Entstehungsdaten:
Frankreich 2017
Regie:
Coralie Fargeat
Darsteller:
Matilda Anna Ingrid Lutz
Kevin Janssens
Vincent Colombe
Guillaume Bouchède
Trailer
Sogenannte „Rape and Revenge“-Filme zählen beileibe nicht zu einer von mir geschätzten Unterhaltungsform. Während das zugehörige „Ausgangs-Verbrechen“ an sich schon ein arg garstiges, einen anwiderndes und erzürnendes ist, kann man die Herangehensweise und Art, wie so mancher Regisseur es in der Vergangenheit in Szene gesetzt hat, mit genau denselben Worten charakterisieren – was in bestimmten Fällen in verwandter Weise durchaus auch auf die Präsentation der im Folgenden ausgeübten (meist sehr brutalen sowie vom Publikum geradezu „applaudierten“) Rache des geschundenen Opfers zuzutreffen vermag. Nicht wenige verwechseln in diesem Kontext „Exploitation“ mit „Empowerment“ – wobei der Grat zwischen einem achtbar-effektiven Genre-Vertreter (wie z.B. Abel Ferrara´s „Ms .45“ oder Dennis Iliadis' „the Last House on the Left“-Remake) und „abgeschmackter Kost für gestörte Gemüter“ (á la David DeFalco´s „Chaos“) generell ein recht schmaler ist. Diverse als seriöser angesehene, respektierte, die Thematik mit anderen Schwerpunkten aufgreifende Werke gibt es natürlich ebenfalls – unter ihnen Barry Levinson´s „Sleepers“ und David Slade´s „Hard Candy“ – allerdings beziehe ich mich im Vorliegenden eher auf „klassische B-Movie-Exemplare“…
Fast immer sind es Männer, die „federführend“ hinter diesen Veröffentlichungen stecken. Umso reizvoller, wenn auf einmal ein Streifen erscheint, der sowohl von einer Frau verfasst als auch (in 32 Drehtagen mit einem Budget von rund zwei Millionen Euro) realisiert wurde sowie obendrein noch samt eines Trailers daherkommt, der auf Anhieb mein reges Interesse zu wecken vermochte. Erschaffen hat „Revenge“ – so der markante Titel dieser sich im Grunde eigentlich viel stärker ums blanke Überleben als um Vergeltung rankenden französischen Produktion aus dem Jahr 2017 – Coralie Fargeat, welche 1976 zur Welt kam, aktuell in Paris ansässig ist und mit jenem (hier fortan nun im Fokus stehenden) Projekt ihr „Abend-füllendes Debüt“ ablieferte, dessen Welt-Premiere im perfekt passenden Rahmen der „Midnight Madness“-Sparte des 42. Toronto International Film Festivals stattfand. Quasi eine aus einer „weiblichen Perspektive“ heraus dargereichte Kombination aus „I spit on your Grave“ und „Savaged“ – und das inmitten der gegenwärtigen „MeToo“-Zeiten: Eine reizvoll klingende Sache – weshalb ich mir (freudig gespannt) die Gelegenheit nicht entgehen ließ, mir die Original-Version im April 2018 im Kino anzusehen…
Eröffnet wird in Gestalt eines auf dem Anwesen einer modernen Luxus-Villa irgendwo in der Abgeschiedenheit der marokkanischen Wüste landenden Helikopters: Die Sonne strahlt, am Horizont erheben sich die anmutigen Schnee-bedeckten Höhen des Atlas-Gebirges, die Terrasse geht nahtlos in einen Pool-Bereich über, hinter dem sich etliche Kilometer Ödland erstrecken, und innen weist die Einrichtung allerlei Kunst, stilvolle Möbel und teure Elektro-Geräte auf – wodurch man unweigerlich kaum umherkommt, das Ganze mit einem Gefühl von Neid und/oder Fernweh zu betrachten. Zwei Personen setzt der Pilot an diesem malerischen Fleckchen Erde ab: Den vermögenden, attraktiven, erfolgreichen Geschäftsmann Richard (Kevin Janssens) und seine deutlich jüngere Geliebte Jennifer (Matilda Lutz) – ihres Zeichens eine hübsche, knappe Klamotten und neon-pinke Sternen-Ohrringe tragende, lasziv an einem Lollypop lutschende „Lolita“, die von einer Zukunft in L.A. träumt und sich darüber im Klaren ist, dass Richard daheim „Frau und Kinder“ hat. Auf ihre Sexualität bezogen ist sie selbstsicher, die Affäre beschert beiden „Annehmlichkeiten“ – primär verschiedene Varianten von „Spaß“. Entsprechend zügig steuern sie das Schlafzimmer an…
Etwas später führt Richard ein Telefonat mit seiner Gemahlin – lobt sie für ihr Talent beim Planen eines schicken Society-Events, während der Nachwuchs lautstark in der Nähe zu hören ist. Die Dame klingt nett, aber die Blagen nerven – selbst in diesen paar Sekunden – weshalb man ihn in Bezug auf Jen schon ein Stück weit verstehen kann. Dennoch erklärt er letzterer bei seiner Rückkehr ins Bett, dass „alles leichter wäre, wenn es da nicht die Kids geben würde“. Für einen Moment schmollt sie – doch nicht lange. Ein jähes Ende findet die ungehemmte Zweisamkeit, als unerwartet Richard´s Buddys Stan (Vincent Colombe) und Dimitri (Guillaume Bouchède) auftauchen: Mit ihnen wollte er am Tage nach Jen´s Abreise jagen gehen – allerdings sind sie auf die Idee gekommen, ihn zu überraschen und daher spontan einen Zacken eher aufzukreuzen. Von dem Mädel wussten sie nichts. Nachdem sich alle mit der neuen Konstellation arrangiert haben, verbringen sie gemeinsam eine ausgelassene Zeit – Alkohol und Drogen inklusive. Vor allem Stan ist schwer von Jen´s Schönheit und „lockeren Art“ verzückt – seine Komplimente grenzen ans Unangenehme – weswegen er auch „mit Vergnügen“ einen Tanz mit ihr eingeht, als Richard ihre Aufforderung ablehnt…
Jen ist sich den Blicken und Gedanken der Männer gewahr – mag den Effekt, welchen sie auf sie hat – und liebt es, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Statt für Richard ein Tütchen „Peyote“ wegzulegen, da er das Zeug für „zu unberechenbar und heftig“ hält, nimmt sie es heimlich an sich. Sie ist beileibe „kein Kind von Traurigkeit“, kleidet sich spärlich, bewegt sich sexy im Rhythmus der Musik, lächelt und hat gute Laune. Als sie Stan und Dimitri das erste Mal begegnet, beißt sie just in einen Apfel: Ein metaphorisches Detail. Der Auffassung Stans nach „führt sie ihn in Versuchung“ – denn warum sonst sollte sie derart freundlich zu ihm sein, gar „samt Körper-Kontakt“ mit ihm tanzen? Erinnerungen an Jodie Foster´s Figur in „the Accused“ werden wach. Am nächsten Morgen erfährt sie, dass Richard losgefahren ist, um ihre Jagd-Lizenzen zu besorgen – er gegen Mittag wieder zurück sein würde. Stan hat ihr Frühstück hingestellt – doch sie hat keine Lust auf seine Gesellschaft und geht lieber auf ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Er folgt ihr und fragt sie, warum sie ihn „auf einmal“ nicht mehr mögen würde. Höflich sowie mit steigendem Unbehagen erwidert sie, dass er „einfach nicht ihr Typ“ sei – worauf Stan jedoch mit Aggression reagiert…
Fargeat meistert diese prekäre Phase des Verlaufs mit Bravour: Das mit Absicht nicht gerade kurz gefasste Gespräch zwischen Jen und Stan ist enorm bedrückend – bevor er sie angreift und Dimitri plötzlich erscheint, der seinerseits weder auf Jen´s Bitte, ihr zu helfen, noch auf Stan´s „unterbreitete Option“, einzutreten und mitzumachen, eingeht. Stattdessen kehrt er um, schließt die Tür, dreht die Lautstärke des Fernsehers auf, um ihre Schreie zu übertönen, und geht nach draußen, um im Pool zu schwimmen, während Jen (u.a. flüchtig im Hintergrund durchs Fenster erkennbar) vergewaltigt wird. Dimitri ist ein niederträchtiger Mitschuldiger – und die inspirierte Entscheidung Fargeats, ihn mit der Kamera zu begleiten, befördert den Zuschauer gewissermaßen in eine ähnliche Lage, da sie „uns“ mit unseren gehegten Erwartungen ebenso konfrontiert wie mit den Auswirkungen der Denkweise Stans. An sich ist dieser Akt (Rape) für ihn eine Form von „Revenge“ für ihr Gebaren – für ihre Ablehnung seiner Avancen. Als Richard wieder eintrifft und Stan sogleich das Getane andeutet, sieht er umgehend nach der traumatisiert nebenan liegenden Jen, welche ihm gegenüber bloß den Wunsch äußert, alsbald vom Hubschrauber abgeholt zu werden…
Jen ist nicht an Rache interessiert – sie möchte nach Hause. Ungehalten knüpft sich Richard Stan vor – wonach er potentielle Schritte und Möglichkeiten abzuwägen beginnt. Die Befürchtung steht im Raum, dass sie die Behörden aufsucht und Anzeige erstattet – was mit Sicherheit ihre Karrieren (samt Ruf und Privatleben) „zerstören“ würde. Also tätigt er einige Anrufe und berichtet ihr daraufhin, dass er ihr eine stolze Summe Geld geben würde und er ihr zudem einen reizvollen Job in Kanada verschafft hätte. Sie ist entsetzt über sein „Angebot“, fühlt sich weiter gedemütigt und droht ihm, seiner Frau von ihnen zu erzählen – wofür er sie prompt als „Hure“ beschimpft und schlägt. Es entwickelt sich die Situation, dass sie hinaus in die Wüste flieht – bis hin zu einer Klippe, an der die Männer sie einholen und über deren Rand sie wenig später (hinunter in die Tiefe) gestoßen wird. An einem Baum aufgespießt – eine weitere brutale „Penetration“ sozusagen – lässt man sie dort zurück; ihr Blut auf Ameisen und den sandigen Boden hinab tropfend. Kein „normaler Mensch“ könnte das überleben – aber Fargeat ging es in der Hinsicht nicht um Realismus: Bei ihr ist Jen keineswegs tot – und ihre „Auferstehung“ gibt grandios den „Ton“ für das an, was noch folgen soll…
Wie ein „Phönix aus der Asche“ – u.a. in Verbindung mit Feuer und ungeheuren Schmerzen – kann sich Jen von dem Baum befreien, erheben und sich in eine Höhle nahebei schleppen. Die Szene erinnert nur bedingt an verwandte in übernatürlichen Filmen wie etwa „the Crow“ – vielmehr wird deutlich, dass sie die zugehörige Kraft aus ihrem Innern (ihren Instinkten und ihrem Willen) schöpft. Um einen noch immer in ihr steckenden Ast-Stumpen zu entfernen, nimmt sie (zwecks Betäubung) das erwähnte „Peyote“-Pulver ein – welches bei ihr stracks allerlei „schräge“ Halluzinationen (Natur-Impressionen, platzende Köpfe, Dinge, die sie erschrecken etc.) auslöst. Zum Verschließen ihrer klaffenden Bauch-Wunde greift sie indes zu einer Bier-Dose, schneidet diese auf, erhitzt das Blech und presst es auf die betreffende Körper-Partie – mit dem großartigen „Neben-Effekt“, dass auf jener fortan ein cooles Adler-Motiv des Labels als Tattoo bzw. Branding prangt: Symbolik, verknüpft mit einem genehmen augenzwinkernd-schwarzen Humor (wie nicht allein bloß an dieser Stelle). Parallel dazu hat das Herren-Trio das „Verschwinden“ der „Leiche“ inzwischen ebenso bemerkt wie ihre sichtbar hinterlassenen Spuren. Sie wollten ja ohnehin jagen gehen – doch statt Wild haben sie nun Jen im Visier…
Die Charaktere in „Revenge“ sind durchweg oberflächlich (bspw. frei von Background-Infos) gehalten worden und weisen diverse stereotype Eigenschaften auf – laden aber dennoch zur näheren Betrachtung ein. Dimitri ist sich bewusst, dass er nicht sonderlich attraktiv ist – hat sich quasi damit abgefunden – und so ist Jen für ihn im Prinzip nur reines „Eye Candy“ weit außerhalb seiner „Liga“. Aktiv entscheidet er sich dagegen, bei der Vergewaltigung sowohl einzuschreiten als auch „mitzumischen“ – lässt sie tatenlos geschehen. Stan unterdessen sieht „gewöhnlich“ aus, leidet an Verunsicherung und einer geringen Frustrations-Toleranz, beneidet Richard, deutet Jen´s Verhalten auf fatale Weise falsch und begeht das scheußliche Verbrechen. Und der Dritte im Bunde? Physisch ist Richard ein „Pracht-Exemplar“ – mit Erfolg im Beruf und einigen durchaus positiven Zügen – überdies zugleich jedoch ein Fremdgänger, der letztlich zugunsten des „daheim Aufgebauten“ ein Mord zu begehen bereit ist (ansonsten hätte er Stan ja ohne weiteres an die Polizei ausliefern sowie etwaige Konsequenzen für sich selbst in Kauf nehmen können). Guillaume Bouchède („Au Sol“), Vincent Colombe („Mon Roi“) und Kevin Janssens („D'Ardennen“) geben die drei Parts jeweils prima zum Besten…
Nicht nur aufgrund ihrer Ausrüstung empfinden sich die Männer, welche „Party-Girl“ Jen als „Sex-Objekt“ eingestuft und behandelt haben, in ihrer „Rolle“ als „maskuline Jäger“ noch überlegener, dominanter – müssen schon bald aber feststellen, wie arg sie sie da unterschätzt haben. Diesen Abschnitt der Story-Entfaltung, der ein packend-brutales „Katz&Maus“-Spiel mit so einigen „kathartischen Momenten“ in dem rauen Terrain der Wüste umfasst, werde ich angrenzend unbesprochen belassen: Also keine Einzelheiten verraten. Um zu überleben, setzt sich Jen jedenfalls erbittert zur Wehr: Dabei bloß Unterwäsche (plus ihre Ohrringe) tragend – ihre Haut mit Dreck, Ruß, Blut und Wunden bedeckt – wird sie dem Publikum weiterhin überaus „ansprechend“ präsentiert – allerdings hat Fargeat gekonnt darauf geachtet, dass das weder einen negativ voyeuristischen noch „sexualisierten“ Eindruck erzeugt. Trotz aller Toughness ist sie keine emotionslose Rächerin: Sie hat keinen „Spaß“ daran, muss fiese Qualen und Verletzungen überwinden – die psychologischen Auswirkungen des Erlittenen schimmern regelmäßig hindurch. Die hübsche Italienerin Matilda Anna Ingrid Lutz („Rings“) portraitiert sie schlichtweg perfekt: Eine kraftvolle, engagierte, rundum überzeugende Performance…
Untermalt seitens eines starken, den Verlauf im Einklang mit dem straffen, gut abgestimmten Tempo beständig vorantreibenden Elektro-Scores Robin Couderts („Horns“) bieten Fargeat und ihr Cinematographer Robrecht Heyvaert („Black“) dem Zuschauer immer wieder optisch schicke Bild-Kompositionen, die meist in knallig-satten Farbtönen daherkommen und die vorwiegend angespannte Atmosphäre (ergänzt um ein ausgezeichnetes Sound-Design) auch in der Beziehung ersprießlich anreichern. Die Mehrzahl der Szenen spielen sich am helllichten Tage ab, die Locations wurden ordentlich ausgewählt und in Sachen Gewalt werden u.a. tief im Fleisch steckende Scherben, Messer-Stiche ins Gesicht sowie ein von einem Projektil zerrissenes Ohr jeweils in einer derart realistischen, „schmerzhaft mit anzusehenden“ Effekt-Qualität dargeboten, dass der Streifen da mitunter an solche „New French Extremity“-Vertreter á la „Haute Tension“, „À l'intérieur“ oder „Frontière(s)“ herankommt. All das mündet schlussendlich in eine superb arrangierte, köstlich zum Absurden hin neigende erbarmungslose Konfrontation in den Räumlichkeiten der Villa, in deren Rahmen so viel Blut vergossen wird, dass ein Großteil der Innen-Einrichtung danach „eine andere Farbe hat“…
Mit „Revenge“ schuf Coralie Fargeat (entgegen des generisch-unkreativen Titels) einen inspirierten, unterhaltsamen, stylish-harten Survival-Thriller, der eine Reihe zeitgemäß-brisante (mit der Materie unweigerlich verknüpfte) Themen aufgreift sowie eingefleischte Genre-Fans zudem absolut zufrieden stellen sollte. Die „weibliche Perspektive“ und damit verbundenen Abwandlungen gewisser gängiger Versatzstücke und Klischees – wie etwa dass es Richard ist, der hier das komplette Finale splitternackt durchlebt (und somit insgesamt mehr „Haut“ als Jen zeigt) – wussten mir ebenso zuzusagen wie Fargeat´s selbstsicherer Umgang mit dem sich zwischen bedrückend-ernst und unsubtil over-the-Top erstreckenden „Tonfall“. Generell haben Frauen im Jahr 2017 einige sehr feine Regie-Arbeiten abgeliefert – unter ihnen Kathryn Bigelow („Detroit“), Lynne Ramsey („You were never really here“) und Greta Gerwig („Lady Bird“) – zu denen Fargeat´s Debüt-Werk definitiv mitzuzählen ist. Ähnlich wie bei ihrer Kollegin Julia Ducournau („Raw“) freue ich mich auf ihre künftigen Projekte. Zuletzt nun noch eine Empfehlung: Aufgrund einer bestimmten „Sprach-Dynamik“ sollte man sich den Film nach Möglichkeit in der englisch-französischen Original-Fassung anschauen…
knappe