Entstehungsdaten:
USA 2016
Regie:
Zach Clark
Darsteller:
Addison Timlin
Ally Sheedy
Keith Poulson
Peter Hedges
Barbara Crampton
Kristin Slaysman
Molly Plunk
Trailer
„Fail to see the tragic? Turn it into magic!“
(Marilyn Manson)
Co-verfasst und in Szene gesetzt von Zach Clark, handelt es sich bei „Little Sister“ (2016) um eine sehenswerte kleine „Indie-Dramödie“, welche im Oktober 2008 angesiedelt daherkommt sowie die Geschichte der jungen Novizin Colleen (Addison Timlin) erzählt, die im New Yorker „Sisters of Mercy“-Kloster unmittelbar davor steht, ihr Gelübde abzulegen und somit zu einer Nonne zu werden. Just dann teilt ihr ihre Mutter Joani (Ally Sheedy) allerdings per E-Mail mit, dass ihr Bruder Jacob (Keith Poulson) wieder daheim im Elternhaus wohnt, nachdem er als Soldat im Irak schwer verletzt sowie kürzlich erst (durch Kopfverbrennungen angrenzend unkenntlich entstellt) aus dem Krankenhaus entlassen wurde – er sich seither jedoch fast komplett von allem um sich herum „zurückgezogen“ habe. Vor drei Jahren hatte sich Colleen von ihrer Familie abgewandt, als das mit Jacob geschehen war und Joani´s „manisch-depressive Ader“ in einem Selbstmord-Versuch gipfelte – wobei das Heranwachsen in jener Umgebung für sie an sich aber auch nicht gerade leicht gewesen war. Mit dem gewonnenen Abstand, ihrer (dank ihres Glaubens) aufgebauten Kraft sowie dem erwähnten wichtigen Schritt in naher Aussicht, entschließt sie sich kurzerhand dazu, im Angesicht der Lage noch einmal nach Hause zurück zu kehren – und so bittet sie ihre Oberin (Barbara Crampton) um ein paar Tage „Ausgang“ sowie darum, sich einen Wagen für die Fahrt nach North Carolina ausleihen zu dürfen…
Verbunden mit dem Hinweis, dass innerhalb der Schwesternschaft durchaus noch Zweifel an ihrer „Hingabe“ bestehen, werden ihr ihre Wünsche gewährt:
„It took God six days to create the universe – you should be able to get your act together in five.“ Vor Ort trifft Colleen auf ihren Vater Bill (Peter Hedges), welcher sich darum bemüht, die Dinge mit „anti-konfrontativem Gebaren“ auf einem „erträglichen Level“ zu halten (da er keinen echten Ansatz findet, um sie zu verändern), auf Joani, die das gestörte Verhältnis zu ihrer Tochter nicht einmal eingangs wirklich zu überspielen in der Lage ist, ihre Depressionen u.a. mit Cannabis „übertüncht“ und zudem der festen Meinung ist, Colleen hätte sie damals verlassen, um sich ihren eigenen Problemen nicht stellen zu müssen – sowie auf Jacob, der sogar die fortbestehende Zuneigung seiner Verlobten Tricia (Kristin Slaysman) abweist, so gut wie nie nach draußen geht und seine Wut des Öfteren per Trommel-Spiel abreagiert. Es ist unerlässlich, gehegte Erwartungen neu anzupassen – worauf Colleen es sich zu ihrem Ziel erklärt, Jacob wieder „zurück ins Leben“ zu führen. Beide waren in ihrer Jugend „Goths“ – wovon ihr düster eingerichtetes, noch immer so bewahrtes Zimmer unverkennbar zeugt – und auf eben jenem Wege meint sie schließlich, einen erneuten „Zugang“ zu ihm herstellen zu können: Also färbt sie sich die Haare pink, schminkt sich weiß-blass, legt schwarzen Lippenstift sowie Gwar´s „Have you seen me?“ auf und zerrupft u.a. 'ne Puppe…
„Little Sister“ ist ein traurig-humorvoller, liebenswerter Film – fernab des Mainstreams und erfreulich arm an Klischees. Als angehende Nonne präsentiert sich Colleen als ein ruhiges, zurückhaltendes Mädel, das ihrer Überzeugung folgt und gern ihren Mitmenschen hilft – sich einen Teil ihrer „Individualität“ allerdings bewahrt hat, z.B. indem sie sich ab und an gern schräge Aufführungen in gewissen Szene-Clubs anschaut (zu Beginn etwa eine Musik-Kostüm-Revue über „9/11“). Wie die Hipster dort auf sie reagieren, dürfte sich nicht viel von so manchem Bürger in dem ländlichen Kaff unterscheiden, in welchem sie aufgewachsen ist. Beseelte und/oder amüsante Details, wie dass Colleen bei einem Gespräch im Kloster-Garten mit ihrer Mutter Oberin – übrigens prächtig besetzt mit „Scream Queen“ Barbara Crampton („You´re Next“) – eine bunte Sonnenbrille trägt oder dass die den Verlauf untergliedernde Kapitel an die Bibel angelehnt wurden, sind in diversen Bereichen des Werks zu verzeichnen. Wichtig überdies das zeitliche Setting: Angesiedelt inmitten des US-Wahlkampfs zum Ende der Präsidentschaft George W. Bushs hin, verbreitet sich im Land gerade eine optimistische „Hoffnung auf Veränderung“ – siehe Barack Obama´s berühmten Slogan – während Jacob im Vorhinein (bspw.) noch auf der Basis fehlerhaft-falscher Infos Schrägstrich Begründungen in den Krieg geschickt worden war, was nicht nur bei ihm zu einschneidenden Auswirkungen geführt hat…
Analog zu dieser politischen Komponente befindet sich die Familie in einem „zerbrochenen“ Zustand: Joani und Bill meiden bestimmte Themen, betäuben ihren Kummer mit Drogen und sind sowohl damit überfordert als auch überfragt, wie man die Situation irgendwie wieder „zum Besseren wenden“ könnte. Colleen war nach New York gegangen, um nicht selbst von diesem „Strudel“ mitgerissen zu werden. Ihre Eltern hatten sie nie wirklich verstanden – weit über ihren Vegetarismus und ihre Religion hinaus. Der Blick ihrer Mutter am Tisch spricht da Bände.
„Dad and I thought you´d become a lesbian Satanist“, eröffnet sie ihr an einer Stelle – und das mit einem gewissen mitklingenden Bedauern, also nicht unbedingt als Scherz gemeint. Colleen ist nun aber kein „kleines Mädchen“ mehr, lässt sich nicht mehr wie eins behandeln – was in entsprechenden Konflikten resultiert und ihre Differenzen offen legt. Joani hat das Gefühl, ihre Tochter würde über sie richten – doch dem ist nicht so: Stattdessen ist sie – im Einklang mit ihrer Zukunftswahl – einfach nur eine barmherzige Person. Jacob, welchen sie sehr liebt, schämt sich indes aufgrund seiner Verletzungen, in die Öffentlichkeit zu treten, verbirgt sich selbst im Haus hinter einer Sonnenbrille sowie unter Kapuzen-Sweaters, sträubt sich gegen ein Interview mit CNN und hält sogar seine Verlobte auf Abstand, die trotz allem weiterhin treu zu ihm steht – deren „Stärke“ in Anbetracht des Ganzen aber allmählich schwindet…
Einst waren sich die Geschwister überaus nahe – doch ihre Erlebnisse, sich ausprägenden Identitäten und Werdegänge hatten sie auseinander geführt. Nun möchte Colleen ihrem großen Bruder dazu verhelfen, wieder Freude empfinden zu können. Den „Schlüssel“ dazu markiert ihre gemeinsame Vergangenheit – quasi die „unschuldig-sorgloseren Zeiten“, in denen beide u.a. ihre Eigenwilligkeit (via ihres speziellen Musik-Geschmacks, Humors etc.) verbunden hatte. Dass sie sich im Folgenden erneut wie ein „Goth Chick“ kleidet und verhält, ist nicht bloß „eine Show“ und steht auch nicht im Widerspruch zu ihrem Glauben: Diesen „Teil von ihr“ wird es immer geben und zeichnet ihre charakterliche Komplexität aus. Schrittweise gibt Jacob nach: Geht mit ihr zuerst im Wald spazieren, dann mal einkaufen sowie zu einem Treffen mit Emily (Molly Plunk) – der besten Freundin Colleens aus High-School-Tagen, welche früher ebenfalls als Außenseiterin galt, sich inzwischen als radikale Tierschutz-Aktivistin engagiert und nicht vergessen hat, wie verknallt sie einst in Jacob war. Die Drei verleben einen schönen, ihnen sichtlich guttuenden Abend, bei dem Colleen ihr erstes Bier trinkt – und sich nach dem zweiten prompt übergibt. Sie müssen sich nicht irgendwie „verstellen“, denn niemand ist vollkommen und vermag Ehrlichkeit gelegentlich gleichermaßen schmerzhaft wie hilfreich zu sein…
Der Filmtitel bezieht sich ja im doppelten Sinne auf Colleen, welche als Familien-Jüngste und angehende Nonne die Hoffnung hegt, die Lage daheim ebenso zu verbessern wie ihre eigenen Zweifel (samt der ihrer Oberin) zu überwinden. Mit gewonnenem Selbstbewusstsein stellt sie sich diesen gewichtigen Herausforderungen – doch wird sie es tatsächlich schaffen? Die süße, sympathische, von Joani obendrein auch noch passend „Sweet Pea“ genannte Addison Timlin („Odd Thomas“) verkörpert Colleen schlichtweg perfekt – u.a. „zerbrechlich“ wirkend, aber dennoch entschlossen und standhaft. Nicht minder stark agiert Ally Sheedy als dominante, reizbare, verletzende Mutter, die zu Alkohol und „Gras“ wider ihren Kummer greift und im Prinzip wie eine erwachsene, dorthin entwickelte Version ihrer Figur im 1985er Klassiker „the Breakfast Club“ anmutet – während der sonst eher Regie führende Peter Hedges („Pieces of April“) ihren alles möglichst irgendwie „zusammenhalten“ wollenden Gatten ordentlich portraitiert, Keith Poulson („Queen of Earth“) trotz einer dicken Schicht Gesichts-Make-up überzeugt, Molly Plunk („Profane“) auf angenehme Weise „flippig“ daherkommt und Kristin Slaysman („Promised Land“) die wunderbar anti-stereotyp verfasste Rolle der verunsicherten, all ihre Kraft und Gefühle fest zu bewahren versuchenden Tricia lobenswert prima meistert…
Unabhängig der vielen Sorgen und Belastungen, mit denen sich die Charaktere auseinandersetzen müssen, hat Zach Clark („White Reindeer“) die Geschehnisse mit einem inspirierten Humor und Optimismus angereichert, Zynismus erfolgreich vermieden und das Bedrückende nie „die Oberhand gewinnen“ lassen. Sein Inszenierungsstil ist unaufdringlich, präzise sowie mit verschiedenen netten Einfällen (á la speziell gewählte Bildausschnitte beim Lesen einer E-Mail) gesegnet – worüber hinaus in Kombination mit dem Score Fritz Myers', dem u.a. mit einigen „Dark Wave“-Tracks aufwartenden Soundtrack und der Kameraarbeit Daryl Pittmans eine harmonisch-stimmige herbstliche Atmosphäre erschaffen bzw. eingefangen wurde. Kleinere Schwächen sind nicht zu verleugnen – wie z.B. das nur flüchtige Andeuten eines Plans Emilys oder die Einbindung einzelner Ausschnitte alter Kindheitsvideos, welche nahezu die einzigen registrierbaren Klischees markieren – allerdings beeinflussen diese den positiven Gesamteindruck in keinem bedeutsamen Maße. Gegen Ende entfalten sich die Ereignisse rund um eine „herrlich amerikanische“ Halloween-Feier (inklusive Musik, Tanz, Süßigkeiten, Verkleidungen, Rauschmittel und Aussprachen) und beginnen im Rahmen dessen sogar den Ansatz eines „surrealen Touchs“ anzunehmen, bevor der Film schließlich in einem absolut zufrieden stellenden Ausklang mündet…
Fazit: „Little Sister“ ist ein sehens- und empfehlenswerter „Indie“: Eine fabelhaft besetzte, hoffnungsvolle und politische, feinfühlig Anteil nehmende und bewegende (keineswegs aber unvorteilhaft sentimentale) tragisch-komische „Familien-Dramödie“…
knappe