Entstehungsdaten:
USA 2018
Regie:
A.T. White
Darsteller:
Virginia Gardner
Christina Masterson
Eric Beecroft
Trailer
THIS MIXTAPE WILL SAVE THE WORLD
Üppig an Emotionen, kreativen Ideen sowie audiovisuell beeindruckend, ist Regisseur und Drehbuchautor A.T. White´s 2018er Spielfilm-Debüt "Starfisch" ein wahrhaft individuelles Werk: Ein stimmungsvoller, unüberhastet-ruhiger Low-Budget-"Indie", welcher sich keinem konkreten Genre und Stil zuordnen lässt sowie eine allegorische Geschichte über Kummer und Trauer-Bewältigung in Gestalt eines reflexiven Dramas mit markanten Science-Fiction- und "Creature Horror"-Anteilen erzählt. Fürs "Mainstream-Publikum" ungeeignet, kann man durchaus von einem "Head-Scratcher" sprechen – welcher obendrein mit dem Statement Based on a true story eröffnet. Wer das angesichts des klar ins Phantastische reichenden Ganzen kurzerhand als "Blödsinn" abtut, der irrt sich allerdings (in einem bestimmten Maße) – denn White hat die Vorlage verfasst, nachdem sein bester Freund an Krebs verstorben war und er selbst inmitten einer Scheidung steckte. Damals hatte er sich für zwei Wochen allein in eine Hütte in den Bergen Colorados zurückgezogen und den ersten Skript-Entwurf geschrieben – nur stellte sich der als "zu depressiv" sowie im Prinzip unverfilmbar heraus, so dass er ihn nach rund einem Jahr (als es ihm seelisch wieder besser ging) erneut zu überarbeiten begann; hin zu einem more cinematic Ergebnis (bzw. something a little more traditional – in some ways at least, seiner Aussage nach)…
Einige Zeit schon war Aubrey (Virginia Gardner) nicht mehr in ihrem Heimatstädtchen – in welches sie nun aber (widerwillig) anlässlich des tragischen Todes ihrer Freundin Grace (Christina Masterson) zurückkehrt. In Gedanken versunken, vermeidet sie es, bei der Beerdigung und dem anknüpfenden Zusammenkommen mehr als unbedingt nötig mit jemandem zu reden – wonach sie zu Grace´s Wohnung fährt, sich Zugang verschafft, sich alles melancholisch-interessiert anschaut sowie die hinterbliebenen Haustiere füttert. Spät am Abend schläft sie dort dann ein – und als sie am nächsten Morgen erwacht, ist draußen Schnee gefallen sowie kein Mensch zu sehen oder zu hören. Vor die Tür tretend, wird sie plötzlich von einer Kreatur angegriffen – worauf sie gerade noch ins Innere zurückflüchten kann sowie von einem Mann via Walkie-Talkie kontaktiert wird, der ihr Anleitungen übermittelt, wie sie das Wesen zu vertreiben vermag, sowie ihr überdies erklärt, dass in der Nacht wohl ein "Portal" zu einer anderen Welt oder Dimension geöffnet wurde. Auf der Basis seiner Angabe, Grace hätte wohl ein in mehrere Teile gesplittetes Signal entdeckt, das damit in Zusammenhang stehen würde und mit dem man diesen "Übergang" eventuell wieder schließen könnte, gelangt Aubrey infolge dessen zu der Erkenntnis, dass sich die betreffenden Aufnahmen auf insgesamt sieben Mixtapes befinden, welche Grace erstellt sowie an verschiedenen Orten in der Umgebung hinterlegt hat…
Antworten auf beim Zuschauer erkeimende Fragen gibt "Starfish" erst nach und nach preis – und das auch nicht allumfassend: Vieles bleibt für Interpretationen offen – wovon das Ende übrigens nicht ausgenommen ist. Einen Eindruck der Person, die Grace war, erhalten wir vorrangig anhand ihrer Wohnung. Aubrey erkundet sie bar jeglicher Eile: Für sich – da sie nachempfinden will, wie Grace so gelebt hat, seit sie sich zuletzt begegnet sind – sowie fürs Publikum, welches auf diese Weise auf den "entschleunigten", detailreichen Entfaltungsstil des Films eingestimmt wird. Die Einrichtung mutet "unmodern-rustikal", nichtsdestotrotz "charmant-gemütlich" an – mit einer Menge Holz, einem altmodischen Telefon und TV-Gerät – dazu noch Fotos und Bücher, ein einem einen Blick ins Schlafzimmer eines Nachbarn gewährendes Teleskop, "Kleinkram" (á la Deko, eine Kinoticket-Sammlung etc.) sowie ein Aquarium mit kleinen Quallen und ein Terrarium mit einer Schildkröte sowie einer gebundenen Ausgabe von "Moby Dick" darin. Es sind aber vor allem solche Dinge wie Geschirr in der Spüle oder die Einbuchtung auf der Oberseite eines Kissens, wo Grace sonst mit ihrem Kopf lag, die Aubrey registriert und davon zeugen, dass hier kürzlich noch jemand daheim war, der nun (mit einem Mal) nicht mehr da ist. Es ist evident, dass sie einander sehr wichtig waren – sowie dass etwas vorgefallen sein muss, das zu einem "Auseinanderdriften" oder gar "Bruch" zwischen ihnen geführt hatte…
Am nächsten Tag ist das Städtchen schneebedeckt und sind um sie herum Sachen geschehen, die sie im Schlaf irgendwie nicht mitbekommen hat. Sie begegnet keiner Menschenseele, als sie die Gegend erkundet – stattdessen sieht sie einzelne beschädigte Gebäude, Trümmer unbekannten Ursprungs sowie ein paar Blutspuren. Unabhängig dieser beunruhigenden Feststellungen herrscht geradezu friedliche Stille – bis sie auf einmal eine aggressive, Angst-einflößende Kreatur erspäht, welche sogleich auf sie losgeht und sie zurück bis in das Lokal verfolgt, über dem Grace wohnte. Mit Hilfe der Anweisungen eines Fremden per Funk wird die Gefahr (zumindest für den Moment) gebannt – und er ist es dann auch, der ihr gewisse Infos zu dem liefern kann, was sich da scheinbar am ereignen ist. Fortan verschanzt sich Aubrey und bemüht sich darum, das alles zu verarbeiten: Den Verlust ihrer Freundin, ihre verwobene Vergangenheit sowie die offenbar "apokalyptische" Situation, in der sie nun steckt. Sie kümmert sich um die Tiere, schläft, isst und masturbiert ebenfalls gar mal. Als ihr die Vorräte ausgehen, schleicht sie sich durch die Straßen in einen noch gut bestückten Laden – stets der Bedrohung durch die Wesen ausgesetzt, von denen es unterschiedliche gibt: Die ungefähr Personen-großen erinnern an solche, wie man sie aus den "Resident Evil"- und "Silent Hill"-Franchises kennt – während einem die riesigen unweigerlich ähnliche aus Gareth Edwards' "Monsters" oder Frank Darabont´s "the Mist" in den Sinn rufen…
Die Sequenzen, in denen Aubrey mit den Kreaturen in Kontakt gerät, hat White allesamt "packend" arrangiert – allerdings wird "Starfish" über diese punktuellen, im Gegensatz zum Rest eher "konventionellen" Passagen hinaus nie zu einem typisch-gängigen Survival-Horror-Streifen. Selbst ohne dem potentiellen "Ende der Welt" und ihrer isolierten Lage ist Aubrey´s Einstellung eine ziemlich nihilistische: "I wonder if the world still exists if I choose to ignore it", äußert sie bereits früh. Sie möchte allein (für sich) trauern – ohne Ablenkungen oder Konversationen. Inmitten Grace´s Besitztum vollzieht sich dieser Prozess: Gefühle sowie Gedanken an Getanes, Widerfahrenes sowie Angelegenheiten, die man bereut oder noch gern besprochen hätte, werden aufgewühlt. Flashbacks führen Aubrey u.a. an einen nächtlichen Strand zurück, an dem sie sich mit jemandem traf – und in Albträumen sieht sie ihren Ex Edward (Eric Beecroft); allerdings mit einem garstig-mächtigen Loch im Schädel, wo eigentlich sein Gesicht wäre (so als sei es eingeschlagen oder weggeschossen worden). Sie war wohl untreu – und irgendwie gab es da eine Verbindung zu Grace. Man ahnt, dass Aubrey nicht lange danach fortgezogen war. Was immer dort passiert sein mag – für Grace blieb sie dennoch überdauernd wichtig: Das sieht man an den Bildern in ihrer Wohnung, berichtet eine Dame bei der Beerdigung und ist natürlich auch der Grund dafür, dass sie ihr die Tapes hinterlassen hat…
Die Aussicht darauf, mit dem kompletten Signal das "Portal" erneut schließen zu können, verleiht Aubrey eine Aufgabe und ein Ziel – wodurch sie ihre "Passivität" überwindet und sich aktiv auf die Suche nach den Kassetten begibt; körperlich sowie auf einer "metaphysischen Ebene". Die Orte am Ende der jeweiligen Hinweise sind ihr von damals vertraut, als sie und Grace noch unzählige Stunden gemeinsam verbrachten – das Anhören der Musik auf den Bändern löst bei ihr spezielle Emotionen sowie ein "Schweifen ihres Bewusstseins" aus: Sie "verliert sich" sozusagen in ihr und findet sich im Zuge dessen regelmäßig in neuen Umgebungen wieder – sei es in einer Wüsten-Landschaft, als sie "die Vierte Wand durchbricht" oder gar Teil einer animierten Sequenz wird, welche von "Tezuka Productions" ("Astro Boy") angefertigt wurde. Während Aubrey u.a. gemachte Fehler, verpasste Chancen, verlorenes Glück sowie ihre eigene "Unvollkommenheit" aufarbeitet – sich ihren "inneren Dämonen" stellt – durchlebt sie "die fünf Phasen der Trauer". Hinsichtlich Fokus, Stil und Tempo variierend, ist Grace ihr dabei aber immerzu nahe. Die gewählte Musik trägt merklich zur "Atmosphäre" des Werks bei – sowohl der feine Score, welchen White himself innerhalb von nur acht Tagen komponiert, aufgenommen und gemixt hat, als auch die lizenzierten Songs internationaler Künstler und Bands á la WHY?, The Notwist, Jeniferver, 65daysofstatic, Seafood, Grandaddy und Sigur Rós…
Der Übergang zwischen einzelnen Geschehnissen und Szenen vollzieht sich ab und an so abrupt und "holprig" wie bei so manchen selbst arrangierten Mixtapes – vom Inhaltlichen her hat man mitunter denselben Eindruck. Generell lagen White´s Intentionen aber ohnehin woanders, als das Geschaffene einem "abgerundet-klassischen Schema" entsprechen zu lassen: Wesentlich wichtiger (nicht bloß im Einklang mit der just genutzten Analogie) ist eine Verwirklichung des erhofften "Effekts" bzw. des gewünschten Ergebnisses via der Gesamtheit aller Elemente – was ihm im Vorliegenden zweifellos gelungen ist. Nahaufnahmen vermitteln "Intimität" sowie Anflüge bedrückender Beklemmung, denen sich Aubrey ausgesetzt sieht – "Distance Shots" ihre Isolation im Rahmen der sich entfaltenden Situation. Kombiniert aus verschiedenen Faktoren (unter ihnen Editing, Set-Design und Farbgebung), weist "Starfish" eine inspiriert-schöne, bisweilen geradezu "poetisch" anmutende Bildersprache auf. Cinematographer Alberto Bañares ("72%") gebührt auf jeden Fall Lob – ebenso wie den für die ansehnlichen CGIs Verantwortlichen. Und dann wäre da noch Virginia Gardner ("Tell me how I die") in der Hauptrolle: Die meiste Zeit allein "on Screen" agierend, gibt sie eine überzeugende, häufig dialoglose Performance zum Besten – bietet all Aubrey´s Empfindungen glaubwürdig dar sowie dem Publikum eine dienlich-ergiebige "Anknüpf-Person"; ihrer "distanziert-bekümmerten Art" zum Trotz…
White´s Film wartet mit diversen Metaphern und zu entdeckenden Details auf: Einige davon sind eindeutig – wie z.B. Aubrey´s Wolfsfell-Mantel; komplett mit zugehörigem Kopfteil (Stichwort: Lone Wolf) – wogegen andere durchaus Aufmerksamkeit erfordern (u.a. im Zusammenhang mit Edward). Nicht selten kommt "Cosmic Horror" abstrakt daher – eine thematische Ähnlichkeit zu Alex Garland´s "Annihilation" ist erkennbar. Primär geht es um die Bewältigung von Verlusten und Selbstvorwürfen – hin zu einer "zustimmenden Akzeptanz" (wiederum nach Elisabeth Kübler-Ross). Grundsätzlich gelten Seesterne als Symbole der "Ganzheitlichkeit", da sie fehlende oder verletzte Arme, Glieder, Stacheln und sogar Eingeweide nachwachsen lassen können und daher für Selbst-Versorgung, Regeneration und "Erneuerung" stehen. Musik indes vermag einem unter Umständen "seelisch" zu helfen – überdies kann man Code in ihr verbergen. Auf den sieben Kassetten hat Grace einzelne Buchstaben (plus ein Zeichen) aufgeklebt: for / gi / ve / + / fo / rg / et. Als Aubrey sie beisammen hat, gedenkt sie jene vereint von einem Radio-Sender aus abzuspielen; sie zu übertragen – in der Hoffnung, damit "alles wieder zu richten". Doch was, wenn sie sich in dieser Annahme irrt? Das Ende ist schließlich "für Interpretationen offen" – in Bezug auf sie sowie aufs Schicksal der Menschheit – und somit ein passender Ausklang für ein solch interessantes, sehenswertes, obgleich keineswegs perfektes Werk…
starke