Entstehungsdaten:
USA-Mexiko 2021
Regie:
Scott Cooper
Darsteller:
Keri Russell
Jeremy T. Thomas
Jesse Plemons
Scott Haze
Trailer
"Antlers" ist ein dramatischer Horror-Film, der irgendwie nie die Aufmerksamkeit erhalten hat, die er eigentlich verdient. Beileibe kein "übersehenes Meisterwerk" oder etwas in der Art, bietet er einem wohl aber eine talentierte Cast&Crew und erzählt eine bewegend-düstere Geschichte, welche diverse Elemente klassischer Genrekost mit realen Missständen in Amerika ebenso wie mit bestimmter mythischer Folklore aus der indigenen Anishinabe-Kultur verbindet. Auf der Short-Story "the Quiet Boy" von Nick Antosca (TV´s "Brand New Cherry Flavor") basierend, u.a. seitens Guillermo del Toro ("Pan´s Labyrinth") und David S. Goyer ("the Dark Knight") produziert sowie von dem ehemaligen Schauspieler Scott Cooper in Szene gesetzt, der mit "Crazy Heart", "Out of the Furnace", "Black Mass" und "Hostiles" in den Jahren zuvor erfolgreich ins Regie-Fach übergewechselt war, fanden die Dreharbeiten Ende 2018 statt – wonach die Covid-19-Pandemie jedoch dazu führte, dass man den Kino-Start bis in den Oktober 2021 hinein verschob, am Ende dessen der Streifen (bei einem Budget von knapp 17 Millionen Dollar) weltweit insgesamt nur rund $18.867.659,- zu erwirtschaften vermochte…
Eröffnet wird mit einigen Worten in der Ojibwe-Sprache sowie in Gestalt des Pre-Teens Lucas (Jeremy T. Thomas), wie dieser in dem Pick-up seines Vaters Frank (Scott Haze) auf eben jenen wartet, der zusammen mit einem anderen Mann (Michael Eklund) gerade in einem stillgelegten Minenschacht nahebei Drogen herstellt. Plötzlich beginnen die beiden unter Tage merkwürdige Laute zu hören: Mit einer Pistole bewaffnet gehen sie der Sache nach – nur um plötzlich (ein paar Meter tiefer im finsteren Schacht) attackiert zu werden; anscheinend von einem Tier, welches das Publikum aber nicht zu Gesicht bekommt. Kurz darauf gibt es dann die Anfangs-Credits, einen gewissen Zeitsprung voran sowie einige Aufnahmen der u.a. von Bergen, Seen, Wäldern und dunklen Wolken geprägten Gegend, in der sich die Geschehnisse entfalten. Dorthin – in ihre nach dem Niedergang der lokalen Industrie von Arbeitslosigkeit und Armut (und damit verknüpft: Alkohol und Rauschmittel) geplagten Heimatstadt – ist die Lehrerin Julia (Keri Russell) unlängst wieder zurückgezogen, nachdem sie in ihrer Jugend vor ihrem übergriffigen, inzwischen jedoch verstorbenen Vater (Andy Thompson) nach Kalifornien geflohen war…
Rasch fällt ihr Lucas in ihrer neuen zu unterrichtenden Klasse auf – welcher schweigsam ist, kränklich-abgemagert ausschaut sowie verstörende Zeichnungen anfertigt. Spätestens als er einen zu letzteren passenden Vortrag (zum Thema Fabeln) hält, ist sie sich sicher, dass er vernachlässigt, wenn nicht sogar misshandelt oder missbraucht wird. Von der Rektorin (Amy Madigan) erfährt sie, dass Frank allein-erziehend sowie im örtlichen Drogen-Geschäft verstrickt ist – er sich bislang aber immerzu annehmbar um seine zwei Söhne gekümmert hatte. Als Ellen im Anschluss an das Gespräch mit Julia bei Lucas daheim mal nach dem Rechten sehen will, findet sie eine katastrophale Wohnsituation vor und löst via ihres gut gemeinten Engagements unabsichtlich eine fatale Ereigniskette aus, indem sie im Innern des Hauses eine verriegelte Tür öffnet, hinter der sie Lucas' jüngeren Bruder Aiden (Sawyer Jones) vermutet – unwissend, dass Frank in der Mine "von einer uralten Macht infiziert" wurde; was ihm infolge dessen bewusst geworden war, weshalb er sich fortan auf dem Dachboden einsperren ließ, um auf diesem Wege in einem geschwächten, für andere weniger gefährlichen Zustand zu verbleiben…
Bevor "Antlers" konkret zu einem "Creature Feature" wird, stehen drei miteinander verwobene Aspekte des Ganzen prominent im Fokus: Die verzweigten Bürden, welche jeweils schwer auf Lucas und Julia einwirken, sowie das soziale und wirtschaftliche Milieu der betreffenden Stadt in Oregon. Mit der Abkehr vom Bergbau fielen die zugehörigen Jobs weg, die Zahl der Verschuldeten und Suchtkranken stieg an und nicht nur die seither verlassenen Industrie-Anlagen verwittern in dem nassfeuchten Klima. Viele greifen da zu günstigem Schnaps, Opioiden oder sonstigen Betäubungsmitteln – woran andere wiederum per Herstellen und/oder Dealen Geld zu verdienen versuchen. Aus Angst vor den Behörden werden Kids mitunter nicht einmal mehr zur Schule geschickt, damit die Lehrer nicht den Geruch der beim "Kochen" der Amphetamine verwendeten Chemikalien an ihnen bemerken. Unkundig, was tatsächlich mit ihm ist, hielt man auch Aiden für ein solches "Homeschooling-Kind", da Frank´s "Aktivitäten" kein ernsthaftes Geheimnis markieren: Ein Versagen u.a. des Jugendamts. Das Wissen, dass es sich dabei um reale Zustände handelt, trägt zusätzlich zur grundlegenden trostlos-unbehaglichen Atmosphäre des Films bei…
Früher – nach dem Tod ihrer Mutter – waren Julia und ihr Bruder Paul zu Missbrauchs-Opfern ihres Vaters geworden – bis es ihr gelang, hunderte Meilen entfernt "ein neues Leben" anzustreben. Da sie nichts dergleichen mitbekommen hatte, war sie davon ausgegangen, dass Paul nichts angetan wurde – und im Gegenzug hatte es ihn umso stärker verletzt, dass sie ihn derart im Stich bzw. zurückließ. Inzwischen hat er (Jesse Plemons) es beruflich zum Sheriff gebracht, wohnt noch immer im Elternhaus und hat sie nach dem Tod des Vaters bei sich aufgenommen. Schuldgefühle und Unausgesprochenes belasten ihr Verhältnis zueinander – die Spuren des Erlittenen hinter ihren nach außen hin (z.B. im Rahmen ihrer Jobs) gebotenen "Fassaden" sind unverheilt und tief. Julia´s Bereitschaft, sich in dieser Form mit dem damals Geschehenen zu beschäftigen, schwört aber auch schmerzhafte Erinnerungen herauf – und entwickelt sich (gebündelt mit den übrigen aktuellen Ereignissen) überdies zu einem "Standhaftigkeits-Test" für die eine Weile nun schon trockene Alkoholikerin. Lucas zu helfen – bei dem sie etwaige "Warnsignale" registriert – wird zu einem Bestandteil ihrer eigenen Trauma-Bewältigung…
Entgegen Julia´s Befürchtungen ist es an sich nicht wirklich Lucas' Vater, von dem eine Gefahr ausgeht. Bis zu dem Vorfall in der Mine war jener durchaus passabel für ihn und seinen Bruder dagewesen – war Bemühen von seiner Seite aus erkennbar, sie innerhalb seiner Möglichkeiten (unabhängig seiner illegalen Machenschaften) großzuziehen. Selbst als "etwas" von ihm Besitz ergriff, gedachte er sie vor dem zu schützen, was in ihm zunehmend stärker wurde. Bei Aiden scheiterte dieses Bestreben leider: Die "Infektion" ging auch auf ihn über. Also oblag es allein Lucas, sie eingeschlossen zu bewahren und zumindest notdürftig mit Essen zu versorgen. Ohne Geld-Reserven, nutzt er ausgelegte Schlingen, um Kleintiere zu fangen, hält nach Kadavern Ausschau oder erschlägt in einer Szene ein Stinktier mit einem Stein, welches er ihnen sodann roh reinreicht. Sollten sie mal zu heftig flehen, wimmern oder schreien, setzt er sich gelegentlich Kopfhörer auf, um das besser ertragen zu können. Diese Verantwortung, Entscheidungen und Taten zehren ihn physisch wie seelisch aus. Das Grauen verarbeitet er in seinen Bildern – die Schule dient ihm quasi als "ablenkenden Rest der bisherigen Normalität"…
"Antlers" bedient sich der indianischen "Wendigo"-Legende – in deren Zentrum ein rachsüchtiger Geist steht, der Menschen vereinnahmt, sie zu Kannibalen werden lässt und in den Wahnsinn treibt. Erst als Ellen "Frank" genügend Nahrung bietet, vollendet das die begonnene Metamorphose hin zu einer großen, mörderischen, zum Teil skelettierten sowie noch einzelne humanoide Merkmale aufweisenden Hirsch-ähnlichen Kreatur. Im Vorhinein waren die schlimmsten Einsätze für Paul als Sheriff Zwangsräumungen, Begegnungen mit Süchtigen sowie das Verhaften von Dealern – doch nun hat er es mit einer Tötungsserie mit grässlich zugerichteten (seitens der F/X-Künstler hochwertig-detailliert arrangierten) Leichen zu tun, beim Anblick der zerrissenen und abgenagten Überreste man leicht denken könnte, ein hungriges Wolfsrudel wäre über die Unglückseligen hergefallen. Über weite Strecken hinweg bekommt man das Furcht-einflößende, groteske Geschöpf nicht konkret zu sehen: Stattdessen wurde in der Beziehung eine (mustergültig-bewährte) Kombination aus Reaction-Shots, Andeutungen und partielle Preisgaben gewählt – unter ihnen bspw. blutige Aufspießungen durch das Titel-gebende Geweih…
Punktuelle wohlplatzierte Jump-Scares gibt es ebenfalls zu verzeichnen – doch an der Erzeugung eines zügigen Tempos war Cooper scheinbar nicht sonderlich sowie an der von Suspense nur eingeschränkt interessiert: Die vorhandenen Charaktere, Stimmungen, Analogien und Metapher waren ihm da offenkundig wichtiger. Manches davon ist dennoch "eher simpel" geartet – siehe dazu nur mal die Parallelen zwischen Julia und Lucas (hinsichtlich der Erlebnisse in ihrer jeweiligen Vergangenheit) oder Julia´s primär via ihres unschlüssig-verlockten Beäugens der Schnaps-Flaschen im Regal eines örtlichen Ladens mehrfach veranschaulichter Kampf dagegen, erneut rückfällig zu werden. Die in die Story integrierten häuslichen und ökonomischen Missstände in jener ländlichen Region werden derweil zwar aufgezeigt, schwören allerdings keinen irgendwie "exploitativen" Eindruck herauf. In diesem Sinne wird auch nicht weiter vertieft, was Julia´s und Paul´s Vater ihnen angetan hat: Flüchtige Flashbacks, gepaart mit Momenten, in denen sie gewisses bewusst nicht aussprechen, sowie ihrem Verhalten im Jetzt (untereinander sowie im Umgang mit Lucas und seiner Lage) reichen dahingehend völlig aus…
Was sie individuell alles durchmachen mussten, können Julia und Paul bloß erahnen – und genau diese Unkenntnis über das Ausmaß des in ihrer Kindheit Durchlittenen markiert einen zentralen Faktor ihrer fortbestehenden Unsicherheit und Distanz. Keri Russell ("Cocaine Bear") und Jesse Plemons ("Jungle Cruise") portraitieren ihre Rollen beidesamt überzeugend – was man so eigentlich über jeden Mitwirkenden sagen kann. Aus rund 900 Knaben war der 2006 geborene, bis dato noch recht unerfahrene Jeremy T. Thomas ("One last Hit") von Cooper auserwählt worden, um Lucas zu spielen: Eine einträgliche Entscheidung – denn seine Performance (sein komplettes Auftreten) transportiert die schiere Masse des auf den Jungen emotional und psychisch lastenden "Gewichts" perfekt. Durchweg ordentlich agierend, sind in Nebenparts überdies Scott Haze ("the Institute"), Sawyer Jones ("Divinity"), Amy Madigan ("the Hunt"), Rory Cochrane ("Passion Play"), Michael Eklund ("Poker Night") und Graham Greene ("Wounded") mit von der Partie – wobei bei letzterem jedoch anzumerken ist, dass ihm im Vorliegenden u.a. die klischeehaft-undankbare Aufgabe gebührt, im Schluss-Drittel noch spezielle "Erklärbär-Infos" beizusteuern…
Erwartungsgemäß liefert einem das Finale die Kreatur schließlich "in voller Pracht" – welche die Profis bei "Legacy Effects" ("Finch", "Underwater", "Pacific Rim" etc.) in Gestalt einer Fusion aus Practical- und CGI-Elementen kreierten. Darauf, dass eben jene Frank´s Gesichtshaut quasi wie eine Art Maske trägt, hätte ich getrost verzichten können – doch ansonsten war ich mit dem Gebotenen durchaus zufrieden. Vorrangig in und um Hope, British Columbia gedreht, hat Cinematographer Florian Hoffmeister ("Tár") für eine feine, zum "Ton" des Werks passende Bebilderung gesorgt, der Score Javier Navarretes ("Byzantium") weiß zu gefallen und Cooper´s Regie ist so kompetent wie eh und je. Mit "Antlers" hat er einen ernsten, düster-atmosphärischen "Slow Burn" vorgelegt, der mitunter etwas zu vertraut-konventionell beschaffene mythische Monster-Horror-Genrekost mit bedrückend-realen Lebenssituationen und Schicksalen verbindet, die dem Ganzen eine bewegende "emotionale Kraft" verleihen – z.B. als Lucas nach all den Bürden und Bemühungen irgendwann damit konfrontiert wird, akzeptieren zu müssen, dass sein Vater und Bruder nie wieder "wie früher" sein werden; sie nicht mehr zu retten sind…
starke