Entstehungsdaten:
Island-USA 2017
Regie:
Geoffrey Orthwein & Andrew Sullivan
Darsteller:
Maika Monroe
Matt O'Leary
Arnar Jónsson
Trailer
Gemeinsam verfasst und in Szene gesetzt von den Spielfilm-Newcomern Geoffrey Orthwein und Andrew Sullivan, haben wir es bei der 2017er isländisch-amerikanischen Co-Produktion „Bokeh“ mit einem ruhigen, minimalistischen „Indie“-Drama zutun, in dessen Zentrum ein junges Touristen-Pärchen aus den USA steht, welches sich im Rahmen ihrer Urlaubsreise eines Morgens (einer Rast in einem Hotel in Reykjavik folgend) urplötzlich mit einem gravierenden „übernatürlichen Ereignis“ konfrontiert sieht: Wie es scheint, sind über Nacht alle anderen Menschen um sie herum spurlos verschwunden – und das nicht nur an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort, sondern offenbar überall auf der Welt! Mit Verunsicherung und Besorgnis müssen sie erkennen, dass niemand zu finden und keiner mehr zu erreichen ist – ebenso wie dass das Internet seit dem Vortag (in Sachen Posts und Meldungen) nicht mehr aktualisiert wurde sowie auf diversen verfügbaren Webcam-Live-Streams bloß nur noch leere Städte (Plätze, Räumlichkeiten etc.) zu sehen sind. Es handelt sich also weder um eine groß angelegte Evakuierung, wie sie eingangs vermuten, noch um etwas in der Art einer Epidemie – schließlich gibt es auch keinerlei Leichen zu entdecken. Ganz egal, ob es nun Aliens waren, die biblische „Entrückung“ eingetreten ist oder sie mit jeder ihrer Mutmaßungen falsch liegen, müssen sich Jenai (Maika Monroe) und Riley (Matt O'Leary) nun jedenfalls (zwangsweise) mit dieser neuen, sie vor diverse Herausforderungen stellenden Situation arrangieren…
Da Energie im Lande in einem umfangreichen Maße durch eine automatisierte Nutzung der Geothermie gewonnen bzw. erzeugt wird, ist die Befürchtung unnötig, in Kürze keinen Strom oder keine Heizwärme mehr zur Verfügung zu haben. Noch gibt es in den Supermarkt-Regalen Unmengen an Obst, Gemüse und erst in einigen Tagen oder Wochen „ablaufenden“ Lebensmitteln – wonach ihnen noch ein enormer Vorrat an Eingefrorenem und Haltbarem (bspw. in Konserven) bleibt. Ohne einer Möglichkeit, in die Staaten zurückzukehren, richten sie sich in einem netten (nun ja verlassenen) Apartment „häuslich“ ein, speisen und trinken in Cafés, Bars und Restaurants, beschaffen sich neue Kleidung und versuchen sich mit Brettspielen, dem Aufbau von Routinen, dem Nachgehen eigener Interessen sowie Ausflügen von der Isolation und dem Geschehenen an sich abzulenken. Im Zuge letzterer gehen sie u.a. wandern, schwimmen, baden, schauen sich Geysire, heiße Quellen, Berge, Gletscher, felsige Küstenabschnitte, Klippen und Wasserfälle an – so wie sie es eigentlich ohnehin vorhatten. Die natürlichen Impressionen Islands bieten der Geschichte eine beeindruckend-schöne „Kulisse“ – nehmen einen markanten Bestandteil am Gesamteindruck ein und tragen viel zu der heraufbeschworenen Atmosphäre bei. In diesem Zusammenhang ist überdies die feine Kamera-Arbeit Joe Lindsays („Forest of Eden“) und der hochklassige Score Keegan DeWitts („Queen of Earth“) lobend anzuführen…
Was den Film ein Stück weit „sperrig“ macht – also manch einen Betrachter mit Sicherheit ein wenig frustrieren oder enttäuschen dürfte – ist die Tatsache, dass den zwei Protagonisten jeweils bloß ein Minimum an „Back-Story“ zugeschrieben wurde und sie sich obendrein (im Angesicht ihrer Lage) nur bedingt „wie erwartet“ verhalten. Nein, sie quartieren sich nicht in irgendeiner Luxus-Suite ein, bedienen sich in keinem Juwelierladen und brausen auch nicht in teuren Sport-Wagen durch die leeren Straßen. Statt sich „so richtig auszutoben“, bemühen sie sich eher darum, trotz allem noch eine gewisse Form von „Normalität“ zu bewahren. Sie sind keine herausragend interessante Persönlichkeiten – und selbst die Intensität ihrer Gefühle wird einem nicht umfassend klar. Von Anfang an kommen sie einem nicht mehr wirklich „ineinander verliebt“ vor – mit der Zeit wird eine zunehmende „Unterkühltheit“ bemerkbar. Obgleich sie sich keiner konkreten Gefahr ausgesetzt sehen, müssen sie dennoch (allein schon aufgrund des Fehlens von Ärzten) achtsam sein. Es kann getrost verraten werden, dass ein akuter „Überlebenskampf“ im Vorliegenden ebenso non-existent ist wie eine „übernatürliche Bedrohung“. Darüber hinaus wird das auslösende Ereignis nur angedeutet und verbleibt ein Rätsel – weshalb es hier (dementsprechend) in erster Linie um die beiden Menschen inmitten dieses belastenden „Zustands“ geht: Um die Beschaffenheit und Kraft sowohl ihrer Beziehung als auch ihrer individuellen Wesen…
Während Riley ein Fotograph ist, der für seine Aufnahmen eine klassische Rolleiflex anstelle einer modernen (digitalen) Variante nutzt, u.a. da er „die Authentizität ihrer Bilder“ (inklusive etwaiger „Verunreinigungen und Defekte“) schätzt, sich aktiv Kenntnisse aneignet (bspw. das Brühen eines „Gingerbread Lattes“ oder den Bau einer Auffangapparatur für Regenwasser), die neuen „Bedingungen und Möglichkeiten“ ihrer Existenz annimmt sowie diese „im nächsten Schritt“ dann auch „weiter ausschöpfen“ möchte, fühlt sich Jenai von der Einsamkeit und der Aussicht darauf, wahrscheinlich nie wieder nach Hause zurückkehren zu können, anwachsend stärker „erdrückt“ – vermisst ihre Freunde und Verwandte, hört sich alte Voicemails an und schaut immer mal wieder nach, ob sie nicht vielleicht doch eine E-Mail erhalten hat. Relativ rasch wird sie „passiv“ sowie gelegentlich abweisend Riley gegenüber; vereinzelte „Tatendrang-Momente“ erstrecken sich nicht allzu lang. Kleinigkeiten und Meinungsverschiedenheiten – etwa in welcher Reihenfolge ihre (verderblichen) Joghurt-Vorräte am besten gegessen werden sollten, ohne eine Ausnahme in der Hinsicht gleich anprangern zu müssen – führen zu Streit; ihre Tagesabläufe und Interaktionen wiederholen sich. Glückliche, ausgelassene Augenblicke werden seltener. Jenai sehnt sich nach zusätzlicher Gesellschaft – spricht einmal gar mit einer Statue vor einer Kirche – Riley bemüht sich weiterhin um sie: Ein fraglos „zehrendes“ Unterfangen für ihn – und im Ansatz auch fürs Publikum…
In einer Schlüssel-Szene besichtigen sie ein altes Flugzeugwrack, welches Riley als ein cooles, reizvolles Motiv ansieht – wogegen Jenai es bloß als „Metallschrott“ erachtet. Sie hat einen religiösen Hintergrund – spekuliert darüber, ob Gott eventuell „ungeduldig“ geworden sei – er indes führt an, sie wären vielleicht ja nur „statistische Anomalitäten in einer unerklärbaren Sache“. Wurden sie bestraft oder für etwas auserwählt? Wie beeinflussen einen solche Fragen? Und wie wichtig sind einem überhaupt die zugehörigen Antworten? Ihre Denkweisen unterscheiden sich voneinander – was „unter normalen Umständen“ in dieser Art und Ausprägung vermutlich nie so aufgefallen bzw. zum Tragen gekommen wäre. Matt O'Leary („Eden“) und Maika Monroe („It follows“) portraitieren sie ordentlich – teils zurückhaltend, allerdings mit einigen starken „emotionalen Spitzen“ (á la Liebe, Frustration oder Trauer) aufwartend. Handwerklich haben Orthwein und Sullivan einen schön anzusehenden Film erschaffen, der inhaltlich leider aber nicht sonderlich tief in das umfangreiche Potential der Materie (primär auf philosophische und existenzielle Ansätze und Aspekte bezogen) vordringt: Schade. Punktuelle „Logik-Schwächen“ habe ich unterdessen zwar registriert – alles in allem jedoch als „nebensächlich“ empfunden. Die stimmungsvollen Aufnahmen von leeren Städten, Touristen-Attraktionen (etc.) entstanden übrigens mitten in der Nacht, gegen drei Uhr morgens – erhellt von der isländischen Juni-Sonne, welche im Sommer dort ja bis zu 21 Stunden pro Tag vom Himmel scheint…
Fazit: „Bokeh“ ist ein atmosphärisch-intimes „die letzten Menschen auf Erden“-Drama, das vorrangig „Indie-Freunden“ zusagen dürfte. Und wer sich wundert, was der Titel eigentlich bedeutet: Es handelt sich dabei um einen Begriff, der aus der Fotographie stammt und die optische Gestalt sowie ästhetische Qualität der Objektiv-abhängigen Unschärfen in dem nicht fokussierten Bereich eines Bildes kennzeichnet…