Entstehungsdaten:
USA-Kanada 2022
Regie:
Ti West
Darsteller:
Mia Goth
Jenna Ortega
Brittany Snow
Scott Mescudi
Martin Henderson
Owen Campbell
Trailer
Bei "X" (2022) haben wir es mit einem nordamerikanischen, jedoch in Neuseeland gedrehten "Indie" von Regisseur und Drehbuchautor Ti West ("the House of the Devil") zutun, welcher u.a. dank seines Settings und Looks klar an Tobe Hooper´s "the Texas Chainsaw Massacre" angelehnt daherkommt – in Anbetracht seiner clever-gewitzten, das Horror-Genre gut kennenden und "ehrenden" Herangehensweise an die Materie zudem jedoch auch mit einem "Hauch" von Wes Craven´s "Scream" aufwartet. Ich muss gestehen, mit keinem der Werke Wests bislang je in einem innigeren Maße "warm geworden" zu sein – doch die Mitwirkung Sam Levinsons (TV´s "Euphoria") als Produzent erweckte meine Neugier und der präsentierte Trailer wusste mir prima zu gefallen; worüber hinaus die Vorfreude und Zuversicht auf Qualität nur noch weiter stärkende Gegebenheit hinzukam, dass die hoch geachtete Schmiede "A24" für den Film bzw. seine Veröffentlichung verantwortlich zeichnet…
Eröffnet wird in Gestalt eines blutigen Tatorts mit mehreren Leichen im Jahr 1979, welcher vom zuständigen Sheriff (James Gaylyn) und seinen Leuten gerade "frisch" erkundet wird. Was dort geschehen ist, wird dem Publikum im Folgenden per eines sich bis kurz vor Einsetzen des Abspanns erstreckenden "Rückgriffs" aufgezeigt: Um Geld zu verdienen und nach Möglichkeit berühmt zu werden, hatten sich sechs Personen am Tag zuvor von Houston, Texas aus in einem Van aufgemacht, um auf einem ländlichen Farm-Grundstück einen Porno zu drehen – genau genommen Strip-Club-Besitzer Schrägstrich Finanzier Wayne (Martin Henderson), seine neben der vollbusigen Blondine Bobby-Lynne (Brittany Snow) überdies die zweite weibliche Hauptrolle bekleidende Freundin Maxine (Mia Goth), der Ex-Soldat und männliche Lead des Flicks Jackson (Scott 'Kid Cudi' Mescudi) sowie das junge Pärchen R.J. (Owen Campbell) und Lorraine (Jenna Ortega); er Autor, Regisseur, Kameramann und Editor, sie für den Ton zuständig…
Vorab hatte Wayne mit Howard (Stephen Ure), dem altersschwachen Eigentümer des Geländes, auf dem sich u.a. auch ein See befindet, telefonisch vereinbart, sein ein paar Dutzend Meter vom Wohnhaus entfernt gelegenes Cottage-Bunkhouse anzumieten – ohne ihm aber zu sagen, wie viele anreisen würden und was sie da überhaupt vorhaben. Die Location passt toll – schließlich lautet der Titel ihres Skripts "the Farmer´s Daughters" – und einige zugesteckte Dollar mehr helfen Howard dabei, sie trotz seiner Verdrießlichkeit bleiben zu lassen. Das mit dem Porn-Shoot verschweigen sie ihm allerdings weiterhin. "It´s better to beg for forgiveness than ask for permission", erklärt Wayne seinen Begleitern diese Entscheidung. Wegen seiner Frau Pearl bittet Howard sie indes um "etwas Rücksichtsnahme", denn: "My wife is not well." Und so achten sie schon darauf, ihn fortan nicht zu verärgern, da sie ja genau wissen, wie konservativ die Menschen in dieser Gegend so sind. Obendrein hatte Howard bereits bei ihrer Ankunft eine Schrotflinte gezückt…
Unabhängig dessen, dass ich "X" nicht der Sparte "Elevated Horror" zuordnen würde – anders als bspw. "the Babadook", "Hereditary", "the VVitch" und "Midsommar" – handelt es sich bei dem Streifen nichtsdestotrotz um einen, der eine eigentlich konventionelle, altbekannte, schlichte Geschichte sowohl auf eine sorgfältig wie inspiriert konzipierte Weise erzählt als auch seitens der Inszenierung darbietet: In den Händen eines minder Talentierten hätte das Ganze leicht erheblich banaler und weniger zufrieden stellend geraten können. Quasi in einem übertragenen Sinne dazu tritt R.J. zu beweisen an, dass es (konträr zur sonstigen "gängigen Ware" auf dem Markt) durchaus machbar ist, "a good dirty movie" zu erschaffen. Damals wurden die meisten Pornos in Großstädten für "Bahnhofs-Kinos" gedreht – wogegen er ein höheres Maß an "Authentizität" sowie ein Ergebnis im Stil des "europäischen Arthouse-Cinemas" anstrebt, während Wayne mit dem Produkt frühzeitig ins just anlaufende "Home-Video-Geschäft" einsteigen will…
Generell ist West seit jeher ja für einen "ruhigen Aufbau" bzw. ein "unüberhastetes" Entfaltungs-Tempo bekannt – und für viele Zuschauer heutzutage, die eher schnelle Schnitte und eine hohe "Action-Ereignis-Dichte" gewohnt sind, geht die Charakterisierung "Slow Burn" oftmals (nicht selten dank der eigenen limitierten Aufmerksamkeits-Spanne) mit der Empfindung "langweilig" einher. Im Vorliegenden ist sich West da weiterhin treu geblieben: In der ersten Hälfte wird niemand getötet – stattdessen stehen die Protagonisten im Fokus und wurden ihre Bestrebungen als eine unaufdringliche "Huldigung des Indie-Filmemachens" gestaltet. Es ist unterhaltsam, der Gruppe bei ihren Interaktionen und ihrer Arbeit beizuwohnen – und das nicht nur angesichts akzentuierter Klischees á la "offensiv verführerische Mädels vom Lande" oder der "maskulin-coole Herr mit 'ner Wagenpanne" im Rahmen letzterer. Auffällig zudem, dass einem deutlich mehr Sex&Nudity (m/w) geboten wird als in artverwandten "mainstreamigeren" Werken…
West meistert die längere "Buildup-Phase" via einiger "amüsanter Impressionen" vom Dreh, einzelner "unheilvoller Dreingaben" (á la die Sünder und Frevler verdammenden Predigten eines Televangelisten) sowie des einen oder anderen Suspense-Moments – allen voran einer, als Maxine mal nackt im See entspannt; klasse per "God´s Eye"-Perspektive dargereicht – plus der grundsätzlichen Erfreulichkeit, dass einem (im Gegensatz zu unzähligen Beispielen aus den Reihen dieses Genres) durch die Bank weg keiner hier unsympathisch ist, auf die Nerven zu gehen beginnt oder als ein bloßes "eindimensionales Opfer" anzusehen ist. Geradezu im Einklang damit sind die Performances von Mia Goth ("A Cure for Wellness"), Brittany Snow ("Bushwick"), Jenna Ortega ("Scream", 2022), Martin Henderson ("the Strangers: Prey at Night"), Owen Campbell ("Super Dark Times") und Musiker Scott 'Kid Cudi' Mescudi ("Don´t look up") qualitativ allesamt innerhalb der Spanne "prima bis hervorragend" zu verorten…
Wayne ist der älteste der Gruppe, hat alles gemanagt und freut sich zunehmend darüber, dass "the Farmer´s Daughters" ihm aller Voraussicht nach einen lukrativen Hit bescheren dürfte. R.J. ist ein Film-Geek mit strähnigem Haar und großen Ambitionen – will aus diesem typischen "Smut-Material" durch die Anwendung bestimmter "Avantgarde-Inszenierungs-Techniken" (wie er sie bspw. aus französischen Streifen her kennt) etwas Besonderes kreieren. Eingangs ist Lorraine still, reserviert und weiß noch nicht so recht, was sie von diesen Leuten sowie deren Ansichten und "offenen Sexualität" so halten soll – was ihr prompt den Spitznamen Churchmouse einbringt. Bobby-Lynne erinnert an Aktricen wie Bambi Woods (aus den ersten "Debbie does Dallas"-Teilen), steht unverblümt zu ihrer Art, Ausstrahlung sowie dazu, wie sie ihr Geld verdient, und ist beileibe nicht einfach nur ein "dummes Blondchen". Und Jackson? Der ist ein prahlerisch-lässiger, selbstsicher, hilfsbereit und furchtlos auftretender Vietnam-Veteran und "Stud"…
Der "Star" von "X" ist eindeutig Goth – und das auch wegen einer speziellen Sache, welche ich im Zuge dieser Besprechung bewusst jedoch unerwähnt belasse. Maxine´s Ziel ist es, unbedingt Berühmtheit zu erlangen. Zwar ist sie irgendwann in diesem "Rotlicht-Milieu" gelandet und muss sich vor gewissen Aktionen 'ne ordentliche Prise Koks die Nase hochziehen – allerdings ist sie eine eigenständige Person, die zu nichts gezwungen wird, ein ansehnliches "Final Girl" und im Besitz des sogenannten "X-Factors", auf den sich der Titel (u.a. neben dem betreffenden Rating) bezieht. Am Abend kommt die Frage auf, wie es vereinbar ist, mit jemandem, der Pornos dreht – und das sogar im direkten Beisein – eine nicht bloß oberflächliche Partnerschaft zu führen – worauf Lorraine zur Überraschung aller plötzlich den Wunsch äußert, nun ebenfalls vor der Kamera mitmachen zu wollen. R.J. manövriert das kurzerhand in eine "emotionale Zwickmühle" – wogegen die übrigen überaus angetan und bestärkend auf das Vorhaben reagieren…
R.J. argumentiert, die Story sei schon zu weit fortgeschritten, um sie noch zu verändern bzw. in eine andere Richtung zu lenken. Umgehend verweist Lorraine ihn auf "Psycho" – und natürlich vermag er sie auch nicht mit seiner Erwiderung umzustimmen, es würde sich dabei doch um ganz unterschiedliche Genres handeln: Ein kleiner "Wink" gen Publikum – gerade weil R.J. anmerkt, ihr Vorhaben dort hätte ja nichts mit Horror zutun. Tja, ein paar Minuten später findet er sich dann aber genau innerhalb eines eben solchen Szenarios wieder – bei welchem West all in geht, um sich zudem in jener Hinsicht das anhaltende Wohlbefinden des geneigten Betrachters zu sichern: U.a. spritzt und fließt literweise Blut und gibt es so einige garstige, unangenehm anzusehende Verletzungen (á la eine übel zertrümmerte Hand) zu verzeichnen. Die serious-but-fun-Ausgewichtung des "Tonfalls" funktioniert – während die "Wētā Workshop"-Profis für wahrhaft feine "Pracital Effects" gesorgt haben…
Die Kills wurden allesamt gekonnt arrangiert – wie der komplette Film an sich. Die Verwendung geruhsamer, langer Einstellungen und inspirierter "Cutaways" fördert die Erzeugung von Suspense, die Ausleuchtung sowie das Geräusche wie Insekten-Summen oder tropfendes Wasser mit einbindende Sound-Design nährt die "creepy Atmosphäre" dienlich, beim Editing griff man mitunter auf "Wipes" und "Split-Screens" zurück und die "Scares" wurden seitens der Macher sorgsam herbeigeführt – sind also nicht bloß vordergründig-plumper Beschaffenheit. In Gestalt einer netten "Format-Täuschung" weiß die Bebilderung Eliot Rocketts ("the Innkeepers") bereits ab den allerersten Sekunden zuzusagen, der Score von Tyler Bates ("Atomic Blonde") und Chelsea Wolfe "sitzt" und die mit Tracks wie "I just want to make love to you" von Foghat, einer "Oui Oui Marie"-Coverversion von Wolfe herself sowie "(Don´t fear) the Reaper" von Blue Öyster Cult aufwartende Song-Auswahl macht auf stimmungsvolle Weise Laune…
"X" folgt dem klassischen Muster eines "Slashers" – ist auf den oder die Täter bezogen aber weder ein "Whodunit" noch trägt jemand eine Maske. Pearl, deren großartige Rollen-Besetzung ich hier nicht spoilern werde, war früher eine hübsche, begehrte Frau, welche bis heute weiterhin rege sexuelle Gelüste und Bedürfnisse verspürt. So leid es ihm tut, weigert sich Howard (Stephen Ure aus "Mortal Engines") jedoch, mit ihr intim zu werden, da er ein schwaches Herz hat sowie die keineswegs unbegründete Befürchtung hegt, dass ihn das ggf. schlichtweg umbringen würde. Zu Pearl´s Frust kommt überdies noch Neid auf "die Jugend" (Aussehen, Möglichkeiten etc.) hinzu: Ablehnung und Einsamkeit führt zu Verbitterung und Wut und mündet letztlich in Gewalt. Aus mehrerlei Gesichtspunkten ragen die Interaktionen zwischen ihr und Maxine heraus – und es wird interessant zu erfahren sein, wie West die Figur in seinem ebenfalls 2021 verfassten und abgedrehten Prequel "Pearl" weiter ausgestaltet und "vertieft" hat…
Die "weibliche Sexualität" ist ein zentrales Motiv des Films: Die Mädels – welche West übrigens nie auf der Bühne im Club performend zeigt – sind freizügig, entschieden eigenständig und haben Spaß – was sie (anders als im Genre traditionell oft üblich) auch nicht "automatisch" zu Opfern macht. An einer (inhaltlich von Pearl unabhängigen) Stelle heißt es, dass es durchaus "schädliche Auswirkungen" haben kann, gewisse "Verlangen und Triebe" zu unterdrücken. Ein Faible der vorwiegend männlichen Zuschauerschaft bedienend, steht in Pornos und Horror-Streifen ja meist "appetitliches, frisches Fleisch" im Blick – was so definitiv ja auch auf Goth, Snow und Ortega zutrifft – und sollte man es denn tatsächlich unbedingt wollen, könnte man West schon ein wenig den Vorwurf machen, das natürliche Aussehen nackter menschlicher Körper fortgeschrittenen Alters (obgleich an sich nicht unwahrheitsgemäß sowie von ihm nicht "bösartig" oder offensiv) als "unschön und abstoßend" zu präsentieren…
Der Look und das "Feeling" des Jahres 1979 passt und überzeugt jeweils vorzüglich – die u.a. in die Ausstattung und grundsätzliche Herangehensweise an das Projekt investierte Mühe und Sorgfalt ist evident. Vereinzelt wird Klassikern wie "Psycho" (ein im Sumpf versenkter Wagen) oder "the Shining" (eine mit einer Axt durchschlagene Tür) "Ehre erwiesen", die Protagonisten sind einem nicht "egal", der Humor kommt unaufdringlich und amüsant daher, die Motive fürs Töten sind nicht gerade die gängigsten und der "Härtegrad" ist von ordentlicher Stattlichkeit – worüber hinaus das Ganze einen netten "Grindhouse Vibe" ausstrahlt sowie am Ende sogar noch eine reizvolle Preisgabe zu bieten hat. Kurzum: Mit "X" hat Ti West a love letter to independent moviemaking and classic slasher films geschaffen – ein alles in allem zwar recht "oberflächlich" verbleibendes, sein Potential in bestimmten Bereichen nicht voll ausschöpfendes, nichtsdestotrotz verdammt unterhaltsames, seine Zielgruppe prima zufrieden stellendes Werk…
knappe