
Entstehungsdaten:
Island-Irland-UK-Belgien 2024
Regie:
Thordur Palsson
Darsteller:
Odessa Young
Joe Cole
Siobhan Finneran
Rory McCann
Trailer
Bei „the Damned“ (2024) handelt es sich um das Spielfilm-Regiedebüt Þórður Pálssons – seines Zeichens bestbekannt für seine Mitwirkung an der isländischen Krimi-Serie „the Valhalla Murders“ – welches er gemeinsam mit Drehbuch-Autor Jamie Hannigan (TV's „the Woman in the Wall“) verfasst sowie in den winterlichen Monaten Anfang 2023 in der abgelegenen Vestfirðir-Region seiner Heimat realisiert hatte. Schauplatz des Geschehens bildet eine kleine Fischer-Station im 19. Jahrhundert: Abgeschieden im rauen Norden des Inselstaats erbaut und unterhalten, waren die zurückliegenden Wochen nicht leicht für die acht Personen dort – allerdings bewahren sie ihren Optimismus, dass der Übergang zum Frühling hin (mit seinem besseren Wetter und einer längeren Dauer an Tageslicht) ihre Meeres-Ausbeute gewiss wieder einträglicher machen wird. Als Magnus, der Vorbesitzer, letzte Saison ums Leben kam, hatte dessen junge Witwe Eva (Odessa Young) den Betrieb übernommen, der aktuell außerdem noch die Köchin Helga (Siobhan Finneran), den Bootsführer Ragnar (Rory McCann) sowie dessen fünfköpfige Crew (darunter Joe Cole und Turlough Convery) beschäftigt…
Just als es die Bedingungen wieder erlauben, rauszurudern und ihre Leinen auszuwerfen, erspähen sie eines Morgens ein Schiff in einiger Entfernung am Ausgang des Fjords, das offenbar gegen eine Fels-Formation gesegelt oder gedrückt worden war und nun am Sinken ist. Die Gruppe steht vor einer harten Entscheidung: Sich darum bemühen, die Überlebenden zu retten – was angesichts der Position des Wracks (u.a. unweit der Stelle, wo Magnus damals verunglückte) jedoch sehr gefährlich wäre sowie sie daraufhin zusätzlich im Bereich ihrer ohnehin schon knappen Lager-Bestände stark belasten (und somit wohlmöglich gar „dem Tode weihen“) würde – oder jene ihrem Schicksal überlassen. Humanität vs. Pragmatismus also – und schweren Herzens fällt Eva's Wahl auf ein Vermeiden des Risikos zugunsten der Sicherheit derer, für die sie einen klareren Grad an Verantwortung empfindet. Aus Respekt wird an dem Tag aufs Arbeiten verzichtet – allerdings beginnt im Folgenden Treibgut (wie etwa ein Fass mit Vorräten darin) an ihrem Küsten-Abschnitt zu stranden, so dass sie von daher doch das entsprechende Wagnis eingehen, zumindest vorsichtig die Wasser-Oberfläche rings herum zu erkunden…
Nicht vor Sonnenuntergang erreichen sie den Ort der Tragödie – wo (zu ihrer Überraschung) tatsächlich noch Fast-Erfrorene auf Steinen ausharren, die stracks mit finaler Kraft zu ihnen hinüberschwimmen und verzweifelt ins Boot zu gelangen anstreben, welches wiederum rasch zu kentern droht, so dass sie mit Gewalt daran gehindert werden müssen. Zwar gelingt ihnen das am Ende – allerdings stürzt Ragnar dabei über Bord und ertrinkt. Zurück in ihrer Unterkunft, hat sie das Durchlebte physisch und psychisch ziemlich mitgenommen. Fortan wird nie wieder „Normalität“ bei ihnen einkehren – werden Leichen angespült sowie von ihnen in notdürftig zusammengezimmerte Särge gelegt, ereignen sich Unfälle und fangen sie zunehmend heftiger „seltsame Dinge“ heimzusuchen an: Albträume, Verletzungen sowie gespenstische Visionen und Vorkommnisse – schließlich auch Tode. In Anbetracht dessen ist Helga prompt der Überzeugung, ein „Draugr“ hätte es auf sie abgesehen: Eine Menschen-feindliche „rastlose Seele“ bzw. ein „wandelnder Verstorbener“, der nordischen Mythologie nach. Aber das alles sind doch bloß ausgedachte alte „Lagerfeuer-Geschichten“ – oder?
Eingangs heißt es in „the Damned“, Island würde einem viel bieten können – sofern man dazu imstande ist, Kälte, lange Nächte und Hunger auszuhalten. Abseits der Städte ergänzen diese Punkte häufig noch solche wie Einsamkeit und eine harsche, mit zahlreichen Gefahren verbundene Natur (mit Stürmen, tückischen Gewässern etc.). In der bisherigen Saison haben Schneefall, heftige Winde und dickes Eis das Fischen angrenzend komplett verhindert – allerdings sind die Männer dennoch zuversichtlich; überbrücken die Zeit so passabel es geht mit jeglicher Form von Ablenkung (á la Schnaps trinken und Shanties singen), um sich nicht zu direkt mit ihren unweigerlichen Sorgen auseinandersetzen zu müssen (u.a. sind sie und ihre Familien auf ihren erst noch zu erwirtschaftenden Lohn angewiesen und hat sie die stetig knapper werdende Nahrung bereits zum Essen eines Teils der Köder veranlasst). Den Risiken ihres Jobs sind sie sich gewahr – generell sowie durch die Erinnerung an das, was Magnus ein Jahr zuvor zugestoßen war – und dass Eva danach nicht einfach den Betrieb verkauft hatte, sondern ihn weiterführt und mit ihnen dort anwesend ist, hat ihr den Respekt der anderen eingebracht…
Auf Anhieb ist die Atmosphäre unheilvoll und düster – mit den Protagonisten inmitten einer Situation, die (allem positiven Denken zum Trotz) ohne einer baldigen Veränderung in Kürze „kritisch“ werden wird. Gerade als sich das Wetter zum Besseren wandelt, stellt sie die Seenot der Fremden sogleich jedoch vor ein moralisches Dilemma – bei dem im Zuge der Abwägung die darwinistisch-rationale Selbsterhaltung gegenüber der Empathie die Oberhand gewinnt sowie Eva den finalen Beschluss trifft. Das spätere Hinausrudern zum versunkenen Vessel geschieht, um eventuell noch Verwertbares (Vorräte) bergen zu können – was in dem „Horror“ einer Konfrontation mit einigen Überlebenden resultiert, welche sie mit Gewalt zurückschlagen müssen. Dies – ebenso wie Ragnar's Tod dabei – wiegt von da an nur noch kräftiger bedrückend auf ihren Gewissen – während eine Reihe schauerlicher Ereignisse ihren Lauf nimmt: So etwa werden Körper angetrieben, in einem derer sich ein Aal zwischen den Innereien umherbewegt, verschwindet Essen, sind verschiedene unzuordenbare Laute zu vernehmen und taucht eine undeutlich erkennbare finstere Gestalt mehrfach in Träumen und Augenwinkeln auf…
Zweifel an der Richtigkeit des Getanen lässt das Schuldbewusstsein anwachsen und „infiziert“ sozusagen die Gruppe bzw. die psychische Verfassung der einzelnen. Zusätzliche (im Übernatürlichen verortete) Furcht schürend, ordnet Helga das Ganze der Draugr-Überlieferung zu. Steckt hinter diesem Aberglauben möglicherweise doch Reales? Sind sie verflucht – verdammt – sowie nun Leidtragende einer rachsüchtigen Kreatur? In den mitunter Jahrhunderte alten Erzählungen (wie die Eyrbyggja oder Grettir's Saga) werden indes aber auch Schritte benannt, um sich dieser Bedrohung zu erwehren – und so fesseln sie bspw. die Ertrunkenen, treiben Nägel in ihre Füße und drehen ihre Särge im Kreis, um „Wiederauferstehungen“ zu verhindern. Das Wesen selbst vermag man angeblich mit Feuer zu vernichten. Statt die „konventionelle Route“ zu beschreiten und daraus ein Werk im Stile einer Kreuzung aus John Carpenter's „the Fog“ und „the Thing“ zu erschaffen, reduzierte Pálsson „das Konkrete“ relativ weit zugunsten Allusionen, flüchtiger Erscheinungen sowie Vorfälle der „ambivalenteren Art“ – was man sich so ungefähr wie Robert Eggers' „the VVitch“ meets TV's „the Terror“ (Season 1) vorstellen kann…
In „the Damned“ beginnen die vormals festen, eigentlich Ordnung und Verlass sichernden Strukturen, Kameradschaften und Geisteszustände nach und nach wegzuerodieren. Schleichend intensivieren sich Paranoia und Angst auf der Basis der seelischen Last. Haben sie das, was sie nun durchmachen, aufgrund ihrer Unbarmherzigkeit verdient? Der Umgang mit diesen sie alle beschäftigenden Gedanken sowie den übrigen schwerwiegenden Gefahren und Einwirkungen wartet mit einigen reizvollen Nuancen auf und lässt die Lage sich kontinuierlich zuspitzen – mit Eva im Zentrum dieses „Strudels“ aus internen und externen Konflikten. Ihren bitteren Entschluss fasste sie aus einem Gefühl von Verantwortung für die Mannschaft ihrer Station heraus – und nun muss sie entsetzt miterleben, wie sie nichtsdestoweniger daran „zerbrechen“ und sterben. Odessa Young („Assassination Nation“) portraitiert sie ausdrucksstark – oft nur via Blicke und subtilere Regungen, denn von ihren Emotionen her ist Eva überwiegend in sich gekehrt; ihre Worte vor den Männern hin und wieder wohlüberlegt wählen müssend sowie ihre empfundene Zuneigung für einen von ihnen nicht öffentlich zeigen „könnend“…
Mit letzterem ist Daníel (Joe Cole aus „Green Room“) gemeint – welcher gut zu ihr passt und versteht, was es für sie beide (in der Struktur ihres Umfelds dort) bedeuten würde, gäbe es eine Beziehung zwischen der noch nicht allzu lange verwitweten Chefin und ihm; speziell in dieser angespannten Zeit. An ihm zehrt, dass er einen der Schiffbrüchigen mit einem Beil getötet hat, an dieser ihr Boot zu entern versuchte – und nun ist er genauso „überfordert“ von dem über ihnen hereinbrechenden Schrecken wie die anderen. Cole und seine Co-Stars – unter ihnen Francis Magee („Rogue One“), Siobhan Finneran („Boy A“), Turlough Convery („Wake Up“) und Rory McCann („Gladiator II“) – spielen ihre Rollen jeweils überzeugend. In authentisch anmutende Kostüme gekleidet, sind ihnen die nicht nur vom winterlichen Wetter her fordernden Dreh-Bedingungen förmlich anzumerken: Gemeinsam mit der gesamten Ausstattung trägt das ersprießlich mit zu dem realistischen vermittelten Eindruck der harten Leben dieser Menschen in jener Epoche bei. Fürs Publikum wird die Ungemütlichkeit der Kälte, Arbeit und Location geradezu spürbar – unabhängig der unleugbaren Schönheit der Landschaft…
Von dem hellen Weiß des Schnees, der gelegentlich unverborgenen Sonne und dem eisigen Blau des Wassers über stürmische Winde, dichten Nebel, Niederschläge und dunkle Wolken bis hin zu pechschwarzen Nächten, in denen nicht selten kaum mehr als eine flackernde kleine Öllampe schwaches Licht spendet: Die umfassende Atmosphäre wirkungsvoll bereichernd, ist Eli Arenson's („Lamb“) Bebilderung prächtig geraten – inklusive der effektiven Nutzung von Schatten und Unschärfen in einigen Momenten, in denen der Draugr nahe ist. Hinzu kommen solche Images wie die großen, betrüblich leeren hölzernen Gestelle, an denen sonst der Fang zum Trocknen hängen würde, oder die unweit des Ufers aufgereihten Särge der Verstorbenen, da der Boden zu festgefroren ist, um sie zu vergraben – plus ein feines Sound-Design und kompetenter Score Stephen McKeons („Evil Dead Rise“), der einen ein Stück weit an die Musik Krzysztof Pendereckis in Stanley Kubrick's „the Shining“ erinnert. Manche Sequenzen hätten gewiss aber auch prima (oder gar noch besser) ohne jegliche Instrumental-Klänge „funktioniert“ – also rein mit Stille bzw. den „natürlichen Geräuschen“ der betreffenden Örtlichkeit…
„the Damned“ ist ein „Slow Burn“: Klassischer, sich ruhig entfaltender, die kreierte Stimmung den Zuschauer „einhüllen“ lassender Folk-Horror – der nichtsdestotrotz über einige Jump-Scares verfügt sowie die 90-Minuten-Marke nicht überschreitet. Pálsson und Hannigan ging es nicht um einzelne Setpieces, sondern um die Geschichte in ihrer Gänze – welche wiederum zwar nicht die komplexeste ist sowie ein paar Dialog-Zeilen aufweist, die etwas „zu erklärerisch“ daherkommen, dafür aber unterschiedliches Metaphorisches und Psychologisches zu offerieren hat (u.a. in Sachen Moral, Schuld-Bewältigung, Aberglaube, Isolation, Vorurteile und gar Xenophobie). Handwerklich achtbar haben Pálsson und seine Crew eine Menge aus der limitierten Budget-Höhe herausgeholt, der Einsatz von CGIs wurde auf ein kaum bemerkbares Minimum beschränkt und das Finale beschert einem zum Schluss hin noch eine Offenbarung, an der sich die Geister sicherlich scheiden – die einem allerdings eine veränderte Perspektive auf das Vorangegangene beschert und mir persönlich zu gefallen wusste. Kurzum: Ein sehenswerter Film – am besten an einem düster-kühlen Herbst- oder Winter-Abend…
knappe
