
Entstehungsdaten:
USA 2025
Regie:
Bianca Poletti
Darsteller:
Reina Hardesty
Grace Van Dien
Andrew Bering
Link zum Kurzfilm
Das erste, was in dem (ohne Abspann) knapp zwölfeinhalb-minütigen Kurzfilm „Video Barn“ erklingt – welcher von der argentinisch-amerikanischen Regisseurin Bianca Poletti auf der Grundlage eines Skripts Allison Goldfarbs in Szene gesetzt wurde sowie auf dem 2025er „SXSW“-Festival seine Weltpremiere feierte – sind die panischen Schreie einer Frau – und zwar jene Marilyn Burns am Ende von Tobe Hooper's Klassiker „the Texas Chainsaw Massacre“, als die von ihr verkörperte Sally ihrem Kettensägen-schwingenden Verfolger Leatherface gerade mal so (auf der Ladefläche eines Pickups) zu entkommen vermag…
Via eines kleinen VHS/TV-Kombigeräts schauen sich die Highschool-Schülerinnen Hannah (Reina Hardesty) und Jules (Grace Van Dien) den Streifen hinter dem Verkaufstresen einer aktuell Kundschaft-losen Videothek an, in der sie arbeiten. Die Regale sind voller Tapes, es stehen einige Kaugummi-Automaten zur Auswahl und an den Wänden hängen Poster zu Flicks á la „1-800-Evil“ – ebenso wie (zwischen einigen bunten Aufklebern) ein Missing-Steckbrief für ein vermisstes Mädel sowie ein selbstgemaltes Freaks-Welcome-Schild. Darüber hinaus gibt's hinter 'nem Vorhang außerdem noch einen XXX-Bereich mit Pornos…
Beide lieben das Horror-Genre – wobei Jules in dem just Gesehenen prompt eine Anti-Tierhaltung-pro-Veganismus-Allegorie erkennt, die gar nicht mal so abwegig ist. Trotz der Lokalität und all der heutzutage so kaum mehr irgendwo zu findenden Analog-Kassetten – ergänzt um ein älteres Tasten-Telefon und ein paar Video-CDs – entfaltet sich dieser Short nicht etwa in der Vergangenheit angesiedelt – sondern tatsächlich in der Gegenwart, wie ein Handy und Chat-Verlauf später klar preisgeben. Sofern einem gewisse Details entgehen, könnte man bis dato aber durchaus denken, das Gebotene würde sich in den frühen 2000ern abspielen…
An diesem Abend leistet Hannah nicht ihre komplette Schicht ab, da ihr Boyfriend unmittelbar davor steht, zu seinem College-Antritt hin aufzubrechen, und sie die verbleibenden Stunden noch gemeinsam verbringen wollen. Jules schätzt ihre Gesellschaft sehr – und es bedrückt sie schon, dass Hannah ihn in Zukunft sicherlich häufiger an den Wochenenden besuchen wird, anstatt mit ihr dort zu jobben, sowie dass dem Store aufgrund geringer Umsätze zunehmend die Geschäftsaufgabe droht. Wertschätzende des Mediums und „Nostalgie-Fans“ reichen in der HD- und Streaming-Ära einfach nicht aus, um eine Kostendeckung zu erzielen…
Beim Verräumen eines Korbs mit Tapes erweckt eins (wegen seiner Beschriftung) Jules' Aufmerksamkeit: Über einer kleinen S/W-Illustration einer Frau in einem älteren Zeichen- bzw. Druck-Stil steht auf der Oberseite bloß Lucida – offenbar ein Firmen-Logo – während auf dem Label vorne groß die Worte Press Play prangen. Neugierig legt sie das Band ein und macht genau letzteres: Obgleich nichts weiter als White Noise zu hören und zu erblicken ist, kann sie sich fortan nicht mehr abwenden (oder gar blinzeln). Ihre Atmung beschleunigt sich und es bilden sich Tränen – Verwunderung wird zu Schrecken…
Erst jetzt – nach rund einem Drittel der Gesamt-Lauflänge – erfolgt die „Video Barn“ Titel-Einblendung – und das in Kombination mit einem Zeitsprung hin zu einem Punkt, an dem Jules inzwischen bereits einige Tage als vermisst gilt. Über die „spurlos verschwundene“ Teenagerin berichten die Medien, online wird rege spekuliert und Hannah plagen Selbstvorwürfe, dass sie ihre Freundin Schrägstrich Kollegin an jenem Abend allein im Laden zurückließ. Nun ebenfalls nach Sonnenuntergang solo im Dienst, fangen sich auf einmal merkwürdige Geschehnisse (á la flackernde Lichter) um sie herum zu ereignen an…
Plötzlich erwachen zwei Fernseher zu Leben und ein bejahrter Werbeclip (komplett mit kindlich-beschwingtem Jingle) erscheint – bis dieser abrupt abbricht, Weißem Rauschen weicht und sich innerhalb des „statischen Gekrissels“ eine Hand zu ihr ausstreckt. In dem Moment, als Hannah die Mattscheibe berührt, startet postwendend ein neuer Spot – dieser nun in Farbe, wie aus den späten Siebzigern oder '80ern – mit einer modisch jener Epoche gemäß gekleideten und frisierten Jules das betreffende Produkt präsentierend: „Hi there! It's sure is nice to see me, isn't it? Well, it's not really me – it's a recording of me, on new Lucida VHS…“
Poletti und Goldfarb haben ein Werk kreiert, bei dem der aus seinen entsprechenden Elementen hervorgehende Retro-Flair mehr als nur ein „Gimmick“ ist. Viele dürften sich noch gut entsinnen, wie es war, sich wirklich (also nicht bloß flüchtig) in einer Videothek aufzuhalten – rege zu stöbern, Cover abzuchecken, Backtexte zu lesen, sich (vor dem Internet als Quelle ausgiebiger Informationen) an Entdeckungen zu erfreuen, mit Kumpels abzuhängen, zu quatschen und zu diskutieren, sich haptisch Filme auszuleihen (etc.). Und bei den Kassetten: Die dicken Hüllen, das Tracking, die Bildqualität, zerknittertes Magnetband, das Zurückspulen…
Self-aware wird hier Nostalgie mit dem (post-)modernen Jetzt verknüpft – lässt einen an David Cronenberg's „Videodrome“ und Hideo Nakata's „Ringu“ (oder Gore Verbinski's „the Ring“) denken. Früher arbeiteten meist Jungs/Männer in solchen Läden und zielte das Gros der Genre-Streifen nicht gerade aktiv auf weibliche Publikumsanteile ab – doch hat sich seither eine Menge (u.a. von der Betrachtung her) verändert: So z.B. erschien 1992 Carol J. Clover's Buch „Men, Women, and Chain Saws: Gender in the Modern Horror Film“ und setzen sich die Konsumenten dieser Art von Kost derzeit (2025) zu rund 42% aus Mädels/Frauen zusammen…
In einer cineastischen Landschaft mit inspirierten Beiträgen von Künstlerinnen wie Jennifer Kent, Coralie Fargeat, Julia Ducournau, Rose Glass und Ana Lily Amirpour sind nicht nur in deren Schöpfungen des Öfteren bestimmte Aussagen und Interpretations-Möglichkeiten zu verzeichnen – und auch in „Video Barn“ haben Poletti und Goldfarb (angenehm unaufdringlich) Themen-Punkte wie den Kampf ums Recht auf Bodily Autonomy sowie den „bedrückenden Sog“ bestimmter rückwärts-orientierter politischer oder gesellschaftlicher Ansichten und Bewegungen (etwa im Bereich traditionell-konservativer Geschlechterrollen) mit eingebunden…
Selbst wer diese Elemente nicht registriert – darunter zudem, dass Hannah genau dann auf einen sich gern Pornos aussuchenden Stammkunden (Andrew Bering aus „Hell hath no Fury“) trifft, nachdem direkt zuvor eine kleine Ausstellfläche mit Veröffentlichungen der Kategorie Female Gaze im Bild war – der kann von dem Short nichtsdestotrotz solide unterhalten werden – sofern man weder auf Blood&Violence noch Jump-Scares aus ist. Stattdessen wurde vorrangig auf eine creepy Atmosphäre gesetzt – mit ruhigen Kamera-Bewegungen, keinen hastigen Schnitt-Folgen und einem angepassten Score Morgan Kibbys („Les Filles du Soleil“)…
Poletti („Ultra Low“) und ihr Cinematographer Corey C. Waters („Abandoned“) verfügen jeweils über reichlich Erfahrung auf verschiedenen visuellen Gebieten (á la Fotografie, Musik-Videos, Werbe-Kampagnen sowie Kurz- und Langfilme) – weshalb es nicht verwundert, dass das mit Eigenschaften wie kräftige Farben und Kontraste aufwartende Ergebnis in einem ansprechenden Look gekleidet daherkommt. Überdies hat man sich anerkennenswerte Mühe bei der Gestaltung der zentralen Location gegeben, welche von dem Team in einem ehemaligen Siebzigerjahre-Schallplatten-Store in Pasadena aufgebaut und eingerichtet wurde…
Reina Hardesty („It's what's inside“) und Grace Van Dien („the Fix“) agieren beidesamt prima als Freundinnen – vermitteln die Empfindungen und Emotionen ihrer Parts glaubwürdig. Besonders gefiel mir die Szene, in der die plötzlich auf dem Lucida-Tape auftauchende Jules im Rahmen jenes Spots „So whenever you'd like to see me – just press play.“ meint – worauf sie „Come on, Hannah – press play.“ nachschiebt – mit Traurigkeit und/oder Angst zunehmend hinter ihrem strahlenden Lächeln hervor durchschimmernd – als Hannah im Angesicht dessen („What the fuck?!“) verharrend zögert – das irgendwie zu begreifen anstrebend…
Das Skript Goldfarbs („Radical Honesty“) bringt die grundlegende Story-Idee ordentlich rüber und hält sich (zum Glück) in Sachen Erklärungen zurück – erfüllt seinen Zweck in diesem Format ergiebig und bietet sich zugleich für eine Erweiterung an: Ihr drücke ihr und Poletti die Daumen, dass sie die Gelegenheit bekommen, die Geschichte zu einem Feature-Film hin auszubauen. In seiner jetzigen Form ist „Video Barn“ jedenfalls ein kompetent realisierter netter kleiner „Genre-Happen“. Zum Abschluss nun noch ein Trivia-Funfact: Hauptdarstellerin Reina und Marilyn Burns' Sally in Hooper's „TCM“ besitzen denselben Nachnamen…