Entstehungsdaten:
USA 2023
Regie:
JT Mollner
Darsteller:
Willa Fitzgerald
Kyle Gallner
Barbara Hershey
Ed Begley Jr.
Trailer
"Sometimes, I don’t see humans – I see devils."
Je weniger man im Vorhinein über den 2023er Thriller "Strange Darling" weiß, desto besser – weshalb ich im Folgenden bewusst auch potentielle Spoiler vermeiden sowie inhaltlich nicht groß ins Detail gehen werde. Die Idee zu JT Mollner's zweitem Spielfilm (nach dem 2016er Western "Outlaws and Angels") kam jenem gegen Ende des Jahres 2021 – worauf er in den nächsten rund sechs Monaten das Skript fertig ausgestaltete sowie geradezu nahtlos mit den entsprechenden Dreharbeiten begann, welche in der Umgebung Portlands stattfanden sowie eine Dauer von 32 Tagen umfassten. "Miramax" hatte ihm dafür ein Budget von etwas mehr als vier Millionen Dollar zugestanden – allerdings musste er ums Bewahren der "kreativen Kontrolle" über das Werk durchaus den einen oder anderen Zwist mit nicht immer seine Meinungen teilenden Studio-Executives ausfechten. So z.B. waren jene mit seiner Wahl der Hauptdarstellerin unzufrieden und hatten diverses an seinen übersandten "Dailys" auszusetzen – was gar zu einer einwöchigen Unterbrechung des Shoots führte, bevor man den Argumentationen Mollners und zwei seiner Produzenten (Steven Schneider und Roy Lee) schließlich nachgab; aufgrund der so entstandenen Kosten und Verzögerungen dafür aber wiederum ein eigentlich geplantes Setpiece an einem Fluss gestrichen werden musste…
In den anfänglichen Minuten erhält das Publikum eine Reihe von Informationen in Form von On-Screen-Text präsentiert. Seitens einer ernsten, monotonen männlichen Stimme vorgetragen, legt einem ein klassischer "the Texas Chainsaw Massacre"-esker "Opening Crawl" einen groben Rahmen hinsichtlich der anstehenden inhaltlichen Entfaltung dar: "Between 2018 and 2020, the most prolific and unique American serial killer of the 21st century went on a calculated, multi-state spree that began in Denver, Colorado, continued through Grand Lake, and expanded across Wyoming and central Idaho before culminating in the dense forest of Hood River Country, Oregon. Drawing from police interviews, detailed accounts of eyewitnesses, depositions, and observations of various law enforcement, this is a dramatisation of the true story of the final known killings in that rampage." Ob es sich dabei wirklich um eine wahre Geschichte handelt, ist nebensächlich bzw. im Prinzip vollkommen egal. Hier geht es um das vermittelte Feeling – und ein Bestandteil jenes ist der Look. Dazu eine weitere, förmlich "mit Stolz" erscheinende Zeile: Shot entirely on 35mm film. Cinematographer dieses Projekts war übrigens Giovanni Ribisi – Schauspieler u.a. bei "Boiler Room" und "Avatar" – welcher in diesem für ihn ungewohnten Tätigkeits-Bereich immenses Talent bewies…
Die Einblendung des Titels und der Credits geschieht zum Klang einer wunderbaren Cover-Version des Oldies "Love Hurts" – im Vorliegenden gesungen von Elizabeth Anne 'Z' Berg und Keith Carradine ("Wild Bill") – während wir eine komplett in Rot gekleidete blonde Frau erblicken, die in hellem Sonnenlicht (augenfällig verängstigt, auf der Flucht sowie am Ohr blutend) in Zeitlupe über eine Wiese auf die Kamera zurennt. Sie ist The Lady (Willa Fitzgerald), bekommt man zu lesen – und ihr auf den Versen ist The Demon (Kyle Gallner). Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass ein Streifen "teasend" mit einer markanten Szene Schrägstrich Situation aus dem späteren Verlauf eröffnet – allerdings ist "Strange Darling" da ein Stück weit anders geartet: Die Story wird nämlich in insgesamt sechs Kapiteln (zuzüglich Epilog) erzählt – und das in einer nicht-linearen Abfolge arrangiert sowie einfach mal stracks mit Nr.3 beginnend: 'Can You Help Me? Please?' Die fünf (plus eins) anderen benannte Mollner 'Mister Snuffle', 'Do You Like To Party?', 'The Mountain People', 'Here, Kitty, Kitty', 'Who's Gary Gilmore?' und 'The Electric Lady'. Dahinter steckt nicht bloß das Bestreben, eine an sich nicht allzu vertrackte Ereigniskette stilistisch reizvoller darzureichen – sondern ein durchdachtes, dem Betrachter so einen klaren Mehrwert bietendes Konzept…
Ironischerweise geriet Mollner genau deswegen mit "Miramax" – dem "Pulp Fiction"-Studio, wohlgemerkt – in Konflikt, denn ohne sein Wissen hatten die Verantwortlichen dort kurzerhand einen neuen Editor engagiert, der das Ganze stattdessen chronologisch anordnete – worauf Mollner CEO Bill Block damit drohte, bei einer Veröffentlichung in jener Fassung seinen Namen entfernen zu lassen. Gemäß der Regeln der "Directors Guild of America" stand ihm jedoch eine Test-Vorführung seiner Schnitt-Variante zu – welche überaus positiv verlief, so dass Block im Anschluss daran nachgab und Mollner den "Final Cut" gewährte: Zum Glück – denn das Seherlebnis profitiert ungemein davon. Unweigerlich macht man sich so von den ersten Momenten an eigene Gedanken – es erkeimen Fragen und man will wissen, was im Vorfeld vorgefallen ist. In der Zeit vor und zurück springend, werden spezielle Preisgaben geschickt hinausgezögert: Etwa eine Stunde lang muss man einzelne seiner Eindrücke und Vermutungen immer wieder nachjustieren – wobei es für nahezu niemanden ein Problem sein dürfte, die verschiedenen Segmente im Kopf richtig aneinander zu fügen. Manche mögen das eventuell als "manipulativ" bezeichnen – doch bewegt sich das hier in absolut legitimen Grenzen und profitiert der Entertainment-Grad simultan einträglich davon…
Eingangs wird einem auch ein kleine Passage eines Gesprächs des Mannes und der Frau vom Abend zuvor geboten: In Schwarzweiß, mit ihnen in seinem Wagen vor einem Hotel sitzend, scheinbar gegen Ende eines Dates, fragt sie ihn unverblümt direkt: "Are you a serial killer?" Clever, diese Dialogzeile – in Bezug auf die Gedanken des Zuschauers ebenso wie innerhalb des (da noch unbekannten) Kontexts. Prompt jagt er ihr als nächstes dann auf einer Landstraße in seinem Truck nach: Schießt auf ihr Auto, bringt es zum Crashen, hetzt sie durch den Wald – und so weiter. Es dauert eine Weile, bis der Film zu jener ruhigen Konversation zurückkehrt – dieses Mal in Farbe: Getaucht in das kräftige Blau einer Neon-Beleuchtung, rauchen, flirten und unterhalten sie sich. Es ist ein intimes Setting – mit offen Worten und einem potentiellen One-Night-Stand in Aussicht, den beide wollen. Aber: "Do you have any idea the risks a woman like me takes whenever she decides to have a little fun?" Daher ihre obige Erkundigung – denn: "Men think that we're these prudes who don't like casual sex. Most of us fucking love casual sex. We just want to know that murder isn't going to be served on the side." Natürlich verneint er das Hegen schlimmer Absichten – und so mieten sie sich ein Zimmer in diesem Kapitel, dessen Titel "in Langform" eigentlich 'Mr. Snuffleupagus' lautet…
Drinnen werden Grenzen abgesteckt und ausgelotet, sorgen Erwartungen für Unsicherheiten und Anspannungen, werden Drogen rausgeholt, verkompliziert sich das Verhältnis zwischen den Charakteren, wird ein Messer gezückt, ein Schuss abgefeuert und fällt u.a. der Satz "I've never put it there before." Sie ist zugleich ungemütlich und fesselnd, diese Kombination aus psychosexuellen Elementen und weiteren ambivalenten Wahrnehmungen – bspw. wenn es um traditionelle Machtverhältnisse und Gender-spezifische Zuschreibungen geht. Zwar kann "Strange Darling" diesen Themenpunkten und den damit verknüpften Diskursen nichts Neues hinzufügen – nichtsdestotrotz ist es löblich, dass man sich generell nicht davor scheute, sowie anregend, Mollner's Herangehensweise (samt der weiteren Entwicklung dieser Konstellation) bis hin zu dem von ihm gewählten Ende zu verfolgen, welches einem nicht nur aufgrund einer langen, ungebrochenen Einstellung im Gedächtnis verbleibt. An sich ist der Bodycount nicht allzu hoch – allerdings durchleiden die Leads im Zuge ihres unerbittlichen "Duells" so einiges: Müssen mit schmerzhaften Verletzungen, wechselnden Emotionslagen, physischer Erschöpfung, den Auswirkungen gewisser "Substanzen" im Blutkreislauf sowie sich plötzlich verändernden Rahmen-Bedingungen zurechtkommen…
Willa Fitzgerald und Kyle Gallner sind großartig in den Hauptrollen. Ernsthaft verwunderlich ist das bei ihnen nicht – schließlich legen sie seit jeher überzeugende Performances vor: Siehe dazu nur mal seine aktuelleren Auftritte in Werken wie "Dinner in America", "Mother, may I?" und "the Passenger" – während sie meist mit zu dem Besten gehört, was Projekte wie "Savage Salvation", "Desperation Road" oder TV's "Reacher" zu bieten haben. Mollner forderte ihnen jeweils einen selbstsicheren "mimischen Balance-Akt" sowie auch eine gritty-toughe "körperliche Hingabe" ab – und sie enttäuschten ihn nicht; waren der Aufgabe vollumfänglich gewachsen. In prominenten Nebenparts sind überdies noch Barbara Hershey ("Last of the Dogmen") und Ed Begley Jr. ("Transylvania 6-5000") als Alt-Hippie-Pärchen mit von der Partie – bzw. bezeichnet er sich selbst lieber als einen Alt-Biker. Als die Gejagte bei ihnen Zuflucht sucht, wollen sie gerade frühstücken: Eine arg kalorienreiche Kreation aus einem Haufen an Zutaten wie Pancakes, Würstchen, Butter, Sirup und Schlagsahne. Sie sind quirky und hilfsbereit – doch deuten die Lautsprecher draußen rund ums Haus etwa auf "ein Geheimnis" hin? Gehören sie eventuell einer Sekte an? Selbstredend verrate ich das nicht – wohl aber, dass Hershey und Begley Jr. einfach klasse interagieren und spielen…
Amüsant und unterschwellig unbehaglich, durchzieht diesen Abschnitt ein Hauch von David Lynch – doch auch sonst ist immer mal wieder ein wenig (oft pechschwarzer) Humor zu registrieren. Musikalisch untermalt seitens eines kompetenten Scores Craig DeLeons ("End of the Road") sowie stimmungsvoller Original-Tracks von 'Z Berg', ist der Film außerdem wunderbar schick anzusehen. Zusammen mit Christopher Robin Bell’s (“Wake of Death”) filigranem Editing und einer durchdachten Licht- und Farb-Dramaturgie – insbesondere im Bereich der kräftigen Kontraste und satten Rot- und Blau-Töne – beeindruckt Cinematographer-Newbie Ribisi mit offenkundigem Gespür für gleichermaßen effektive wie kreative Kamera-Einstellungen – Brian-De-Palma-eske Split-Diopter-Shots inklusive – wobei das grainy-analoge 35mm Bildmaterial den aufgezeigten Geschehnissen einen mit ihnen (sowie z.B. auch mit einem alten Ford Pinto sowie Gallner´s Oberlippenbart) harmonierenden "Retro-Vibe" verleiht. Neben Steven Schneider ("Watcher"), Bill Block ("Halloween", 2018), Roy Lee ("Late Night with the Devil") und Chris Ivan Cevic ("the Ever After") war Ribisi ebenfalls als Produzent mit an Bord und ist obendrein kurz in Gestalt eines "Voice-Cameos" zu hören – genauso wie Robert Craighead ("God is a Bullet") und Jason Patric ("Shrapnel")…
Mollner waren die typischen Vorstellungen und vorgefassten Meinungen des Publikums u.a. zu klassischen Genre-Abläufen und Geschlechter-Rollen in Horror-, Serienkiller- und Katz&Maus-Streifen wohlbekannt. Zum Glück besaß er das nötige Können, um sich vergnüglich all dem (Klischees, Konventionen etc.) zu stellen sowie via Abwandlungen und Fehlleitungen seinen Spaß daran zu haben – was sich unmittelbar auf den Zuschauer überträgt, der sich mal überrascht, mal dagegen voll bestätigt fühlt. Ohne je irgendwie zu "schummeln", nährt dieses Maß an "Unberechenbarkeit" (ergänzt um Gegebenheiten wie die unchronologische Erzähl-Struktur) den grundsätzlichen Unterhaltungsgrad ergiebig, welcher durchweg erfreulich stattlich ausgeprägt ist – selbst wenn man das eine oder andere prämatur zu durchblicken vermag. Mit “Strange Darling” haben Mollner und seine tolle Cast&Crew ein straffes, stilvolles, raffiniertes, intensives Kräftemessen zweier Personen geschaffen, die beide (in dieser zeitlichen Spanne nicht einmal eines Tages) nicht aufzugeben bereit sind: Atmosphärisch, subversiv und twisted, mit energischen Jagd-Sequenzen und brutalen Gewalt-Spitzen sowie packend und perfide von der ersten bis zur finalen Szene – welche wiederum (so wie zu Beginn ja schon der Einstieg) an Tobe Hooper's "the Texas Chainsaw Massacre" angelehnt daherkommt…
knappe