Entstehungsdaten:
USA 2021
Regie:
Jane Schoenbrun
Darsteller:
Anna Cobb
Michael J. Rogers
Trailer
"Hey guys, Casey here. Welcome to my channel. Today I´m going to be taking the World´s Fair Challenge", stellt sich die junge, von Newcomerin Anna Cobb gemimte Haupt-Protagonistin von Jane Schoenbrun´s Spielfilm-Regiedebüt "We´re all going to the World´s Fair" unmittelbar zu Beginn dem Publikum vor – also sowohl uns als auch all jenen, die sich später das Video anschauen, welches sie gerade aufnimmt. In ihrem abgedunkelten Zimmer unterm Dach ihres Elternhauses vorm Screen sitzend – mit ihrem Lemuren-Stofftier Poe an ihrer Seite – schwindet ihr leichtes Lächeln daraufhin ein wenig, als sie hinzufügt: "I don´t know what to expect." Letzteres traf im Grunde ebenso auf mich zu, als ich diesen von David Lowery (Schöpfer u.a. von "A Ghost Story" und "the Green Knight") mitproduzierten Low-Budget-"Indie" in den Player legte, dessen Premiere auf dem 2021er "Sundance"-Festival stattfand und über den ich mich übers Sichten des Trailers und Betrachten des Covers hinaus bewusst nicht näher erkundigt hatte, um mir die "Ungewissheit" zu bewahren, mit was genau ich es hier eigentlich zutun haben würde – etwa auf die Verlaufs-Entwicklung sowie Horror/Drama-Gewichtung bezogen…
Casey ist eine Schülerin, die zusammen mit ihrem Vater irgendwo in einer amerikanischen Kleinstadt lebt und ihr Dasein als ziemlich "ereignislos-langweilig" erachtet. Freunde scheint sie keine zu haben – Hobbys ebenfalls nicht. Wie so viele Teenager heutzutage, verbringt sie reichlich Zeit im Internet – wo sie kürzlich auf die betreffende "Herausforderung" aufmerksam geworden war. Neugier und ein Drang nach Abwechslung bewegen sie schließlich dazu, das mal auszuprobieren sowie das Ganze zu dokumentieren und zu posten. Die Schritte, die es zu befolgen gilt, lauten: Dreimal den Satz "I want to go to the World´s Fair" aufsagen, sich eine kleine Wunde zufügen, das Blut auf den Bildschirm schmieren und sich ein bestimmtes Video ansehen (verschiedenfarbiges Stroboskoplicht, mit pulsierendem Sound unterlegt). Bevor sie danach dann die Aufnahme stoppt, von Alex G komponierte Musik einsetzt, der Titel eingeblendet wird sowie die Opening-Credits diese einen auf Anhieb ergiebig "ins Geschehen hineinziehenden" (ohne Schnitte präsentierten) ersten acht Minuten abschließen, verspricht sie noch: "I´ll make sure to update if I notice any changes…"
Es ist natürlich evidente Absicht, dass diese mitunter auch als ein Online-Role-Playing-Game (RPG) beschriebene "Challenge" mit einer "Beschwörung" ihre Einleitung erfährt, die an spezielle Filme und moderne Folklore (á la "Candyman", "Beetlejuice", "Bloody Mary" etc.) erinnert. Früher gab es Grusel-Storys am Lagerfeuer – inzwischen sind es im World Wide Web kursierende, sich entsprechend verbreitende "Creepypastas". Im Vorliegenden werden einem weder Hintergründe noch konkrete Details (bspw. was es überhaupt ist, das die Partizipanten erwarten oder anstreben) genannt – die auftretenden "Symptome" unterscheiden sich offenbar je nach Fall bzw. Person. In der Hinsicht findet Casey im Netz diverse Clips – unter ihnen einer, in dem ein Mädel angibt, sich "in Plastik zu verwandeln" (samt des Text-Zusatzes Why does it feel so good?), ein anderer mit einem sich auf einem Laufband selbst ohrfeigenden, seinen Körper wohl nicht mehr spürenden Mann sowie ein weiterer mit einem Jugendlichen, der an einem üblen Ausschlag leidet und davon berichtet, dass es sich in seinem Innern so anfühlt, als würde sich "etwas zusammenfügen", zu seinem Hals hin "aufstapeln"; so wie bei "Tetris"…
Casey hofft und wartet darauf, dass irgendwas passiert, sich verändert, die öde Eintönigkeit ihres Alltags unterbricht. Sie fängt damit an, ihren Schlaf aufzuzeichnen. Ihre V-Logs erhalten kaum Clicks – erregen aber die Aufmerksamkeit eines Herrn in seinen 50ern (Michael J. Rodgers), der sich JLB nennt sowie Kontakt zu ihr aufzunehmen versucht, indem er ihr ein von der kryptischen Nachricht "You are in trouble. I need to talk with you." begleitetes grotesk verschwommen-verzerrtes Bild ihres Gesichts zukommen lässt. Als sie später miteinander "skypen", hat sie ihre Kamera eingeschaltet, während bei ihm bloß ein Icon eingeblendet ist: Eine skizzierte, breit grinsende "Horror-Gestalt". Er kennt sich besser mit der ganzen Sache aus – weist sie auf einen in-game-chatroom (for serious players only) hin, erzählt ihr von einigen der potentiellen Auswirkungen (z.B. auf Träume und Wahrnehmungen) und bittet sie darum, dass sie ihn fortan auf dem Laufenden hält (um zu wissen, wie es ihr geht, da er sich Gedanken um sie machen und sich um sie sorgen würde). Es ist schon ein Stück weit unbehaglich, diesen Interaktionen zwischen einem Erwachsenen und einer (beeinflussbaren?) Minderjährigen beizuwohnen…
Mit der Zeit wird Casey wechsellauniger – aber auch introspektiver – scheint punktuell Blackouts und "psychotische Episoden" zu erleiden – worüber hinaus sich ihre Züge eines Nachts zu einer Fratze hin verziehen. Obgleich echt creepy, werden solche Momente bei "We´re all going to the World´s Fair" anders als ähnliche in Genre-Kost á la "Paranormal Activity" (ein Film, der übrigens direkt erwähnt wird) genutzt: Der zugehörige "Effekt" aufs Publikum ist hier eher zweitrangig gegenüber den mit Casey verknüpften Empfindungen, u.a. da man rasch eine feste "Connection" zu ihr aufzubauen vermag. Die Frage stellt sich, inwieweit tatsächlich Übernatürliches involviert ist – oder ob sie sich da eventuell einfach immer inniger (auf Kosten ihrer "seelischen Verfassung") hineinsteigert. So oder so: Wo wird das enden? In einem Video holt sie ein Jagdgewehr heraus, das ihr Vater in einem Nebengebäude aufbewahrt – ein anderes, in dem sie über einen Friedhof schlendert, trägt den Titel tour of my high school. Denkbar wäre ebenfalls, dass sie nichts weiter als eine "Performance" an den Tag legt, um Aufmerksamkeit zu erwecken oder das RPG schlichtweg so gut wie möglich zu spielen…
Casey ist in einer dieser typischen US-Kleinstädte zuhause, meist für sich allein und hat auch zu ihrem Vater kein sonderlich enges Verhältnis. Jener arbeitet tagsüber – und als er in einer Szene abends mal mit dem Wagen ankommt, als sie gerade in der Küche sitzt, steht sie bewusst auf und geht hoch in ihr Zimmer, ohne ihn zu begrüßen oder ein Gespräch zuzulassen. Mit Sicherheit ist es für beide nicht leicht – so ohne einer Mutter bzw. Partnerin. Da sie dunkle Kleidung und "düstere Sachen" mag, mutet es ungewöhnlich an, dass sie in einem ihrer Videos plötzlich "mit vollem Einsatz" zu einem Upbeat-Song tanzt und mitsingt – bis sie mittendrin auf einmal laute Schreckens-Schreie ausstößt, die einem förmlich "durch Mark und Bein fahren", nur um daraufhin dann prompt nahtlos weiterzumachen: Ein unerwarteter, irritierend-verstörender, wirkungsvoller Augenblick. Generell ist Casey ein nettes, unaufgeregtes Mädel, das gewiss eine prima Freundin in einer entsprechenden Clique wäre. So allerdings ist sie eine Außenseiterin, der man ihre Einsamkeit und Traurigkeit durchaus anmerkt – an diesem Ort sowie unter den Umständen, zu denen sie selbst wohl einen Teil beigesteuert hat…
Das Internet offeriert einem eine Menge "Content", mit dem sich bestimmte "Leere" dienlich füllen lässt, sowie die Chance, mit anderen in Kontakt zu treten – und das weltweit. Dennoch belegen Studien, dass Menschen, die soziale Netzwerke zu intensiv nutzen, sich oft "isolierter" fühlen als jene, die offline blieben. Zudem kann mangelnde "Anerkennung" (via Likes, Kommentare oder Follower-Zahlen) zusätzliche Belastungen erzeugen. Casey´s Sehnsucht nach irgendeiner Form von "Verbindung" führt dazu, dass die Kommunikation mit JLB zustande kommt sowie nicht geblockt oder abgebrochen wird. Er liefert ihr Infos und Ratschläge hinsichtlich der "Challenge"; ist deutlich älter als sie – so dass bei einem schnell die Befürchtung Grooming aufploppt. Je stärker sich ihr Verhalten jedoch hin zu "Besorgnis erregend" verändert, desto mehr nimmt er eine Art "Mentoren-Rolle" ein. Welche Absicht steckt dahinter? Ist er ein pädophiler "Online-Predator", der diesen speziellen Ansatz nutzt – oder ist sein Leben ihrem (im übertragenen Sinne) ähnlich und will Schoenbrun damit aussagen, dass es wichtig und gut ist, dass Casey diesen "Pfad" nicht komplett auf sich gestellt beschreiten muss…?
Ab einem Punkt im Verlauf weicht "We´re all going to the World´s Fair" überraschend von seinem Fokus auf Casey ab und gewährt dem Publikum ergänzend dazu verschiedene Einblicke in JLB´s Dasein: Auch er verbringt viel Zeit ohne Gesellschaft, redet kaum mit seiner Frau, die häufig unterwegs zu sein scheint, und sitzt in seinem geräumigen Haus stundenlang vorm Rechner in seinem Arbeitszimmer, wo er sich mit diversen Aspekten des "Games" beschäftigt. Michael J. Rodgers ("Beyond the Black Rainbow") meistert den Part mit einer zurückhaltenden, enorm von seiner gewählten ruhig-sanften Tonlage und Sprechweise profitierenden Darbietung, welche eigenwillig zwischen distanziert und verunsichert klingend schwankt. Soll man ihn eher unheimlich finden oder Mitleid mit ihm haben? Wie so einiges, wird das nicht klar "vorgegeben". In einer Einstellung kann der aufmerksame Betrachter auf JLB´s Bildschirm eine Notiz erspähen, die er (neben etlichen anderen Anmerkungen und Beobachtungen) an sich selbst geschrieben hat: Rewatch "The Matrix". Das ist daher von Bedeutung, weil Schoenbrun einem damit quasi einen "Schlüssel" zum besseren Verständnis des Films präsentiert…
Neben einem Science-Fiction-Action-Streifen mit bahnbrechenden Special-F/X ist jener moderne Klassiker aus dem Jahr 1999 bekanntlich ja ebenso (gemäß seiner Schöpfer) eine Allegorie fürs "Erwachen" und Entdecken der eigenen (wahren) Identität. Jane Schoenbrun selbst bezeichnet bzw. identifiziert sich als non-binary (they/she) . Wichtig zu wissen ist jedoch, dass der Begriff Transition – wenn man ihn denn nutzen möchte – im Vorliegenden nicht aufs Geschlechtliche zu beziehen ist, sondern auf den "Übergang" der Pubertät. Heutzutage können sich die Kids im Internet selbst "aufklären" – ohne dabei vernünftig "begleitet" zu werden – sowie sich per Social Media oder in RPGs u.a. im Bereich der Selbstdarstellung "ausprobieren". Nach und nach fängt sich Casey´s Auftreten und Gebaren zu wandeln an – doch warum? Leidet sie eventuell unter Dysphorie, bildet sie sich etwaige "Einwirkungen" bloß ein – oder gibt es wirklich welche und sind diese paranormalen Ursprungs? Schwebt sie in Gefahr? Könnte sie sich (oder andere) etwas antun? Vielleicht ist das alles ja nur "ein Spaß" für sie – also fake? Auf konkrete Antworten hat Schoenbrun verzichtet…
Gleichermaßen wie es weder zu verifizieren ist, ob JLB am Ende in einem bestimmten Video die Wahrheit erzählt, noch wie authentisch die Schilderungen anderer "Betroffener" tatsächlich sind, können wir im Grunde nicht einmal sicher sein, ob Casey überhaupt der echte Name unserer Haupt-Protagonistin ist. Aber glauben wir´s ihr einfach – schließlich nehmen wir umgehend vom Einstieg aus an ergiebig (kontinuierlich fortbestehend) mit ihr Anteil. Dies ist vor allem der eindrucksvollen Natürlichkeit Anna Cobbs (in her feature film debut, wie es die Credits geradezu stolz betonen) zu verdanken: Sie ist schlichtweg klasse – meistert die "Facetten-Palette" des Parts (á la Verletzbarkeit, Sehnsucht, Hoffnung auf Veränderung etc.) rundum überzeugend; und das stets allein vor der Kamera agierend (frei persönlicher Interaktionen mit anderen). 2003 geboren, war sie beim Dreh selbst noch ein Teen – vermochte aus eigenen Erfahrungen und Empfindungen zu schöpfen. In jener Lebensphase passiert eine Menge mit bzw. in einem, das einen aufwühlt und bewegt. Von daher ist eine spezielle Szene auch vorzüglich, in der sich Casey eines Abends ein sie sanft beruhigendes "ASMR"- (Autonomous Sensory Meridian Response) Video ansieht…
Bereits mit der Doku "A Self-Induced Hallucination" und der Serie "the Eyeslicer" (mit ihren mind-expanding, mixtape-style episodes) hat Schoenbrun bewiesen, sich gut mit Internet-bezogener Materie wie dieser auszukennen. Mehr "dokumentarisch" als "cineastisch" wirkend, wird regelmäßig zwischen "Confessionals", traditionellen Aufnahmen und sonstigen Online-Inhalten (wie Clips und Chats; ab und an samt rotierender Ladekreise dazwischen) gewechselt. Ausgedehnte Einstellungen und das gemächliche Tempo tragen dazu bei, das man ein "Feeling" für die Charaktere und ihren Alltag erhält – während der Score Alex Gs (im Einklang damit) die Geschehnisse melancholisch-unaufdringlich musikalisch untermalt. Über die "Challenge" (bspw. über die "Mythologie" dahinter) erfährt man an sich nicht viel – was so aber keineswegs stört, da im Prinzip ohnehin nebensächlich – und wer auf "Shocks&Thrills" aus ist, der sollte es lieber nicht einmal auf einen Versuch ankommen lassen. Unbehaglich-unheimliche Momente gibt es dafür einige – wobei ich einen speziellen (Stichwort: Tickets) im Ganzen (unabhängig seiner "Effektivität" betrachtet) aber durchaus als überflüssig-deplatziert erachte…
Fazit: Jane Schoenbrun´s "We´re all going to the World´s Fair" ist ein düster-atmosphärisches Coming-of-Age-Horror-Drama über "Online-Gefahren", Einsamkeit, "Teen Angst" und "Creepypastas" – ein ungewöhnliches, schwer zu verortendes Werk, das man sich am besten in absoluter Dunkelheit anschauen sollte und welches einem beileibe nicht sofort nach seinem Ende aus den Gedanken verschwindet…
knappe