Entstehungsdaten:
Frankreich-USA 2023
Regie:
Harmony Korine
Darsteller:
Jordi Mollà
Chanya Middleton
Joshua Tilley
Travis Scott
Trailer
Nachdem die letzten beiden Spielfilme des amerikanischen Regisseurs, Skript- und Buch-Autors, Photographen, Malers und Provokateurs Harmony Korine für seine Verhältnisse relativ weit in Richtung Mainstream tendierten – ihres Zeichens der beseelt-mehrschichtige 2012er Kult-Streifen (und erste markante "A24"-Erfolg) "Spring Breakers" sowie die übel gefloppte 2019er Stoner-Dramödie "the Beach Bum" – wandte er sich in Gestalt seines hier nun im Fokus befindenden 2023er Projekts "Aggro Dr1ft" erneut inniger dem sich nicht gerade um Faktoren wie Kommerzialität scherenden Unkonventionellen zu. Eine simple Geschichte auf untraditionelle Weise erzählend, drehte Korine diesen 80-minüter komplett mit thermografischen Infrarot-Kameras, welche er sich von der NASA besorgt hatte, und bearbeitete die Images im Zuge des ausgiebigen Post-Production-Prozesses dann u.a. mit Hilfe von AI und CGI-Effekten (ergänzend sowie digital weiter verfremdend) nach…
Wiederum sowohl in kräftigen Farben erstrahlend als auch an der Küste Floridas angesiedelt, ist dabei ein experimentelles Werk herausgekommen: Eine trippy-halluzinatorische Kreuzung aus einem Musik-Video, Konsolen-Game, einer Moderne-Kunst-Bewegtbilder-Installation und einem recht klassischen, allerdings mit verschiedenen Fantasy-Elementen angereicherten Action-Crime-Thriller. Im Zentrum des Geschehens steht der selbst-proklamierte World´s greatest Assassin Bo (Jordi Mollà), welcher in Miami ansässig ist, viel in seinem Sportwagen umherfährt, eine Familie besitzt sowie eines Tages den Auftrag eines Unterwelt-Bosses (Stet Blanchett) annimmt, für ein in Aussicht gestelltes Vermögen dessen mächtigen, im wahrsten Sinne des Wortes dämonischen Konkurrenten Toto (Joshua Tilley) zu töten. Jener hatte Bo ohnehin bereits im Blick – und so steuert alles auf ein direktes Duell der innerhalb desselben abgründig-brutalen Milieus agierenden Männer zu…
Von "Gummo" und "Julien Donkey-Boy" über "Mister Lonely" und "Trash Humpers" bis hin zu den zwei eingangs aufgeführten, auch für Kinos abseits reiner Arthouse-Venues tauglichen Veröffentlichungen: Korine´s Schaffen war schon immer speziell – doch hatte er stets etwas zu sagen; sei es z.B. über die Schattenseiten Amerikas oder gewisse Auswüchse der Promi- und/oder Popkultur (Medienkritik inklusive). "Aggro Dr1ft" ist da nicht anders. Bei seiner Premiere auf dem Venice Film Festival verließen diverse Zuschauer vorzeitig den Saal – wonach die verbliebenen am Ende eine rund 10-minütige Standing Ovation abhielten. Als Twen berichtete der 1973 geborene Korine Talkshow-Legende David Letterman einst: "I don´t see cinema on the same kind of terms or the same way that narrative movies have been made for the past hundred years (…) I wanna see images coming from all directions." Korine bedient nicht die Masse – Erwartungshaltungen sind ihm weitestgehend egal…
In Anbetracht der heutigen Ära, in der sich Videogames großer Beliebtheit erfreuen und so manch ein CGI-verseuchter Action- oder Superhelden-Flick mitunter wie ein eben solches elektronisches Spiel aussieht, will Korine die neuen, rapide voranschreitenden Technologien und Möglichkeiten (á la AI) nutzen sowie Grenzen verwischen. Dazu hat er das Multimedia-Kollektiv "EDGLRD" mitgegründet. Das vorliegende ist das erste Projekt aus jener Schmiede – die kreierte Ästhetik nennt er Gamecore. Anbei ein Auszug aus einem Interview mit der Zeitschrift "GQ" hinsichtlich dessen, was er sich auszumalen versucht hat: "What is the feeling of being inside of a game? Or even something close to a drug experience? (…) Is there something that blurs the line between reality and unreality?" Also verarbeitete er Gedanken wie diese zu einer entsprechenden Vorlage und entschied sich (statt etwa für eine "Hardcore Henry"-eske Ego-Perspektive) für eine bunte Wärmebild-Optik…
Mit Mantra-artigen Wiederholungen bestimmter Aussagen und akzentuiertem Gangster- und Coolness-Gehabe zu Hiphop- und Elektro-Klängen hatte Korine bereits "Spring Breakers" bestückt – und nun konnte er sich in Sachen Klischees sowie exploitativ-maskulinistisch-sexistisch-hedonistischer Eigenschaften gar noch konkreter an "Grand Theft Auto" und Co. orientieren. Inhaltlich bewusst simpel gestrickt – in der Beziehung an frühe Playstation-Titel erinnernd – entfaltet sich die banal-schlichte Handlung in für Miami typischen Umgebungen – bspw. in riesigen, nahe am Wasser gelegenen Prunk-Villen, an Pools, auf PS-starken Booten oder hinterm Steuer teurer Autos auf den Straßen der City. Punktuell werden einem auch mal Blicke auf Locations abseits der "schillernden Fassade" gewährt – wo sich junge Männer scheinbar gern in Form von Street-Fights miteinander messen, um sich zu beweisen oder eventuell in den Rängen irgendwelcher Banden oder Organisationen aufzusteigen…
Bevölkert wird diese von Geld, Drogen, Sex und Gewalt geprägte Welt von Killern, Dealern, Thugs, Bitches, Henchmen und einigen wenigen Anführern. Für leider mit Sicherheit nicht jeden im Publikum registrierbar die Objektifizierung von Frauen in Games wie "GTA" (oder Rap-Videos) widerspiegelnd, sind die weiblichen Rollen hier durch die Bank weg passiv, freizügig sowie den männlichen untergeordnet. Selbst Bo´s Gattin (Personal Trainerin und Big-Booty-Social-Media-Influencerin Chanya Middleton) – welche sich zuhause um die gemeinsamen Kinder kümmert, während er seinem Job nachgeht, über den keiner von ihnen die Wahrheit kennt – ist kaum mehr als eine sich nach seiner Gegenwart und körperlichen Zuneigung sehnende, regelmäßig für ihn twerkende Figur. Mehrdimensionale Charaktere oder die Ambivalenz zwischen Bo´s Privatleben und seiner Profession thematisch zu vertiefen – das gehörte nicht mit zu Korine´s Konzept bzw. Bestreben…
Der einzige Dialog in "Aggro Dr1ft", welchen man als halbwegs der Rede wert bezeichnen könnte, erklingt als Bo seinem Protegé Zion (Travis Scott) auf einer Yacht voller bewaffneter Handlanger sowie einer Schar an "Party-Chicks" in spärlichen Bikinis ein paar ihn beschäftigende Dinge (Betrachtungen und "Weisheiten") darlegt – und es dabei u.a. zum Stellen folgender Frage kommt: "Did Julius Caesar write the bible?" Der Humor in solchen Momenten ist evident – zumindest für alle, die das Gewollte verstehen. Wenn Bo in einer sehr roboterhaft-monotonen Stimme via Voiceover im Prinzip ständig bloß (bisweilen repetitiv) Floskeln und Plattitüden á la "I do it all for my children. My family is hope.", "The old world is no more.", "I was born to hell.", "God is love, love is God." oder "I am a solitary hero." von sich gibt – und das mit völligem Ernst; ohne klarem Augenzwinkern – dürften einige an der teils "anstrengenden Banalität" eben jener geradezu verzweifeln…
Laut Mollà hätten er und Korine eine Menge gelacht, als sein Text aufgenommen wurde. Die grundsätzliche "Primitivität" ist gewollt – so z.B. als Bo nach einem erledigten Auftrag zu den Leuten geht, die ihn dafür entlohnen sollen, und er ihnen gegenüber immer nur "I just want my money." wiederholt, anstatt Smalltalk zu betreiben oder anderweitig (darüber hinaus) mit ihnen zu kommunizieren. Als würde man mit ihm eine virtuelle Welt erkunden, verbringt er viel Zeit in seinem Wagen, auf Booten sowie beim Umherlaufen. Unterdessen sprechen und verhalten sich diverse Background- und Neben-Parts ähnlich wie Sims oder führen stets dieselben Bewegungen aus – so wie in Animations-Loops feststeckende NPCs. Da man von niemandem die Mimik oder Gesichtszüge richtig zu sehen vermag, wirkt jeder allein dadurch bereits unweigerlich ein Stück weit entmenschlicht – in Kombination mit ihren miesen und/oder "seichten" Persönlichkeiten ist kein Aufbau einer "Connection" zu ihnen möglich…
Mit all dem (Intention und Darbietung) konfrontiert, lassen sich die Performances schlichtweg nicht vernünftig beurteilen – auch wenn die schwache schauspielerische Leistung des Musik-Stars Travis Scott ("Circus Maximus") eigentlich unbestreitbar ist. Schlangenzüngig, begrenzt sich sein Auftritt übrigens nur auf eine Szene. Als von inneren Dämonen heimgesuchter Killer schreitet Jordi Mollà ("Criminal") emotionsarm durch das nihilistische Geschehen: Seiner Familie gegenüber sein Doppelleben verbergend sowie "auf Kollisionskurs" mit dem Ober-Fiesewicht Toto (Bodybuilder Joshua Tilley) – welcher sich wiederum wie ein Cartoon-haft böser Vin Diesel anhört, sich daheim ein Mädel an sein Bett gefesselt sowie zwei weitere in aufgehängten Käfigen eingesperrt hält sowie gern Penis-artig mit seinen Schwertern hantiert; Hüftstöße und Aufforderungen wie "Dance, bitches – dance for Daddy!" inklusive. Vorwiegend ist er eher eine nervend-plumpe Karikatur als ein bedrohlicher Finsterling…
Mancherorts wird "Aggro Dr1ft" in die Kategorie Action-Thriller eingeordnet. Wer mit dieser Erwartungshaltung an das Werk herangeht, der dürfte am Ende noch heftiger ernüchtert oder gar verärgert sein als diejenigen, die bei "Spring Breakers" mit einem locker-stumpfen Party-plus-etwas-Crime-Flick gerechnet hatten. Korine ist einfach nicht daran interessiert, solche Kost abzuliefern. Nicht bloß der Einstieg – ein nächtliches Attentat an einem Pool im Regen unter im Wind wehenden Palmen – zeigt das Potential hinsichtlich eines atmosphärischen Genre-Streifens auf – zu welchem er allerdings nie wird. Ohne Suspense und Tempo sowie des Öfteren Frust auslösend, erkeimte bei mir durchaus der Wunsch, das Ganze würde entweder einen abgründig-beklemmenden Pfad einschlagen oder freidrehen und quasi zu einem wüsten "visuellen Fiebertraum" werden. An sich waren alle "Zutaten" dafür (stilistisch sowie von der Story her) vorhanden – doch Korine hatte anderes im Sinn…
Nach einem ausgedehnten Rumschleichen durch Toto´s Villa – so wie im Rahmen analoger Passagen in gewissen Games – kommt es zum großen Showdown zwischen Bo und seinem Widersacher: Umringt von einer Gruppe maskierter Macheten-schwingender Kleinwüchsige in Kutten, entpuppt sich der Fight jedoch als enttäuschend antiklimaktisch (sofern man an dem Punkt da irgendwie noch immer "traditionelle Hoffnungen" gehegt hat). Alles zum Klang pulsierender, dienlich zum gesamten Soundscape-Atmos-Vibe beitragender Ambient-Electro-Hiphop-Beats von AraabMuzik (Abraham Orellana), gibt es im Verlauf so einige Härten zu verzeichnen – welche seitens der Optik allerdings "abgeschwächt" werden: Als jemand in einer Szene bspw. enthauptet wird, wäre das in einem normal bebilderten Film äußerst graphisch/explizit gewesen – worauf mich ein direkt daran anknüpfender grotesker Moment dann stracks an einen grob vergleichbaren in "Hostel: Part II" denken ließ…
Auch die Arbeit von Cinematographer Arnaud Potier ("Galveston") erinnert gelegentlich an Schwenkungen und Perspektiven in Videospielen – aber es ist, was Korine umfassend daraus gemacht hat, was diese Veröffentlichung von jeder bisherigen abhebt. Via Thermal-Kameras wurde das Gebotene (im Format 4:3) komplett in die Bandbreite an Farben des Spektrums zwischen heißem Rot und kaltem Blau getaucht. Krude, befremdlich sowie ab und an gar amüsant – etwa wenn eine Person so aussieht, als hätte sie eine leuchtende Clown-Nase auf – sind Texturen und Details nicht mehr erkennbar und harmonieren die vielen wärmeren Töne per se optimal mit der Location Miami (vgl. die kräftigen Filter, zu denen man u.a. bei der "Bad Boys"-Franchise griff). Doch damit nicht genug: Zusätzlich wurden die Images noch um verschiedenerlei CGI- und AI-Elemente ergänzt – á la aus Körpern herauswachsende Hörner und Flügel, "Gesichts-Bedeckungen" oder sich verändernde lebendige Tattoos…
Sich wandelnde Verzierungen auf der Haut sowie Einblicke darunter – auf Knochen und mechanische Konstrukte (wie Zahnräder und andere metallische Komponenten) – geben Hinweise auf "Seelen und Wesensarten" – ebenso wie auftauchende düstere Dämonen. Das ist häufig cool anzusehen – so z.B. als Bo an einer Stelle seine Hand in Richtung Ozean erhebt und eine mächtige Teufels-Gestalt apokalyptisch im Himmel über dem Wasser erscheint. Es ist, als würde man durch die Augen eines Menschen schauen, der sich gerade auf einem psychedelischen Astral-Projektions-Trip befindet – oder durch die eines sich auf Drogen durch das kriminelle Milieu Floridas bewegenden Predators. Als Betrachter gewöhnt man sich relativ zügig daran – was aber leider wiederum mit dazu führt, dass man trotz des reizvollen Eye-Candys schon bald die inhaltliche Leere und träge Entfaltung merklich zu spüren beginnt; zumindest wenn man dabei unberauscht-nüchtern ist…
Korine hat einen neuen Pfad beschritten – doch wirkt sein Produkt eher wie eine Beta-Version als ein bahnbrechendes, zufrieden stellendes finales Resultat. So wie Ilya Naishuller bei "Hardcore Henry", verwendete er imitierend bestimmte charakteristische Eigenschaften von Games – unter ihnen vorrangig die Ästhetik – und verknüpfte die gehegten technischen Ambitionen in der Beziehung sowohl mit individueller Kreativität als auch mit mokierender Belustigung. In seinen Worten ist das Werk ein "post-movie non-film" – und tatsächlich passt es in gewisser Weise besser als Video-Kunst-Installation in ein Museum als in ein Kino (2023 gab es in einer Galerie in L.A. übrigens wirklich eine Vernissage und Exhibition mit Gemälden von Korine in genau diesem "Infrarot-Stil"). Kommerzieller Boxoffice-Erfolg war noch nie sein Bestreben. Über sein Schaffen sagte er mal: "If there is at least one image that sticks with you after viewing the film, then it is a success." Das ist ihm auf jeden Fall (erneut) gelungen.
Kurzum: "Aggro Dr1ft" ist interessant sowie punktuell beeindruckend und faszinierend – alles in allem aber anstrengend und ermüdend. In Form eines straffen, komprimierten Shorts hätte das Ergebnis wahrhaft mindblowing sein können, statt so halt tendenziell mindnumbing…