Entstehungsdaten:
Estland-USA 2024
Regie:
E.L. Katz
Darsteller:
Samara Weaving
Vic Carmen Sonne
Katariina Unt
Nathan Stewart-Jarrett
Trailer
Erstmals tauchte ein Engel mit dem Namen Azrael in aramäischen Beschwörungstexten des frühen siebten Jahrhunderts auf, bevor er im Islam die Charakterisierung Engel des Todes zugeschrieben erhielt, dessen Aufgabe es sei, die Seelen Verstorbener hinüber ins Jenseits zu tragen – und genau diesen Titel hatte Drehbuchautor Simon Barrett ("Seance") seinem hier nun zur Rezension vorliegenden, von Regisseur E.L. Katz ("Small Crimes") für rund 12 Millionen Dollar in Estland gedrehten 2024er Action-Horror-Streifen verliehen: Eine Wahl nicht ohne Grund, wie man sich leicht denken kann bzw. sogar muss – denn konkrete Erläuterungen (nicht nur in dieser Hinsicht) bleiben dem Zuschauer im Verlauf verwehrt…
Die Handlung entfaltet sich im Umfeld einer religiösen Gemeinschaft, welche abgeschieden in einem Waldgebiet lebt sowie infolge eines the Rapture genannten apokalyptischen Ereignisses dem Gebrauch jeglicher Sprache entsagt hat, um sich u.a. auf diesem Wege von den Sünden der menschlichen Natur abzugrenzen. Darüber informiert einen eine Schrifttafel unmittelbar zu Beginn. In Zelten und kleinen Baracken innerhalb eines umzäunten Camps unweit einer hölzernen Kapelle hausend, verfügen sie zwar über einige Dinge der "modernen Welt" – unter ihnen einzelne Autos, Gewehre und Pistolen sowie Generatoren-betriebene Außenstrahler – doch scheinen das bloß nur noch Restbestände zu sein…
Der durch sporadisch eingeblendete Verse in mehrere Kapitel gegliederte Film eröffnet mit einem Pärchen zwischen Bäumen und dichten Sträuchern. Schnell ist klar, dass sie sowohl Gefühle füreinander empfinden als auch nicht entdeckt werden wollen. Wie sie heißen, verraten einem ausschließlich die Credits: Azrael (Samara Weaving) und Kenan (Nathan Stewart-Jarrett). Auf einmal kommt es zu einer Konfrontation mit einer Reihe von Personen in Kutten, die sie sogleich unerbittlich einzufangen versuchen – was ihnen im Zuge einer kurzen Jagd schlussendlich gelingt; wonach sie die beiden separieren, jeweils in Kofferräume einsperren sowie an unterschiedliche Orte befördern…
Etwas später wird Azrael an einen Sitz im Wald gefesselt sowie mit einem Messer geritzt. Es steckt Gravierenderes hinter diesem "Kult", als nur auf der Basis der Annahme einer existentiellen Schuld ein Schweige-Gelübde zu praktizieren – selbst über entsprechende operative Eingriffe (wie z.B. das Durchtrennen von Stimmbändern) hinaus: Azrael soll fiesen Kreaturen geopfert werden, die sich dort draußen umherbewegen! Diese schwarzfarbenen Geschöpfe, welche an grässlich verbrannte Menschen erinnern, mögen blind sein – können dafür aber (neben ihrem Hörsinn) besonders gut Blut wittern und verschonen die Ansässigen offenbar so lange, wie sie regelmäßige "Speisgaben" erhalten…
Angesichts eines sich nähernden Exemplars dieser Wesen mobilisiert Azrael verzweifelt ihre Kraftreserven, um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien – letztlich mit Erfolg: An ihrer Stelle erleidet einer ihrer Verschlepper ein grausames Schicksal – während sie so geschwind sie nur kann davonhastet. In den nächsten Stunden in verschiedene zehrende, brutale Auseinandersetzungen geratend, geht sie parallel dazu ihrer Hoffnung nach, dass Kenan noch immer am Leben ist – u.a. indem sie sich in das Camp ihrer Jäger schleicht, wo die hochschwangere Priesterin Miriam (Vic Carmen Sonne) zunehmend inniger darauf drängt, dass Azrael möglichst bald (vor einem speziellen Zeitpunkt) gefunden werden muss…
Ohne groß Kontext zu liefern oder Worldbuilding zu betreiben, wirft einen "Azrael" direkt hinein in ein Geschehen, dessen eigentlicher Anfang bereits eine Weile zurück liegt – so als würde es sich hierbei um die zweite Hälfte eines typischen Spielfilms dieser Art handeln. Was ist wann und wie zuvor passiert? Woran glauben diese Leute? Wie stehen Azrael und Kenan mit ihnen in Verbindung? Je nach Bemühen und Auffassungsgabe kann man sich einiges selbst erreimen – allerdings kommen kontinuierlich weitere Fragen hinzu, die zum Teil nie eine Beantwortung erfahren: Ein bewusstes Vorgehen seitens der Macher – und das absolut in Ordnung so; sofern man keiner ist, der unbedingt alles vorgekaut haben muss oder möchte…
Show, don't tell! Resolut griffen Barrett und Katz auf diese generell oft zu wenig beherzigte Technik zurück – verzichteten auf "Exposition-Dumps" (per Dialoge, Lesbares oder Flashbacks) und reduzierten den stattlichen Grad an Ambiguität nicht unnötig zugunsten eben jenen, die beim Ansehen des Streifens nicht genügend Aufmerksamkeit investieren können oder wollen. So etwa zeigte sich jemand im Publikum verwundert darüber, warum selbst bei zugefügten Schmerzen nicht laut aufgeschrien wird. Gewiss hatte er (oder sie) die Narben am Hals übersehen – oder nicht verstanden, was sie bedeuten. Allerdings kann man definitiv auch "auf rein oberflächliche Weise" seinen Spaß an dem Gebotenen haben…
Dies ist beileibe nicht die erste Horror-Veröffentlichung, die nahezu frei gesprochener Worte daherkommt – siehe nur mal Brian Duffield's gelungenen Alien-Thriller "No one will save you" mit Kaitlyn Dever jüngst. Überdies veranlasst einen einzelnes unweigerlich dazu, an die "Don't Breathe"- und "A Quiet Place"-Franchises zu denken. Doch dann gibt's plötzlich eine echte Überraschung: Als Azrael in dem Wagen eines zufällig ihren Pfad kreuzenden Herrn Zuflucht findet, redet der postwendend los – in Esperanto! Zudem scheint er keine Ahnung davon zu haben, was dort in der Gegend so vor sich geht. Azrael indes ist Gesang und Musik offenbar komplett fremd – ihrer Reaktion auf einen im Radio laufenden Song nach…
Wieder muss man seine Gedanken neu sortieren. Ist wohlmöglich gar nicht die ganze Erde von the Rapture betroffen? Existieren diese Kreaturen eventuell strikt in diesem Wald – ohne dass andere von ihnen wissen? Oder fühlt sich der nicht mit der aufs Schweigen solchen Wert legenden Gemeinschaft verbundene Mann einfach nur relativ sicher in seinem Fahrzeug? Auf jeden Fall war dieser Moment förmlich ein "the Village"-esker für mich – der seinerseits eine kurze, fast wie ein "Einschub" anmutende Passage (mit den beiden im Zentrum) einleitet, die das Beabsichtigte klar erfüllt; nach der Azrael´s Survival-Kampf aber weiterhin anhält sowie sich ihr "Übergang" from flight to fight noch nicht markant vollzogen hat…
In der nicht bloß physisch fordernden Hauptrolle überzeugt Genre-Liebling Samara Weaving ("the Babysitter") einmal mehr in Gestalt einer engagierten Performance: Als Azrael ist sie ständig angespannt und in Bewegung und vermittelt die Gemütsregungen des Parts (Furcht, Panik, Wut, Hass etc.) stumm via ihre Mimik sowie großen, expressiven Augen glaubwürdig. Da sie primär allein unterwegs ist und der Film nur selten Azrael's unmittelbare Umgebung verlässt, können die übrigen Charaktere kaum Dimensionalität zur Schau stellen – erfüllen aber jeweils ihre Zwecke im Rahmen der erzählten Geschichte; á la "emotionaler Antrieb" (Kenan), zu entwischende/besiegende Feinde sowie "geheimnisvolle Anführerin" (Miriam)…
Die vorwiegend europäische Besetzung – darunter Vic Carmen Sonne ("Holiday"), Nathan Stewart-Jarrett ("Candyman"), Katariina Unt ("Deliver Us") und Phong Giang ("Plan B – Scheiß auf Plan A") – ruft keinerlei Grund zur Klage hervor – was so gleichermaßen fürs Sound-Design, Mart Taniel's ("November") Bebilderung, Tóti Guðnason's ("Lamb") Score und Ben Baudhuin's ("Colossal") Editing gilt. Ergänzt um punktuelle Szenen – u.a. an einer alten Brücke, in dem zusammengeschusterten Camp und der Kapelle – spielt sich das meiste in den Weiten eines typischen nordischen Waldes ab: Allesamt keine "spektakulären", nichtsdestotrotz aber ergiebig mit zu dem gritty-rustikalen Eindruck beitragende Locations…
Regisseur Katz – dessen humorig-böses 2013er Debütwerk "Cheap Thrills" ich sehr schätze und welcher in letzter Zeit vorrangig Episoden zu Serien wie "Channel Zero", "Swamp Thing" und "the Haunting of Bly Manor" beigesteuert hatte – vermochte einige kompetent-effektive, mal unbehaglich Horror-, mal stärker Action-orientiertere Setpieces zu arrangieren, die einem in der Beziehung ausreichend Abwechslung innerhalb einer Story bieten, deren Struktur an sich nicht sonderlich kreativ oder vielseitig geartet ist (manche mögen auch sagen: leicht repetitiv). Zum Glück entfalten sich diese knapp über 80 Minuten straff bemessen – weisen keinerlei "Leerlauf" sowie ein durchweg ordentliches Level an Suspense auf…
Bei einer Kletterpartie auf einem Baum oder einem Kriechgang durch eine enge unterirdische Höhle: Das sind nur zwei der Situationen, in denen Azrael sich den garstigen Wesen erwehren muss. Dank feiner Prosthetics- und Make-up-Kreationen sehen diese Geschöpfe wahrlich Angst-einflößend aus – ähnlich der Crawlers aus Neil Marshall's "the Descent"; hier allerdings so, als hätten sie üble Verbrennungen erlitten. Unbändig raubgierig, zerfleischen sie ihre Opfer – worüber hinaus noch weitere Brutalitäten (á la Stichverletzungen und Enthauptungen) zu verzeichnen sind, aus deren Reihen Azrael herself für diverse verantwortlich ist. In Sachen gorige Gewaltspitzen wurde sich jedenfalls nicht zurückgehalten…
Azrael's Adrenalin-gepushter Überlebenswille und ihre entschlossene Suche nach Kenan weicht irgendwann einem anderen gewichtigen Motiv: Rache! Ihr ist gewahr, dass die Kreaturen bloß "instinktiv" agieren – ganz im Gegensatz zu den Menschen, die sie und ihren Liebsten eben jenen zum Fraß vorwerfen wollten. Also greift sie das Camp an – mit Blut und Matsch beschmiert, erfüllt von lodernder, aber kontrollierter Rage, mitunter mit einer Machete in Händen sowie im Schein die Nacht erhellender, gezielt gelegter Feuer: Perfekt zu dem britischen, "Angel of Death" lautenden Titel-Zusatz passend sowie mich obendrein angenehm u.a. an Lake Bell in Douglas Aarniokoski's "the Day" erinnernd…
Barrett ("You're Next", "the Guest", "Blair Witch" etc.) hat dafür gesorgt, dass das Schweigen im Film nicht wie ein reines Gimmick wirkt: Stattdessen markiert es nur eines verschiedener Elemente dieser von ihm erdachten Geschichte Schrägstrich Welt, in die sich das Publikum erst einmal "hineinfinden" muss. Das beschränkte Minimum an Informationen, Handlung und Charakter-Ausprägungen mag das Entstehen einer entsprechenden Bindung für einzelne erschweren – doch wer auf gewisse Details achtet (wie z.B. auf die Wandmalereien in der Kapelle) und sich nicht vor Interpretations-Überlegungen scheut, der dürfte problemlos klarkommen; auch mit dem grotesk-religiösen Finale…
Kurzum: Hart, zügig und düster, an einem mysteriösen Ort (etliche Jahre nach einem apokalyptischen, wohlmöglich biblischen Ereignis) angesiedelt sowie mit einer tollen Samara Weaving als Lead aufwartend, ist "Azrael" zwar ein oberflächlicher, unabhängig dessen aber reizvoller und unterhaltsamer kleiner Action-Horror-Streifen…
gute