Entstehungsdaten:
USA 2018
Regie:
Mitzi Peirone
Darsteller:
Madeline Brewer
Sarah Hay
Imogen Waterhouse
Scott Cohen
Trailer
Auf Mitzi Peirone bin ich erstmals im März 2013 aufmerksam geworden – und zwar als sie in der Hauptrolle eines Proof-of-Concept-Trailers zu sehen war, mit dem ein junger Regisseur und Skriptautor via einer am Ende von mir sowie 155 weiteren Personen gebackten "Crowdfunding"-Kampagne sein Debütwerk zu realisieren anstrebte: Der Herr war Robert Mockler und das Projekt der Social-Media-Crime-Psychothriller "Like Me", dessen Entstehung und Veröffentlichung sich letztlich bis ins Jahr 2017 hinzog. Als Peirone im Laufe der Pre-Production jedoch seitens der bekannteren und erfahreneren Schauspielerin Addison Timlin "ersetzt" wurde, konzentrierte sie sich umso inniger aufs Konzipieren und Erschaffen eines eigenen "Feature Films", während sie weiterhin als Model arbeitete. Geboren und aufgewachsen in Turin, war sie mit 16 erstmals für die "Milan Fashion Week" gebucht worden sowie mit 19 in die Vereinigten Staaten gezogen, wo sie sowohl an der "American Academy of Dramatic Arts" als auch an der "NYU" studierte – bevor sie mit 23 dann ihren ersten "Short" drehte, welcher auf der "Art Basel 2015" seine Premiere feierte sowie die Grundlage jenes Streifens bildete, um den es hier im Folgenden nun gehen soll: "Braid".
Ebenfalls unter den Titeln "Dying to play" und "Nobody leaves" zu finden sowie hierzulande als "Obsessed – Tödliche Spiele" erschienen, sicherte Peirone (mit gerade einmal 26) die komplette Finanzierung dieses surrealen, dem Horror-Genre zugehörigen "Indies" per "Equity Crowdsale" über das Online-Portal "WeiFund" – was vor ihr noch niemandem gelungen war: Umgerechnet $1,7 Millionen in der Krypto-Währung "Etherium" – und das in weniger als 14 Tagen! Die Dreharbeiten erstreckten sich über fünf Wochen hinweg – welche Peirone als "the best weeks of my life" bezeichnete – wonach die Uraufführung auf dem 2018er "Tribeca Film Festival" stattfand sowie sechs Monate später beim "Lausanne Underground Film and Music Festival" der "Best Picture Award" gewonnen werden konnte. Im Rahmen ihrer Studien hatte sich Peirone u.a. intensiv mit antiken griechischen und lateinischen Tragödien, Philosophie, Poesie, Kunstgeschichte und klassischer Musik beschäftigt. Sie selbst sieht das Werk als "eine Abhandlung" an: Da nahezu alles auf der Welt von Menschen erfunden wurde – Länder, Sprachen, Gesellschafts-Ordnungen, Religionen etc. – aus was besteht "unsere Realität" eigentlich konkret; und wie individuell (selbst-bestimmt) ist diese wirklich?
Petula (Imogen Waterhouse) und Tilda (Sarah Hay) stecken in Schwierigkeiten: Sie werden zugleich von der Polizei wie auch von einem Gangster gesucht, dem sie mehrere zehntausend Dollar schulden. Doch sie haben einen Plan, um an Bargeld zu kommen: Dazu brechen sie zu einer einstigen Freundin aus ihrer Kindheit auf, die nach dem Tod ihrer vermögenden Erziehenden inzwischen allein in deren edlen alten Anwesen in einem ländlichen Städtchen wohnt. Früher war ihre Hauptbeschäftigung ein Rollenspiel gewesen, bei dem eben jene stets die strenge Mutter verkörperte, Tilda ihre rebellische, wohlmöglich kranke Tochter sowie Petula den örtlichen Doktor Schrägstrich Liebhaber. Notgedrungen haben sie sich für diese Option entschieden – denn Daphne (Madeline Brewer) lebt noch immer in genau dieser "Fantasiewelt" von damals; ist ganz offenkundig "psychisch gestört". Ab dem Moment ihrer Ankunft verhalten sich alle getreu ihrer einstigen Charaktere – so als wären die Jahre nie vergangen. Drei Regeln dürfen dabei keinesfalls gebrochen werden: Everyone must play, No outsiders allowed sowie Nobody leaves. Sollten Petula und Tilda diese Vorgaben missachten, drohen ihnen Konsequenzen ungemütlicher, meist schmerzhafter Art…
Der Einstieg von "Braid" folgt noch dem Schema gängiger Crime-Movies: Nachdem die Mädels den Cops entwischen konnten, als diese ihre Tür eintraten sowie ihre in der Hektik der Situation zurückgelassenen Drogen konfiszierten, nehmen sie den Zug raus aus der City, um die "seelische Verfassung" Daphnes auszunutzen – in der riesigen Villa ihren Safe zu finden und sie zu berauben. Öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben, werden sie am Bahnhof jedoch erkannt – worauf ein Detective namens Siegel (Scott Cohen) stracks "ihre Fährte aufnimmt", welche ihn irgendwann auch zu Daphne führt. Die Leute in der Gegend wissen von ihrem Geistes-Zustand – und Siegel geht fest davon aus, dass sich die Flüchtigen bei ihr im Haus aufhalten. Die daraus resultierende Befragung ist amüsant – von Daphne´s Gebarensweise währenddessen bis hin zu seiner Beileids-Bekundung, als es um das Ableben ihrer Großeltern geht: "It´s terrible how they passed together – and so suddenly." Unabhängig aller ernsten Gegebenheiten und Geschehnisse – unter ihnen Traumata sowie Quälereien in verschiedenerlei Formen – wartet der Streifen mit einem ihn durchsetzenden düster-eigenwilligen Sinn für Humoristisches auf…
Es ist kaum vorauszusagen, mit welchen Forderungen verbunden oder wie gravierend Daphne wohl reagieren wird, sollte etwas mal nicht ihren Vorstellungen entsprechen – was insbesondere "Töchterchen" Tilda Sorgen bereitet, da Petula bei ihr wesentlich mehr Freiheiten genießt (und somit bspw. die eine oder andere Dauer an Zeit hat, das Haus zu durchsuchen). Zu allem Überfluss gerät Tilda nach rund 23 Minuten unbeabsichtigt in einen Drogen-Rausch – und es ist spätestens dann, dass der Film in Sachen Plot, Logik und Kontinuität zunehmend "loser" wird. Die sich fortan entfaltenden Ereignisse hat Peirone ähnlich eines mit LSD versetzten Traum-Zustands konzipiert und arrangiert – so als würden wir das Trio immer tiefer hinunter in ihren "mentalen Kaninchenbau" begleiten: Wirklichkeit und Wahn beginnen zu verschwimmen. Für den Zuschauer heißt das: Kapitulieren und abbrechen, sich einfach an dem Gebotenen erfreuen, ohne weiter darüber nachzudenken, oder aufmerksam bleiben, auf Hinweise und Details achten sowie einiges ggf. neu abschätzen und einordnen – Peirone in der Beziehung also "vertrauen" sowie ihr Werk erst in Anbetracht seiner Gesamtheit abschließend evaluieren…
"Braid" heißt übersetzt Zopf – und ein solcher wird in der klassischen Ausführung ja aus drei Haarsträhnen geflochten. Im Vorliegenden haben wir es mit drei jungen Frauen zu tun, deren Leben und Schicksale eng miteinander verwoben sind. Angesichts ihres Plans – gerade weil ihr wohlbewusst ist, dass sie am stärksten unter Daphne´s Vorgaben und Launen zu leiden haben wird – ist Tilda von Anfang an verunsichert und nervös: Mit Hilfe gewisser "Substanzen" versucht sie sich zu beruhigen – diese Aktion zuversichtlich zu überstehen, ohne daran zu "zerbrechen". Sarah Hay (TV´s "Flesh and Bone") verkörpert sie überzeugend – ebenso wie Suki´s Schwester Imogen Waterhouse ("Nocturnal Animals") Petula, welche die toughere der beiden ist, zielstrebig agiert und sich dabei darum bemüht, nicht die Kontrolle über die jeweilige Lage zu verlieren. Madeline Brewer ("Cam") indes ist ein Profi darin, "instabile Persönlichkeiten" glaubwürdig zu portraitieren – und als Daphne hatte sie die schwierigste Rolle inne: Eine in ihrem eigenen "Phantasie-Konstrukt" lebende psychisch kranke Erwachsene mit dem Sadismus eines Kindes. Brewer ist hervorragend, die "Chemie" zwischen den Leads stimmt und alle geben erkennbar ihr Bestes…
Getreu Peirone´s Intention wird einem keine der Figuren je wahrhaft sympathisch – was u.a. auf der "Akzentuiertheit und Wechselhaftigkeit" ihrer Gestaltung beruht: Ihre Identitäten sind weder klar profiliert noch gefestigt, einzelne Erinnerungen entpuppen sich als "fehlerhaft" und Veränderungen bei ihren Prioritäten und Bereitwilligkeiten (wie auch im Bereich der Macht- und Beziehungs-Verhältnisse) sind zu registrieren. Wer manipuliert wann eigentlich wen? Im Prinzip ist jeder von ihnen simultan Opfer und Täter – das "Spiel" aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit prägend in ihren Köpfen verwurzelt. Trotz dessen, dass es das Entscheidende ist, wie sie sich gegenseitig (im Positiven wie Negativen) beeinflussen, hätte ich mir bei ihnen gern etwas reichhaltigere, im Idealfall quasi "diese umhüllenden Faktoren bis zum individuellen Kern durchdringende" Charakter-Zeichnungen gewünscht. Zudem ist die Story an sich recht "oberflächlich-dünner" Beschaffenheit. An meinem Respekt vor dem von Peirone Verfassten ändert das allerdings nichts – bspw. da einen unerwartete Einfälle (á la eine blutige Rasur zu den Klängen von Gioachino Rossini´s "Il Barbiere di Siviglia") regelmäßig nicht bloß zufrieden stellen, sondern mitunter gar förmlich verzücken…
"Braid" weist deutlich mehr Style als Substance auf – bietet dem Publikum ständig "was fürs Auge". Das fängt schon bei der Location an: Ein herrschaftliches historisches Anwesen – u.a. mit ansehnlichen Garten-Anlagen, hohen Decken, langen Korridoren und schönen Möbeln – welches aufgrund seiner Bauweise unweigerlich aber auch ein wenig "einschüchternd" wirkt. Von Produktions-Designerin Annie Simeone und Set-Dekorateurin Lindsay Stephen klasse hergerichtet – bisweilen knallbunt und over the Top – tragen alle Komponenten – zu denen ebenso die fantasievoll-modische Kleidung der Mädels zählt – dienlich zu dem von Peirone genau anvisierten Ergebnis bei: Siehe in dem Kontext nur mal die Szene, in der sich Petula und Tilda auf einmal (bloß noch in Unterwäsche gehüllt) mit langen Zöpfen gefesselt und geknebelt auf dem Dachboden wiederfinden. Ja, der Streifen ist durchaus bizarr – sowie nicht unsexy – und obgleich er via Angaben und Details (wie Smartphones oder die Nähe zu New York) seine örtliche und zeitliche Ansiedlung preisgibt, wird mit Dingen wie älteren Pkw-Modellen in der Hinsicht aber dennoch ein "diffuses Feeling" forciert. Vom kompletten Vibe her fühlte ich mich an gewisse europäische Werke aus den '70ern und '80ern erinnert…
Ein Ziel Peirones war es, dem Betrachter die fahrigen Empfindungen ihrer Protagonistinnen (á la Desorientierung und Beklemmung) zu visualisieren: Von einem angepassten Score Michael Gatts (TV´s "Blood Drive") untermalt, hat Cinematographer Todd Banhazl ("Blow the Man down") dafür Mittel wie Weitwinkel-Objektive, eine "dynamische" Handkamera-Verwendung sowie schräg gekippte (ab und an sogar auf den Kopf gestellte) Perspektiven genutzt, griff David Gutnik ("Nancy") bei seiner Editing-Arbeit u.a. auf schnelle Übergänge und Schnitte (je nach aktuellem Grad an Beunruhigung und Irrsinn) zurück und kommt die Farbgebung markant und kräftig (punktuell überdies auch mal psychedelisch pink-violett oder noirisch schwarzweiß) daher. An Jump-Scares, Gewalt der explizit präsentierten Art sowie alles haarklein aufdröselnde Erklärungen war Peirone nicht interessiert. Manches Vorangegangene wird seitens einer finalen Offenbarung allerdings tatsächlich noch "zurechtgerückt" – worauf einem dieser finale "Blick aufs Gesamte" (bzw. spätestens eine Zweitsichtung) zu guter Letzt gewahr werden lässt, dass im Vorfeld zwar einiges verschleiert, dabei aber nie "geschummelt" wurde…
Fazit: Dank Selbstbewusstsein, Kreativität und Talent ist Mitzi Peirone mit "Braid" ein stimmungsvolles, schick anzusehendes Debütwerk gelungen: Ein unkonventionell-surrealer femininer Fiebertraum-Arthouse-Horror-Psychotrip über Themen wie Wahnvorstellungen und Freundschaft…
knappe