zerstörung“ hin: Der Müll stapelt sich meterhoch in den Fluren, Wohnungen werden verwüstet, Hunde ertränkt und gegessen, Leute verprügelt, mindestens eine Frau vergewaltigt. Hunger, Wut sowie die „Lust am Revoltieren“ münden in Grausamkeit und Tod. Obgleich manche (unter ihnen Liang) lange noch ihren Job ausüben, wird weder versucht, die Polizei einzuschalten, noch einfach mal „auswärts“ einkaufen gegangen. Es scheint eine gewisse Zufriedenheit inmitten dieser „totalen Anarchie“ zu geben – schließlich muss sich nun keiner mehr irgendwelchen auferlegten Regeln oder „gesellschaftlichen Zwängen“ unterordnen. Logik wird von Jump und Wheatley zugunsten von Surrealismus als „nachrangig“ gewichtet – der Irrsinn überlagert die eigentliche Botschaft immer dominanter. Ohne richtig „emotional involviert“ zu sein, schaut man dem regen Treiben zu – nimmt die offerierten „Spitzen“ wahr, die hauptsächlich Kapitalismus und Materialismus „ins Visier nehmen“, und ärgert sich im Rahmen dessen über den sprichwörtlichen „Holzhammer“, auf den dabei vereinzelt zurückgegriffen wurde (siehe ein Che Guevara Poster oder eine Radio-Ansprache Margaret Thatchers). Überdies ist anzuführen, dass die Handlung im fortschreitenden Verlauf punktuell an „unersprießlichen Wiederholungen“ zu kranken beginnt...
Augenfällig hatte Wheatley die komplexe, fordernde Materie nicht durchgängig optimal im Griff. Besonders evident wird einem das bei einer zentralen Montage-Sequenz – welche zwar cool ausschaut, spezielle (wichtige) Story-Inhalte allerdings zu ungeduldig und komprimiert darreicht. Ballard hat die Eskalation der Dinge exakt beleuchtet – Wheatley dagegen verliert sich zunehmend in einem mit allerlei Kamera- und Editing-„Spielereien“ ausgestatteten bzw. arrangierten „Bilderrausch“, der (unbestreitbar) toll anzusehen ist, den Eindruck von „Style over Substance“ insgesamt jedoch umso kräftiger festigt. Prinzipiell hat Cinematographer Laurie Rose („Free Fire“) ebenso feine Arbeit geleistet wie Production Designer Mark Tildesley („Trance“) – worüber hinaus der wunderbar atmosphärische Score Clint Mansells („Requiem for a Dream“) herausragende Erwähnung verdient. Und dann gibt es da noch eine klangvoll-bedrückende, schlichtweg perfekt integrierte (von Portishead beigesteuerte) Coverversion des ABBA-Klassikers „S.O.S.“, die in jenen Momenten tatsächlich mal eine „innere Regung“ in einem auszulösen vermag. Diese paar Minuten bleiben einem im Gedächtnis – wie auch so einige weitere exzellente Szenen (á la das Häuten eines Schädels oder ein selbstmörderischer Sturz von einem Balkon). Schade nur, dass an sich nicht gerade viele so „hintergründig“ sind wie die, in der Liang einer Kassiererin (Stacy Martin aus „Nymphomaniac“) ein Französisch-Wörterbuch mit den Worten
„Keep the change“ hinterlässt...
Fazit: Mit „High-Rise“ hat sich Ben Wheatley an dem gleichnamigen 1975er Roman James Graham Ballards im Stile eines Werks John Boormans, Terry Gilliams, Nicolas Roegs und/oder Ken Russells versucht – leider bloß bedingt erfolgreich. Das Ergebnis ist ein wüster Mix aus Sex, Gewalt und „Schrägheit“ – eine eigenwillige Kombination aus einer dramatisch-düsteren Dystopie und einer satirisch-absurden schwarzen Komödie. Zum einen optisch ansprechend, gut besetzt und ambitioniert – zum anderen „uneben“, unsubtil sowie phasenweise ein wenig repetitiv. Ein Film, der sich vor allem im Angesicht der Erwartungen letztendlich als eine (je nach Betrachtungsweise: mehr oder minder schwere) Enttäuschung entpuppt – nichtsdestotrotz jedoch ein Blick wert ist...