Entstehungsdaten:
USA 2017
Regie:
Antonio Campos
Brad Anderson
Cherien Dabis
Jody Lee Lipes
Tucker Gates
Darsteller:
Jessica Biel
Bill Pullman
Christopher Abbott
Abby Miller
Jacob Pitts
Kathryn Erbe
Nadia Alexander
Trailer
Als die acht-teilige amerikanische Mini-Serie „the Sinner“ im November 2017 auf „Netflix“ erschien, bin ich an sie herangegangen, ohne mich im Vorhinein weiter über sie zu informieren. Im Grunde wusste ich bloß, dass es sich bei ihr um eine Kombination aus Psycho-Drama und Mystery-Krimi handelt, dass sie auf dem Roman „die Sünderin“ der deutschen Autorin Petra Hammesfahr basiert, dass Jessica Biel und Bill Pullman die Hauptrollen spielen und dass sie im Zuge ihrer „USA Network“-Erstausstrahlung im August 2017 zu einem „Publikums- und Kritiker-Liebling“ avanciert war. Im Zentrum des Geschehens steht die Ehefrau und Mutter Cora Tannetti (Biel), welche in ihrem Alltag von Anfang an ein wenig „distanziert“ wirkt. Bei einem gemeinsamen Ausflug zu einem Badesee mit ihrem Mann Mason (Christopher Abbott) und Sohn Laine (Grayson Eddey) schwimmt sie in einer „unbeobachteten Minute“ weit hinaus und lässt sich dort regungslos in die Tiefe sinken – bis sie (außer Atem) wieder auftaucht, zum Strand zurückkehrt und sich zu ihrer Familie setzt. Sie kommt einem unzufrieden vor – sich geradezu nach Ruhe und/oder Abwechslung sehnend. In ihrer Nähe amüsiert sich ein Pärchen, das Spaß hat: Herumalbert, sich küsst und umarmt. Den Tannettis fehlt es offenbar an dieser Art „Leidenschaft“ – eventuell seit der Geburt des Kindes? Mit dem Titel im Sinn, kam mit spontan der Gedanke, dass Cora gewiss aus ihrer aktuellen Situation „ausbrechen“ will bzw. „sich ausleben“ wird – aber nein: Stattdessen erhebt sie sich urplötzlich, als das Mädel (Teri Wyble) ein Lied auf ihrem MP3-Player einschaltet, läuft zu ihnen hinüber und ersticht ihren Begleiter mit einem Messer, mit welchem sie bis dato noch eine Birne für Laine geschält hatte…
Bevor Cora von Mason überwältigt werden kann, tötet sie Frankie (Eric Todd) vor den Augen dutzender Zeugen: Ein überraschender, blutiger, schockierender, echt starker Auftakt, der das Zuschauer-Interesse nach rund einer Viertelstunde sogleich „fest packt“ – und fortan bis zum Schluss nicht mehr loslässt. Sie wird verhaftet und sagt aus, dass sie dem Opfer noch nie begegnet sei und sie sich ihre Handlung nicht erklären könne. Die Cops Dan Leroy (Dohn Norwood) und Harry Ambrose (Pullman) übernehmen den Fall – Cora selbst bekennt sich schuldig. In Anbetracht des Hergangs und der Beweislage gibt es schließlich auch nichts abzustreiten. Was fehlt, ist ein Motiv. Hatte sie einen „mentalen Zusammenbruch“ – so etwas wie eine mit einem „Blackout“ verbundene „Wut-Entladung“ – oder steckt in Wirklichkeit mehr dahinter? Um ihre Zurechnungsfähigkeit zu evaluieren – und um möglichst doch noch an „Antworten“ für die Menschen um sie herum (wie ihre Familie, die Medien und Behörden) zu gelangen – beginnt Harry im Folgenden damit, Cora zu befragen. Tatsächlich bekommt er auf diesem Wege verschiedene Informationen und Erklärungsansätze heraus – allerdings halten sie einer anknüpfenden Überprüfung der Fakten nicht umfassend stand: Während einzelne Details verifiziert werden können, können sich andere in der von ihr beschriebenen Form definitiv so nicht ereignet haben. Zudem sagen Frankie´s Freundin und ein Kumpel aus, es erschien ihnen so, als habe er sie im Moment des Angriffs wiedererkennt und sich von da an kaum noch gewehrt. Wir haben es hier also nicht mit einem klassischen „Whodunit“ zutun – sondern mit einem (nicht minder reizvollen) „Whydunit“…
Einen ersten „Durchbruch“ erzielt Harry, als er Cora (in einem Verhörraum des Gefängnisses) den damals am See gerade laufenden Song vorspielt – und dieser bei ihr prompt einen „aggressiven Gefühlausbruch“ auslöst, bei dem sie aufgebracht auf ihn einschlägt. Es wird klar, dass dieses spezielle Lied einen psychologischen „Trigger“ für sie markiert – worüber hinaus sich sogar aufzeigt, dass sie bei Harry und Frankie (unbewusst) jeweils exakt dasselbe „Schlag-Muster“ ausgeführt hat. Gedeihlich entsteht ein (eingangs noch fragiles) „Vertrauens-Verhältnis“ zwischen dem erfahrenen Ermittler – welcher (ebenso wie das Publikum und diverse Einwohner der betreffenden kleinen Gemeinde in Upstate New York) unbedingt herausfinden will, wie es zu der brutalen Tat kommen konnte – und der offenbar seitens eines schrecklichen (verdrängten) Erlebnisses in ihrer Vergangenheit traumatisierten Frau. Die Zeit wird jedoch knapp – denn Cora muss sich entscheiden, ob sie ein Angebot der Staatsanwaltschaft annimmt, bei ihrem Schuldbekenntnis bleibt (womit sie ein Urteil der zuständigen Richterin erhalten würde) oder sie sich auf einen Gerichtsprozess einlässt. Mit Hilfe von Gesprächen, Nachforschungen sowie selbst des Miteinbeziehens einer Therapeutin, die sie per Hypnose beim Zutagekehren bestimmter Erinnerungen unterstützt, rückt zunehmend die Nacht des 4. Julis 2012 in den Fokus der Betrachtung – sowie einige direkt daran anschließende Wochen, nach welchen sie jemand in eine Entzugsklinik eingeliefert hatte. Eine ergänzende Schwierigkeit bei dieser „Aufarbeitung“ stellt die Gegebenheit dar, dass Cora manches einfach nicht mehr weiß sowie gewisse Einzelheiten miteinander vermischt oder vertauscht – wodurch sich sozusagen ein „Puzzle“ bildet, das es irgendwie zu arrangieren und zu vervollständigen gilt…
Entlang unterschiedlicher „Fährten“ – auf die ich bewusst bloß vage eingehe – nähert sich die Serie stetig dem an, was Cora da fünf Jahre zuvor widerfahren ist. Rückblenden geben preis, dass sie in einem christlichen, vorrangig durch ihre streng religiöse Mutter (Enid Graham) geprägten Haushalt aufwuchs, in welchem ihr jene immerzu die Schuld für „schlimme Dinge“ in ihrem Umfeld gab: So sei ihre Geburt (z.B.) derart zehrend gewesen, dass ihre Schwester Phoebe daraufhin dann krank zur Welt gekommen sei – und sobald sich der Zustand letzterer mal wieder verschlechterte, sei das „mit Sicherheit“ daraus resultiert, dass Cora erneut (etwa durchs heimliche Essen von Schokolade) „gesündigt“ habe. Regelmäßig wurde sie zum Beten und „Buße tun“ gezwungen: Phoebe´s Schicksal sei eine ihnen auferlegte „Prüfung Gottes“, hieß es. In ihrer Jugend träumten die Mädchen davon, abzuhauen und sich in Florida eine Wohnung in Meeresnähe anzumieten. Körperlich schwach, entwickelte sich Phoebe hin zu einer des Öfteren unerwartet „unverblümt“ auftretenden Teenagerin (Nadia Alexander) – während Cora u.a. damit anfing, (neugierig-neidisch von ihrer Schwester beäugt und befragt) erste sexuelle Erfahrungen mit einem jungen Herrn namens J.D. (Jacob Pitts) zu sammeln. Seither ist eine Menge geschehen: Phoebe ist gestorben, Cora hatte Mason kennengelernt sowie Laine bekommen, hat keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern, J.D. ist als örtlicher Drogen-Dealer weiterhin in der Gegend unterwegs – und sie selbst sitzt nun „hinter Gittern“, nachdem sie „aus heiterem Himmel“ jemanden getötet hat. Das, was in jenem Sommer passiert war – und zwar sowohl „mit ihr“ als auch im zugehörigen Kontext – hatte sie bislang „ausgeblendet“, ohne es zu ergründen: Dort liegt der sprichwörtliche „Schlüssel“ verborgen, um das Getane zu verstehen…
Harry setzt sich für Cora ein, da ihn der Fall herausfordert und ihn die Ermittlungen zugleich von seinen „privaten Problemen“ ablenken: Es ist nämlich so, dass er seit geraumer Zeit um das Fortbestehen seiner Ehe kämpft. Er ist darum bemüht, die Beziehung zu retten – doch ist zu befürchten, dass er und Fay (Kathryn Erbe) sich inzwischen schlichtweg zu weit „voneinander entfernt“ haben. Vor allem sie scheint nur noch wenig (realistische) Hoffnung zu hegen, dass es „dieses Mal anders“ (sprich: besser) werden wird. Im Rahmen seines Jobs verfügt Harry über mehr „Struktur und Kontrolle“ als in seinem Privatleben. Parallel zu all dem (Paar-Therapie etc.) hat er allerdings auch eine Affäre mit einer Kellnerin Schrägstrich Domina (Meredeth Holzman), zu der er sich unweigerlich „hingezogen“ fühlt und welche er nur ab und an für ihre Praktiken bezahlt – was ihre Treffen nicht bloß auf der Ebene einer „Dienstleitung“ verortet. Ihre „sadomasochistischen Interaktionen“ sind relativ „unbehaglich“ anzusehen – soviel sei an dieser Stelle vermerkt. Insgesamt ist er ein guter Polizist und ein überaus trauriger Mensch, den Bill Pullman („Independence Day“) absolut überzeugend portraitiert. Seine feine Leistung kann jedoch nicht „übertünchen“, dass der Part an sich leider nicht durchweg optimal ausgestaltet wurde: So ist sein „S/M-Faible“ ein nicht gerade subtiler Vertreter des geläufigen „unter der bürgerlichen Oberfläche“-Motivs ähnlicher Geschichten – wohingegen seine punktuell vorgebrachten Botanik-Fachkenntnisse den Eindruck erwecken, man wollte ihm da unbedingt eine „quirky“ Charakter-Eigenschaft á la „Inspektor Columbo“ verleihen. Nichtsdestotrotz überwiegt das Positive in der Hinsicht deutlich und hat mir Pullman selten so prima wie im Vorliegenden gefallen…
Die „Dynamik“ zwischen Cora und Harry funktioniert ergiebig: Beide weisen „beschädigte Persönlichkeiten“ auf – wobei ihre Zusammenarbeit ihn quasi dazu antreibt, ihr „Klarheit“ zu verschaffen und sie nach Möglichkeit vor einer (eingangs noch sicheren) mehrere Dekaden umspannenden Freiheitsstrafe zu bewahren, während sie exakt weiß, dass sie ohne seinem Engagement kaum eine Chance hat, diese „Blockade ihres Geistes“ (allein) zu überwinden und die konkreten Ursachen ihrer bisherigen Empfindungen und Reaktionen freizulegen. Sie verlässt sich auf ihn – ist ihm dankbar und vertraut ihm anwachsend. Cora´s Schmerz, ihre Verzweiflung, Sorgen sowie die Auswirkungen ihrer bestürzenden Erlebnisse transportiert Jessica Biel via Blicke, Gesten, Körperhaltung und der Art ihrer Schilderungen „unter die Haut gehend“ stark. Seit sie zuletzt seltener als „Eye Candy“ in banalen Hollywood-Streifen wie „Stealth“, „Chuck and Larry“ oder „the A-Team“ auftritt, hat sie in einigen kleineren Produktionen (unter ihnen „the Tall Man“ und „the Truth about Emanuel“) die eine oder andere achtbare „dramatische Performance“ abgeliefert – und diese verlangende, uneitle hier ist nun zweifellos als ihre bis heute beste zu werten. Okay, man benötigt schon etwas „Suspension of Disbelief“, um die 35-jährige innerhalb einiger Flashbacks als Teen zu akzeptieren – wirklich ernsthaft fällt das allerdings nicht ins Gewicht. Generell ist zu registrieren, dass einem im Prinzip keine der Figuren in der Serie (aufgrund individueller Eigenschaften oder getätigter Handlungen) umfassend sympathisch wird – weder Cora und Harry noch Mason, Phoebe oder Fay. So wie es im Leben halt ist, hat jeder Schwächen, agiert gelegentlich mal egoistisch, verletzend oder nicht wie von ihm/ihr erwartet…
Auch die übrigen Rollen wurden ausnahmslos kompetent besetzt: Ein bedeutsamer Faktor bei einem keineswegs auf Action oder „vordergründige Thrills“ ausgerichteten Werk, dessen Inhalt sich nicht unwesentlich auf spezielle Reaktionen und Dialoge stützt. Christopher Abbott („It comes at Night“) spielt Cora´s Ehemann, welchem die Tat förmlich „den Boden unter den Füßen weggerissen“ hat, angenehm zurückhaltend. Mason hatte sie nie viel „von früher“ berichtet – und plötzlich ersticht sie jemanden vor den Augen ihrer Familie. Er weiß nicht, wie er damit umgehen soll: Sie ist im Gefängnis, der gemeinsame Betrieb erleidet finanzielle Einbußen, er wird von Mitbürgern gemieden und teils sogar angefeindet. Zudem animieren ihn unschöne Gerüchte über J.D. dazu, irgendwie gegen ihn aktiv zu werden: Es ist eine arg belastende, verunsichernde Position, in der er sich auf einmal wiederfindet. Jacob Pitts („Eurotrip“) verleiht J.D. genau die richtige Ausstrahlung – zwielichtig, potentiell gefährlich, simultan aber (u.a. dank seines Aussehens und der gewählten Worte) auf Mädels „anziehend“ wirkend – worüber hinaus Danielle Burgess (TV´s „the Deuce“) als seine „verschwundene“ Ex Maddie, Abby Miller (TV´s „Aquarius“) als eine mit Mason befreundete Polizistin, Nadia Alexander („Blame“) als jugendliche Phoebe, Dohn Norwood (TV´s „Hell on Wheels“) als Harry´s Partner, Meredeth Holzman („Petunia“) als S/M-bewanderte Kellnerin sowie Kathryn Erbe (TV´s „Criminal Intent“) als Fay jeweils rundum ordentlich agieren. Diese Einschätzung gilt gleichermaßen für Enid Graham („Margaret“) als Cora´s strikte Mutter und Joanna Adler („An invisible Sign“) als eine das Ganze möglichst schnell abschließen wollende Vorgesetzte Harrys – allerdings tendieren ihre Parts leider zum Klischeehaften hin…
Ansprechend ist es den Teleplay-Autoren gelungen, die 2008er Roman-Vorlage Hammesfahrs zu „amerikanisieren“ und sie sich auf acht Folgen verteilt effektiv entfalten zu lassen. Lügen, falsche Fährten und überraschende Offenbarungen verhindern Vorhersehbarkeit – Schritt für Schritt „lüftet sich der Schleier“, ohne dabei manipulativ oder prätentiös anzumuten. Die Story wird durchdacht erzählt – samt realistischer Verhaltensweisen (u.a. auf die Symptome der „post-traumatischen Störung“ Coras bezogen) und sich wandelnder Sympathie-Vergaben. Das Tempo beginnt recht hoch – wird jedoch schon bald zurückgefahren und bewegt sich fortan unüberhastet-geruhsam voran – die einzelnen „Cliffhanger“ kommen einem nie unnötig „forciert“ vor und die präsentierte Struktur (mit den ausgiebigen Rückblenden) erfüllt ihren Zweck sowohl Suspense-fördernd dienlich als auch vom kreierten „Rhythmus“ her gefallend. Die Regisseure Antonio Campos, Tucker Gates, Brad Anderson, Cherien Dabis und Jody Lee Lipes haben die Geschehnisse handwerklich solide in Szene gesetzt – die Kamera-Arbeit und Musik-Untermalung (inklusive des „Trigger“-Songs „Hugging and Kissing“ von Big Black Delta mit seinem markanten Intro) reichern die unheilschwangere Atmosphäre einträglich an. Neben mehreren optisch interessanten Momenten, zu denen die Rorschach-eske Titel-Sequenz und diverse „undeutlich-vernebelte“ Erinnerungen gehören, gibt es ebenso noch einige „ungemütlich beizuwohnende“ – wie eine, in der Cora ihre Schwester (auf Phoebe´s Drängen hin) „sexuell berührt“, oder weite (bedrückende) Passagen der vorletzten, die Ereignisse des 4. Julis aufzeigenden Episode. Und keine Sorge: Die Auflösung ist stimmig und zufrieden stellend – so wie es bei Projekten dieser Art ja eigentlich immer der Fall sein sollte…
Kurzum: Eindringlich, tragisch und weniger religiös als ursprünglich gedacht, handelt es sich bei der in sich abgeschlossenen 2017er Mini-Serie „the Sinner“ um eine ruhige, hochklassig-unterhaltsame Kombination aus Psycho-Drama und Mystery-Krimi, die eine Menge von ihren beiden starken Leads profitiert…
gute