Entstehungsdaten:
Australien 2023
Regie:
John Curran
Darsteller:
Luke Bracey
Toby Jones
Trailer
"Mercy Road" ist ein düsterer Mystery-Psycho-Thriller aus dem Jahr 2023, der zwei augenfällige Besonderheiten zu bieten hat: Zum einen entfaltet er sich komplett in und um einem Fahrzeug herum – und das mit nur einem einzigen (schwer gestressten) Protagonisten unentwegt im Fokus stehend; vergleichbar mit Tom Hardy damals, eine glatte Dekade zuvor, in Steven Knight´s "Locke" – zum anderen markiert der Streifen den ersten virtuell produzierten Spielfilm Australiens, denn nahezu alle Aufnahmen entstanden im Juli 2021 (unter Einhaltung strenger Covid-19-Auflagen) in den Sydneyer "TDC Studios" auf einer eigens dafür u.a. mit großen LED-Videowänden bestückten Soundstage. Darüber hinaus lässt sich außerdem noch anführen, dass das Werk von seiner kompletten Beschaffenheit her – also inhaltlich ebenso wie stilistisch – etwas Ungewohnt-Neues für Regisseur und Drehbuch-Co-Autor John Curran war, welcher sich im Laufe seiner durchaus ansehnlichen Karriere im Grunde ausschließlich auf dem Gebiet ruhigerer dramatischer Stoffe einen Namen gemacht hatte – siehe dazu bspw. "We don´t live here anymore", "the Painted Veil", "Chappaquiddick" und "Tracks"…
Eröffnet wird mit Tom (Luke Bracey), wie dieser (aufgewühlt und blutbespritzt) nach Sonnenuntergang in seinem Pickup von einem Haus davonbraust, in dem seine Tochter Ruby (Martha Kate Morgan), seine Ex-Frau Terri (Alex Malone) und deren aktueller Lebensgefährte Shane wohnen – und in welchem er just zuvor impulsiv eine brutale Tat begangen hat. Verzweifelt versucht er, Ruby zu erreichen – allerdings ohne Erfolg. In der vorherigen Nacht hatte sie ihm eine Nachricht hinterlassen, dass sie unbedingt mit ihm reden wollen würde – doch hatte er jene mehrere Stunden lang nicht abgehört. Seitens einer weiteren – dieses Mal von ihrer Schule – weiß er, dass sie heute nicht zum Unterricht erschienen war – weswegen er nun ihre beste Freundin Sara (Josselin Walsh) anruft: Zwar ist auch ihr nicht bekannt, wo sie gerade stecken könnte – doch verweist sie ihn an Ruby´s Boyfriend Dario (Ezekiel Sciacca), von dem Tom bis dato noch überhaupt nichts wusste. Das Telefonat mit ihm offeriert dem Publikum nun das nächste "Informations-Puzzleteil" dieses noch sehr diffusen Ganzen – nämlich dass es ein von Ruby entdecktes Foto war, das diese eskalierende Ereigniskette ausgelöst hatte…
Unterdessen bemühen sich verschiedene Personen darum, mit Tom in Kontakt zu treten – unter ihnen Terri, welche nach dem Auffinden ihres getöteten Partners gleichermaßen angstvoll wie aufgebracht der Ansicht ist, Tom hätte Ruby entführt, sowie eine Unterhändlerin (Susie Porter) der emsig nach ihm fahndenden Cops. Plötzlich aber taucht eine unterdrückte Nummer immer häufiger auf seinem Display auf – und als Tom dann doch mal rangeht, stellt sich ihm derjenige bloß als the Associate (Toby Jones) vor und gibt an, von gewissen Leuten hinzugezogen worden zu sein, um die entstandene Situation in Ordnung zu bringen. Mit seinem Handeln habe Tom eine geschäftliche Sache zwischen ihm und dem Verstorbenen zerschlagen: Deshalb hätte er Ruby verschleppt. Es läge jetzt an ihm, die Verantwortung der Konsequenzen zu tragen und für ihn ein paar Dinge zu erledigen – ansonsten würde die Zwölfjährige nach Ablauf einer Stunde sterben. Damit konfrontiert, muss Tom nun abwägen, inwieweit er dem Unbekannten trauen kann und wie weit er zu gehen bereit ist, um seine Tochter zu retten – während die Polizei stetig näher rückt sowie die Uhr erbarmungslos heruntertickt…
Frei von Kontext, schmeißt "Mercy Road" den Zuschauer unmittelbar ins Geschehen hinein – worauf man bis zum Einsetzen des Abspanns nie Tom´s direkte Nähe verlässt und man in der Hinsicht somit stark auf die Preisgaben angewiesen ist, die einem der Film häppchenweise via seine Dialoge darreicht. Aufs Einbinden von Flashbacks, "Exposition-Dumps" oder irgendwelcher Video-Aufzeichnungen wurde verzichtet und eine Menge wird bloß angedeutet – insbesondere im Bereich bestimmter Machenschaften und Connections im Zusammenhang mit Shane. Mitunter mag das leicht unbefriedigend anmuten – zumal Curran bei seinen bisherigen Projekten sonst meist achtbaren Wert auf vernünftig ausgearbeitete Geschichten und Charaktere gelegt hat – doch passt das im Vorliegenden durchaus zu der bewusst gewählten und forcierten hektisch-eingeschränkten rein-in-diesem-Moment-Perspektive des Werks. Extremer Stress und Druck lasten auf Tom: Er durchlebt ein absolutes Albtraum-Szenario – speziell für einen Vater. Allein der Gedanke daran, was Ruby durchzustehen hatte sowie gegenwärtig noch immer muss…
Manches ist unumkehrbar – doch ihren Tod kann nur er in dieser Lage verhindern; etwa weil es schlichtweg zu lange dauern würde, den Cops alles zu erklären. Glauben würden sie ihm ohnehin nicht schnell genug – und das nicht nur, da der Associate das sich ihnen gebotene Bild inzwischen (u.a. per Einspielen eines genau zu diesem Zweck aufgenommenen Audio-Clips) gezielt manipuliert hat. Angesichts der gewichtigen Einwirkungen auf ihn – auf sein Gemüt – sind die Chancen, dass ihn eine polizeiliche Verhandlerin beruhigen sowie dazu bringen kann, sich zu stellen, denkbar gering. Nach und nach fördern diverse Telefonate und Voicemails die Backstory sowie Erkenntnisse über Tom´s Vergangenheit (samt seines Umgangs mit bzw. Verhältnisses zu Ruby und Terri seit dem Zerbrechen der Familie) zutage: Die Ehe scheiterte damals primär an seinem überhöhten Alkohol-Konsum sowie seinen damit verbundenen Launen und Jobwechseln. Zumindest ist er nun schon etliche Monate trocken und fest bei einer Firma beschäftigt – doch hatte Terri´s Eingehen einer neuen Beziehung (parallel zu seinen Fortschritten) nur weiter zu ihrem Streit-geprägten kommunikativen Miteinander beigetragen…
Tom war also beileibe nicht der beste Ehemann und Vater. Obgleich Ruby ihm wahnsinnig viel bedeutet, weiß er bspw. nicht von einigen ihrer Schwierigkeiten in der Schule sowie dass sie einen Freund hat. Dario ist sich darüber gewahr, dass Tom es mit Sicherheit nicht so prickelnd findet, dass er und Ruby ein Pärchen sind – er ist 13, sie 12 – allerdings sorgt er sich ernsthaft um sie, da er sie nicht erreichen kann und das schreckliche von ihr Entdeckte selbst gesehen hat; weshalb er sich so gut er kann darum bemüht, Tom bei der Suche nach ihr zu unterstützen. Von Beginn an emotional arg angespannt, führt Tom´s Wut, Erschüttertheit und Verzweiflung dazu, dass er über weite Strecken hinweg entweder schreit, flucht, fleht oder dies und jenes (ein wenig in sich gekehrter) grübelnd Revue passieren lässt. Ergänzt um Frustration, Paranoia und Bestürzung, ist es aufgrund seiner manischen Art schwer, eine echte Connection zu ihm als Person herzustellen. Luke Bracey ("Lucky Day") gebührt zwar Lob für seine energische Performance – bloß wünscht man sich bisweilen, er hätte mehr Wert auf das Einbauen zusätzlicher Nuancen in sein Spiel gelegt, anstatt wie des Öfteren nahe einer Koffein-Überdosis zu wirken…
Der mysteriöse Anrufer, der (seinen Angaben nach) offenbar für eine über umfangreiche Ressourcen verfügende Gruppierung tätig ist und Ruby in seiner Gewalt hat, wird von Toby Jones ("Berberian Sound Studio") gesprochen – und das überzeugend gefühlsfrei-sachlich-bedrohlich; ähnlich wie Kiefer Sutherland in Joel Schumacher´s "Phone Booth". Neben meinem Empfinden, dass die ihm vom Skript vorgegebenen Dialogzeilen gern etwas besser hätten sein können, hat es mich ab und an zudem unvorteilhaft beschäftigt, wie der Associate das alles denn eigentlich wohl so technisch hinbekommt – in erster Linie, Tom derart zu überwachen. Sitzt er dabei in einem Auto oder Hotelzimmer? Selbstverständlich darf neben Tom kein anderer von seiner Existenz erfahren – schließlich manövriert er jenen ja gedeihlich in eine Position, in der die Behörden ihn im Hinblick auf Ruby noch sicherer für schuldig halten. Tom´s Bestreben ist es, sie zu retten. Dass sie dann bestätigen können würde, dass er es nicht war, der sie entführt hat, ist ihm zweitrangig. Überdies geht es um Reue und Wiedergutmachung – und natürlich ist Mercy Road auch nicht bloß eine reine Orts-Bezeichnung…
Dadurch, dass der Film auf einem "virtuellen Set" (mit LED-Videowalls, genutzten Echtzeit-Compositing-Techniken sowie mit fast allem außer Bracey und dem Pickup-Truck digital hinzuaddiert) entstand, besitzt er einen stilistischen Look, der ein Mini-Stück weit an Robert Rodriguez' "Sin City" erinnert – was das Schrift-Design der Titel-Einblendung sowie Cinematographer Ross Giardina´s ("Gold") zig Nahaufnahmen und "wilde Winkel" aufweisende Kamera-Arbeit ebenso bestärken. Die Dunkelheiß draußen – sowie dass es obendrein mal regnet und nebelig ist – trägt mit zum Aufbau einer surrealen Atmosphäre bei, die mich in der Hinsicht sporadisch an Thomas Jane´s "Dark Country" denken ließ. Dazu noch die klaustrophobische Begrenztheit der Fahrerkabine, seine aufgewühlte Verfassung, die Annahmen der Cops sowie die Beschaffenheit des Associate-Parts. Kann man alles glauben, was Tom so von sich gibt? Sind einzelne Widersprüche (wie im Rahmen eines Telefonats mit Sara) dem zuzurechnen, was er gerade zermürbend-strapaziöses durchlebt? Des Weiteren steigert Curran den Grad an Ambiguität zum Ende hin noch einmal kräftig – was "gemischte Reaktionen" beim Publikum hervorrufen dürfte…
Mit all der Hektik und den Emotionen von Anfang an (unsubtil) präsent, mangelt es dem Streifen an der ruhigen Eindringlichkeit, welche "Locke" damals so auszeichnete. Um sozusagen nie allzu lange den Fuß vom Gas zu nehmen, haben die Autoren irgendwann sogar eine (für Australien typische) Giftspinne im Wageninnern auftauchen lassen sowie einen auf Tom´s Handy-Display heruntertickenden Countdown mit eingebaut. Darüber hinaus muten die (ohne Abspann) an sich durchaus nett kurzen 81 Minuten dank gewisser "Zugaben" punktuell geringfügig "aufgeplustert" an – unter ihnen Tom´s Begegnungen mit einem Herrn (Huw Higginson) am Rande der Straße. Insgesamt verzahnen sich die vielen Fragen und Herausforderungen einfach nicht optimal mit bestimmten Aspekten in den Bereichen Symbolismus und Gleichnisse zu einem zufrieden stellend komplexen Ganzen. Das Konzept ist definitiv kein schlechtes, man wird verhältnismäßig brauchbar unterhalten und hin und wieder sind einige interessante Ideen und packende Momente zu verzeichnen – doch wäre ein inhaltlich tiefschürfenderes Herangehen auf jeden Fall wünschenswerter und ergiebiger gewesen…
Fazit: Bei "Mercy Road" handelt es sich um einen keineswegs unambitionierten, übrigens von Alex Proyas mitproduzierten "Locke"-auf-Aufputschmitteln-artigen Low-Budget-Wettlauf-gegen-die-Zeit-Mystery-Psycho-Thriller mit mehr Schwächen als Stärken, der aber immerhin mit einer mir herausragend im Gedächtnis haften gebliebenen Dialogzeile aufzuwarten vermag – nämlich: "In my experience, no daughter was ever saved by a father's rage…"
eher knappe