
Entstehungsdaten:
USA 2022
Regie:
Eliza Barry Callahan
Darsteller:
Maya Hawke
Shigeru Mikami
Link zum Kurzfilm
Bei „Bay of Cadiz“ (2022) handelt es sich um einen Kurzfilm, der bis zu seinem Abspann hin knapp über fünf Minuten lang läuft sowie von Eliza Barry Callahan verfasst und in Szene gesetzt wurde. Ihres Zeichens eine 1995 in New York geborene Regisseurin, Skript-Verfasserin, Musikerin und Schriftstellerin, erzählt ihr Short die Geschichte einer jungen Frau (Maya Hawke), die auf ihrer Zug-Reise nach Andalusien einen freundlichen Herrn (Shigeru Mikami) aus Japan trifft, dem sie im Waggon gegenüber sitzt. Beide auf dem Weg zur Bucht von Cádiz, holt er (im Anschluss an eine Beichte seinerseits) ein Kühlakku, eine Schale mit einer Brasse darin sowie ein Messer aus seinem Rucksack hervor und beginnt damit, das Tier aufzuschneiden…
Das erste Geständnis des Mannes lautet, dass er drei Weibchen gefangen, aber nur zwei wieder freigelassen habe – gefolgt von einem weiteren; und zwar, dass er unartig war sowie seine einzige Regel gebrochen hätte: Er habe ein Weibchen getötet – was kein Unfall gewesen sei. Tränen bilden sich in seinen Augen, rinnen über seine Wangen und tropfen hinunter auf den Fisch, welchen er noch immer mit der Klinge bearbeitet: Flutsch, flutsch, flutsch bzw. plop, plop, plop. Er isst ein herausgetrenntes Stück des frischen, von der Haut gelösten Fleischs und bietet ihr ebenfalls eins an – worauf er sie, als sie es verspeist, danach fragt, ob sie wissen würde, dass ein weiblicher Fisch, wenn sie es sich denn wünscht, später im Leben auch männlich werden kann…
Bei „Bay of Cadiz“ ließ sich Callahan u.a. von der brasilianischen Autorin Clarice Lispector inspirieren – speziell von deren Zitat „Do you ever suddenly find it strange to be yourself?“ aus ihrem 1978er (posthum veröffentlichten) Roman „A Breath of Life“, der fragmentarisch in Form eines unsteten Dialogs zwischen einem Gott-ähnlichen Schöpfer und seiner dem anderen Geschlecht angehörenden Schöpfung daherkommt. Callahan's Werk weist so einige Spekulations- und Interpretations-Möglichkeiten auf – angefangen bei den Absichten des Mannes über den (speziell auf sich selbst bezogenen) Seelenzustand der Frau bis hin zu allem, was mit seiner Proterogynie-Aussage und den daran anknüpfenden Geschehnissen in Zusammenhang steht…
Es ist nämlich so, dass das Essen des Fischs bei ihr eine Osmose, Ohnmacht und Transformation bewirkt – wobei ich Details dazu hier genauso wenig spoilere wie hinsichtlich dessen, was er danach mit ihrem veränderten Körper anstellt. Sind seine Motive sinister? Hat sie in jenem Sinne seinen Köder geschluckt? Oder ist sie keineswegs (s)ein Opfer – sondern tendiert die Auslegung eventuell in eine ganz andere, überhaupt nicht negativ zu deutende Richtung? Mit Sicherheit führt es zu verschiedenartigen Empfindungen und Verständnissen innerhalb des Publikums, wie gestimmt und sich Gedanken machend man das Gebotene betrachtet – welche Allegorien und/oder Feinheiten man unter der Oberfläche erkennt oder zu entdecken wähnt…
Die Grenze zwischen der Realität und dem Phantastischen ist bei „Bay of Cadiz“ nicht exakt zu verorten. Diverse inhaltliche und stilistische Elemente verschmelzen miteinander zu einem ansprechenden, im Einklang mit dem von Callahan angestrebten poetischen Eindruck existierenden Vibe. Ursprünglich war das Projekt aus einem ihrer Gedichte hervorgegangen – und des Öfteren kommen die von ihr als Editor und Regisseurin in Personalunion arrangierten Einstellungen einzelnen Sätzen und Aktionen angepasst daher. Mit punktuellen markanten Großaufnahmen (darunter das Salzen eines Fischs) aufwartend im Format 4:3 auf 16mm-Film gedreht, wusste mir die Bebilderung (samt der Farben und des grainy Looks) gut zu gefallen…
Obgleich man sie nicht wirklich kennenlernt, vermitteln Callahan und Cinematographer Owen Smith-Clark („Actual People“) durchaus ein Gefühl von Intimität zwischen diesen beiden an einem Tisch sitzenden, von Maya Hawke (TV´s „Stranger Things“) und Sushi-Chef Shigeru Mikami (u.a. der noblen „BondST“-Restaurants) portraitierten Menschen – und das über eine stattliche Ausstrahlung verfügend sowie komplett wortlos. An einem einzigen Nachmittag in einem aktiven Zug realisiert – in einem Wagon, der am Ende des Tages intensiv nach Fisch roch – ist das Setting natürlich auch eine klare Hommage an „Before Sunrise“ (mit Maya's Vater Ethan), in welchem es ja ebenfalls um eine tiefgreifende Zufallsbegegnung geht…
In „Bay of Cadiz“ wird nicht gesprochen. Stattdessen entschied sich Callahan für ein Voiceover aus der Ich-Erzähler-Perspektive der jungen Frau. An sich nicht ungewöhnlich. Was jedoch gewichtig mit dazu beigetragen hat, dass dieser Short zu einem solch atmosphärischen Mood-Piece wurde, ist dass diese verbale Narration (aus unverratenen Gründen) auf Deutsch geschieht – mit englischen, ausgenommen der Zeile „I accepted the offer…“ allesamt an der üblichen Stelle eingeblendeten Untertiteln – sowie dass die zu hörenden Sätze nicht von Hawke stammen, sondern von Stacey Streshinsky; einer in Moskau geborenen, inzwischen allerdings in Städten wie London und New York ansässigen Autorin, Journalistin und Dolmetscherin…
Die Kombination des fast kindlichen Klangs ihrer Stimme mit den Images bzw. Shots, präsentierten Regungen, der draußen am Fenster vorbeiziehenden Landschaft, den eigenartigen Ereignissen sowie der pulsierenden Musik-Untermalung – welche Callahan übrigens gar auch noch selbst beigesteuert hat – erzeugt ein ungemein reizvolles, surreales Ganzes: Fraglos nicht jedermanns Sache – da für viele gewiss zu artsy und unkonkret (mehrschichtig sowie eigenes Interpretieren erfordernd) – für das richtige Publikum definitiv aber einen Blick wert; obgleich letztendlich nicht umfassend zufrieden stellend, zumindest aus meiner Sicht. Dass Callahan unverkennbar über Talent verfügt, darüber lässt sich allerdings keineswegs streiten…