Schönheiten gibt es in Hollywood ja bekanntlich wie Sand am Meer, doch viele dieser jungen, aufstrebenden Schauspielerinnen lassen leider das gewünschte Talent hinter ihren attraktiven Fassaden vermissen. Ab und an geschieht es jedoch tatsächlich, dass eine Newcomerin wie aus dem Nichts auf der Bildfläche erscheint und vollkommen zu überzeugen vermag. Juliette Marquis ist solch ein Fall. In der Unkraine geboren und in Chicago aufgewachsen, feierte sie nach zwei kleineren Auftritten in den TV-Hits „24“ und „Law & Order“ mit „This Girl´s Life“ (2003) ihr Spielfilmdebüt. Erschwerend kam hinzu, dass es sich dabei um die Hauptrolle handelte, im Rahmen derer sie sich in fast jeder Szene befindet und in etlichen Einstellungen gar direkt in die Kamera zum Publikum sprechen muss. Aufgrund ihrer Ausstrahlung und Leinwandpräsenz gelingt das Juliette jedoch superb – ihr Auftreten zieht den (nicht nur männlichen) Zuschauer unweigerlich in ihren Bann. So etwas ist rar und verdient Anerkennung – und stellt zudem allein schon einen gewichtigen Grund dar, sich diesen Film anzusehen…
Moon (Marquis) ist jung, charmant, intelligent und wunderschön. In der Schule gehörte sie zu den Besten ihres Jahrgangs, seit dem Tod ihrer Mutter kümmert sie sich rührend um ihren an Parkinson erkrankten Vater (James Woods), ist mit Charme sowie betörendem Aussehen gesegnet und geht offen mit ihrer Sexualität um. Sie vereint alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere, und eine solche hat sie auch erreicht – nur anders als von der Gesellschaft erwartet: Moon ist der erste Superstar der Internet-Live-Sex-Branche und verdient ihr Geld in einem mit Webcams bestückten Haus.
Neben der Tatsache, dass sie den Beruf gerne ausübt, nutzt sie das Geld, um ihren Vater zu unterstützen, der auf ihre Hilfe angewiesen ist. Diesen Aufgaben und Pflichten geht sie hingebungsvoll nach – ganz egal, wie mühevoll oder schwierig das für sie auch sein mag. In einem solchen (Berufs-) Umfeld ist es natürlich schwierig, ein normales Privat- oder gar Liebesleben zu führen, weshalb sie von einer Freundin mit einem jungen Mann (Kip Pardue) zu einem Blind Date verabredet wird. Für eine richtige Beziehung fehlt aber letztendlich die Zeit, und das Preisgeben ihrer Tätigkeit ist bei solchen Sachen immer eine entscheidende Hürde. Eines Tages wird sie auf eine lukrative Idee gebracht: Sie nutzt ihre Wirkung auf Männer, um eine Art „Treue-Test-Service“ durchzuführen. Diese neuen Elemente ihres Lebens scheinen eine Zeit lang gut zu verlaufen – bis das Bild allmählich Risse bekommt, etwa als ein verheirateter Autohändler (Michael Rapaport) dahinter kommt, warum eine Frau wie sie ihm schöne Augen macht, und äußerst aggressiv darauf reagiert…
„This Girl´s Life“ beleuchtet einige Tage in Moons Leben, in denen sie sich mit einer Reihe von wichtigen Entscheidungen konfrontiert sieht: Soll sie den auslaufenden Vertrag ihres lukrativen Internet-Jobs verlängern oder sich mit ihrer „Treue-Test“-Unternehmung weiter selber verwirklichen (gleich zu Beginn scherzt sie, dass wenn sie kein Pornostar geworden wäre, sie sich gerne dem „Secret Service“ angeschlossen hätte, da sie schon immer an Ermittlungsarbeit interessiert war)? Ist es tatsächlich möglich, angesichts ihrer Tätigkeiten eine funktionierende Partnerschaft einzugehen? Kann sie damit leben, die Beziehungen oder gar Leben „überführter“ Fremdgänger durch ihre Aktionen quasi „auf dem Gewissen“ zu haben?
Als wir (die Zuschauer) sie kennen lernen, bittet sie uns (indem sie direkt in die Kamera spricht – wie zB in „Kuffs“) und ihre Freundinnen, nicht auf Basis ihres Jobs über sie zu urteilen. Öfters entbrennt die Diskussion, dass jemand wie sie (klug, hübsch, charmant) eigentlich zu viel mehr imstande wäre – aber zeugt ihre Wahl nicht gerade von einer starken, emanzipierten Persönlichkeit? Sie wird zu nichts gezwungen und genießt das Leben, welches sie sich auf diese Weise ermöglicht hat. Sie hatte sich aktiv um einen Part in jener Industrie beworben, verspürt Spaß am Job, nimmt keine Drogen, wurde als Kind nicht missbraucht und ist zu einer selbstbewussten Frau mit starken Prinzipien geworden. Zwar mag sie sich mit Sex auskennen, nicht aber mit dem Gefühl der partnerschaftlichen Liebe, weshalb die Interaktion zwischen ihr und ihrem Blind Date umso interessanter ist. Diese Unsicherheit erweitert sich schließlich auch auf ihren Agentur-Job, denn je mehr sie dafür ihre Reize ausspielt, desto unsicherer wird sie gegenüber deren Wirkung.
Das Verhältnis zwischen Moon und ihrem Vater ist das am stärksten überzeugendste Element und wirkt sich konstant auf beide Leben aus: Ihre Mutter / seine Frau hat vor langer Zeit Selbstmord begangen, weshalb sie sich nun allein um ihn kümmert. Sie mag sich teilweise verloren vorkommen, aber er ist es bereits und driftet immer weiter in die Auswirkungen seiner Krankheit ab. Er braucht ihre Gegenwart – genauso ergeht es ihr mit ihm.
Die Darsteller tragen einen wesentlichen Teil zum positiven Eindruck des Gesamtbildes bei: Wie erwähnt, feiert Juliette Marquis ein fantastisches Spielfilmdebüt und kann nun mit einer starken Referenzleistung aufwarten – bleibt nur zu hoffen, dass die richtigen Produzenten dieses Talent in Zukunft nutzen und weiterentwickeln, weit über Fließbandware wie „Into the Sun“ hinaus, in welchem sie an der Seite von Actionstar Steven Seagal als schmückendes Beiwerk sträflichst verschenkt wurde. James Woods (“Vampires“/“Any given Sunday“) bietet eine der besten Leistungen seiner Karriere: Als ein Mann, der langsam in die Traurigkeit und vollkommene Unbeholfenheit der Parkinson-Krankheit abgleitet. Man muss fast Angst um Woods´tatsächliche Gesundheit haben – derart überzeugend verkörpert er seinen Charakter. Beinahe schon schade, dass er eine solche Wahnsinnsvorstellung in einem kleinen, unbekannten Werk wie diesem hier abliefert, denn vor Material wie etwa Sean Penns „I am Sam“ braucht er sich auf keinen Fall zu verstecken. Michael Rapaport („True Romance“) ist ebenfalls stark als untreuer Ehemann, der sich durchs Zerbrechen seiner Familie zur gewalttätigen Wut getrieben sieht. Tomas Arana („Gladiator“) lässt seine Rolle des Pornochefs nie zur Karikatur verkommen, Rosario Dawson („Alexander“) tritt als Moons alte Schulfreundin in Erscheinung, Kip Pardue („Driven“) als Freund.
Die Herangehens- und Inszenierungsweise von Regisseur Ash („Pups“) kann man in etwa mit jener seines Kollegen Larry Clark (“Kids“/“Bully“) vergleichen: Im Endeffekt hat er nicht wirklich viel zu erzählen, doch da sich das wahre Leben meist genau so abspielt, zeigt er es uns anhand ausgewählter Charaktere auf eine nüchterne, realistische Art, weshalb das Gezeigte, trotz der Entferntheit der Hintergründe und Milieus, letztendlich glaubwürdig erscheint. Diese Tatsache wird durch die pseudo-dokumentarische Umsetzung („Face to Camera Narration“, “DV“-Kameraarbeit etc) zusätzlich verstärkt und lässt den Film auf dieser Ebene zu einer runden Sache werden. Der Unterschied zu Clarks Stil besteht hauptsächlich darin, dass Ash alles ruhig und unaufdringlich umgesetzt hat. Er fixiert sich nicht auf Provokationen oder dem Ausloten von Abgründen, was angesichts der thematisierten Pornoindustrie durchaus ein Leichtes gewesen wäre. Stattdessen wurden „anstößige“ Elemente wie der Gang-Bang, die Porno-Castings oder Webcam-Sex-Übertragungen ganz natürlich und fast subtil (aber noch immer offenherzig – männliche und weibliche „Full Frontal Nudity“ inklusive) umgesetzt, ohne diese plump, voyeuristisch oder „in your Face“ auszuschlachten.
Der Film ermöglicht dem Zuschauer einen interessanten Einblick in die expandierende Internetpornographie-Industrie und beleuchtet diese anonyme Art des Voyeurismus auf eine nahezu klischeefreie Weise – ohne Schmutz, Korruption oder brutale Gewalt. Moon und ihre Kolleginnen genießen ihren Job und werden von ihrem Chef allesamt gut behandelt, der seinerseits als wortgewandter, überzeugender und sympathischer Geschäftsmann präsentiert wird. Trotzdem muss alles nach festen Regeln ablaufen: Als eine Kollegin beispielsweise Zweifel bekommt, sich für einen Gang-Bang mit 20 Männern „zur Verfügung zu stellen“ (obwohl es ihre Idee war), wird schon mal mit etwas Druck auf Vertragserfüllung gedrängt, bzw letztendlich mit Hilfe von Drogen nachgeholfen, die Hemmschwelle zu senken. Die Angst vor Aids ist zudem allgegenwärtig. Das ganze Bild wirkt glaubwürdig, hauptsächlich aufgrund einiger einprägsamer Szenen, wie etwa eine Audition, in dessen Verlauf sich Moon einen Partner aus einer Gruppe Kandidaten verschiedener Altersschichten aussuchen darf – Rentner, Gespräch und Ganzkörper-Nacktbegutachtung inklusive…
Man kann argumentieren, dass sich der Film am Ende leider nicht wirklich zu einem Ganzen zusammenschließt, sondern eine Momentaufnahme bleibt, welche die längerfristigen Konsequenzen aus Moons Verhalten schuldig bleibt. Ihre Überlegungen, Entscheidungen sowie deren unmittelbaren Auswirkungen werden zwar aufgezeigt, nicht aber, wie sich diese auf ihr restliches Leben auswirken – aber da kann (oder soll) sich wohl jeder seinen Teil zu denken. Das Stilmittel, dass Moon den Zuschauer direkt anspricht, dient nur als erklärende Einleitung, denn nach dem ersten Drittel wird es kaum noch eingesetzt. Anfangs wird eher die Industrie thematisiert, später verstärkt die zwischenmenschlichen Beziehungen. Und eine starke Aussage auf die Frage nach der liebsten Sex-Stellung erhält man ebenfalls:
„A „68“. That's when you go down on me and I owe you one…"
Fazit: „This Girl´s Life“ ist ein interessanter Film im Stile der Werke von Larry Clark (nur besser), welchen man neben der Story unbedingt wegen der beiden Hauptdarsteller ansehen sollte: James Woods spielt einfach fantastisch und Juliette Marquis füllt die Phrase „a Star is born“ endlich mal wieder mit Leben … 7 von 10
(StS / Ofdb)
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